22 März 2002

BVerfG zu Mobilfunkanlagen

Erfolglose Verfassungsbeschwerde gegen Mobilfunkanlage

Die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat eine
Verfassungsbeschwerde (Vb) nicht zur Entscheidung angenommen, die die
Bewertung der Gesundheitsgefahren durch Elektrosmog betraf. Die Klage
des Beschwerdeführers (Bf) gegen eine in der Nähe seines Grundstücks
gelegene Mobilfunkanlage, die nach seiner Auffassung seine Gesundheit
schädige, war vor den Verwaltungsgerichten gescheitert. Auch die Vb
blieb erfolglos. Die Kammer führt zur Begründung der
Nichtannahmeentscheidung im Wesentlichen aus:

1. Zum Schutz vor den nachweislichen Gefahren elektromagnetischer
Strahlen legt die 26. Bundesimmissionsschutzverordnung Grenzwerte fest,
die nicht überschritten werden dürfen. Die Frage, ob auch solche
elektromagnetischen Strahlen die menschliche Gesundheit schädigen
können, welche die geltenden Grenzwerte einhalten, ist seit längerem
Gegenstand internationaler und fachübergreifender Forschung, die von
verschiedenen nationalen und internationalen Fachkommissionen begleitet
wird. Um die Forschungsarbeiten laufend sichten und bewerten zu können,
hat auch die Strahlenschutzkommission (Geschäftsbereich des
Bundesministeriums für Umwelt) eine Arbeitsgruppe mit Experten der
verschiedenen betroffenen Fachrichtungen (Medizin, Biologie, Physik,
Epidemiologie) gebildet; außerdem fördert die Bundesregierung Vorhaben
zur Erforschung der Auswirkungen elektromagnetischer Strahlen auf den
Menschen.

2. Es begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, dass das OVG aus
Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG keine Pflicht des Staates gefolgert hat, die
geltenden Grenzwerte zum Schutz vor Immissionen bereits dann zu
verschärfen, wenn noch keine verlässlichen wissenschaftlichen
Erkenntnisse über deren gesundheitsschädliche Wirkungen vorliegen. Eine
Pflicht des Staates zur Vorsorge gegen rein hypothetische Gefährdungen
besteht nicht. Die geltenden Grenzwerte könnten nur dann
verfassungsrechtlich beanstandet werden, wenn erkennbar ist, dass sie
die menschliche Gesundheit völlig unzureichend schützen. Das Grundrecht
auf Leben und Gesundheit verlangt nicht von den Gerichten, den
Verordnungsgeber auf einer wissenschaftlich ungeklärten Grundlage zur
Herabsetzung von Grenzwerten zu verpflichten, weil nachteilige
Auswirkungen von Immissionen auf die menschliche Gesundheit nicht
ausgeschlossen werden können. Es ist vielmehr eine politische
Entscheidung, ob in einer solchen Situation der Ungewissheit
Vorsorgemaßnahmen durch den Staat ergriffen werden sollen.

3. Mit der verfassungsrechtlichen Pflicht des Staates zum Schutz der
Gesundheit ist es auch vereinbar, dass das OVG eine eigenständige
Beurteilung der Schutzeignung der geltenden Grenzwerte durch Einholung
von Sachverständigenbeweisen von der konkreten Darlegung abhängig
macht, dass gesicherte Erkenntnisse anerkannter Stellen von erheblichem
wissenschaftlichem Gewicht vorliegen, welche die Grenzwerte als
überholt erscheinen lassen. Nach dem Grundsatz der Gewaltenteilung ist
es Aufgabe des Verordnungsgebers und nicht der Gerichte, die einmal
getroffene Vorsorgeentscheidung mit Blick auf den Fortschritt der
wissenschaftlichen Erkenntnis unter Kontrolle zu halten. Diese
Verteilung der Verantwortung für die Risikoeinschätzung trägt auch den
nach Funktion und Verfahrensweise unterschiedlichen
Erkenntnismöglichkeiten beider Gewalten Rechnung. Durch die Betrachtung
einzelner wissenschaftlicher Studien kann kein konsistentes Bild über
die hier vorliegende komplexe, wissenschaftlich nicht geklärte
Gefährdungslage erlangt werden. Eine kompetente Risikobewertung setzt
vielmehr die laufende fachübergreifende Sichtung und Bewertung der
umfangreichen Forschung voraus. Diese Gesamteinschätzung kann die auf
den konkreten Streitfall bezogene gerichtliche Beweisaufnahme nicht
leisten. Solange die Situation der Ungewissheit über eine komplexe
Gefährdungslage andauert, kommt es daher für den Schutz der Gesundheit
verstärkt darauf an, dass sich die Exekutive in geeigneter Weise des
wissenschaftlichen Sachverstandes versichert, um rechtzeitig und
angemessen auf neue Erkenntnisse reagieren zu können.

Beschluss vom 28. Februar 2002 - Az. 1 BvR 1676/01 -

Karlsruhe, den 22. März 2002

www.inidia.de/mobilfunkanlagen.htm

13 März 2002

BVerfG zur Rechtsberatung durch Inkassounternehmen

Rechtsberatung durch Inkassounternehmen

Die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat zwei
Entscheidungen des OLG Hamburg bzw. des BGH aufgehoben, mit denen den
beschwerdeführenden Inkassounternehmen (Bf) die Durchsetzung von
Forderungen wegen Verstoßes gegen das Rechtsberatungsgesetz verweigert
worden war.

1. Der Hintergrund war in sämtlichen Fällen vergleichbar:

Darlehensverträge einer Bank waren in ihrer Ausgestaltung vom BGH für
unwirksam erklärt worden. Aus dieser Rechtsprechung ergaben sich
Forderungen der Bankkunden gegen diese Bank auf Grund des Anspruchs auf
Rückabwicklung der Darlehensverträge. Derartige Forderungen hatten die
Bf gekauft und selbst vor den Gerichten geltend gemacht. Die
Zivilgerichte hatten die Klagen abgewiesen, da mit dem Geschäft
zwischen Bankkunde und Bf jeweils eine unerlaubte Rechtsberatung der
Kunden durch die Bf verbunden gewesen sei. Dies mache die Kaufverträge
über die Forderungen und die Abtretungen wegen Verstoßes gegen ein
gesetzliches Verbot sittenwidrig.

2. Die Kammer hat die Entscheidungen der Zivilgerichte aufgehoben, weil
sie auf einer verfassungswidrigen Auslegung des Rechtsberatungsgesetzes
basieren. Die Rechtsauffassung, es sei Inkassounternehmen, die über
eine Erlaubnis nach dem Rechtsberatungsgesetz verfügen, untersagt, ihre
Kunden rechtlich zu beraten, verletzt die Bf in ihrem Grundrecht auf
Berufsfreiheit.

Zur Begründung führt die Kammer im Wesentlichen aus, dass der
erforderliche Gemeinwohlbelang für eine solche Einschränkung der
Berufsfreiheit nicht ersichtlich ist. Gründe des Verbraucherschutzes
verlangen ein Verbot der Rechtsberatung durch Inkassobüros nicht. Die
zur Ausübung des Berufs nötige Erlaubnis nach dem Rechtsberatungsgesetz
wird nur erteilt, wenn der entsprechende Bewerber über profunde
Kenntnisse im materiellen und prozessualen Zivilrecht verfügt. Dies
wäre nicht erforderlich, wenn die außergerichtliche Einziehung von
Forderungen, die das Geschäft von Inkassobüros darstellt, eine
lediglich wirtschaftliche Betätigung wäre. Auch wäre es nicht
erforderlich, eine derartige wirtschaftliche Betätigung grundsätzlich
Volljuristen vorzubehalten und sie für andere erlaubnispflichtig nach
dem Rechtsberatungsgesetz zu machen. Bei diesem Verständnis wäre der
Erlaubnisvorbehalt im Gesetz verfassungsrechtlich bedenklich. Das
Gesetz lässt sich daher nur mit der Unterstellung rechtfertigen, dass
typischerweise bei der außergerichtlichen Einziehung von Forderungen,
die Inkassobüros nach dem Rechtsberatungsgesetz erlaubt wird, auch
Rechtsberatung zu leisten ist.

Dass dies keine Gefahr für den Verbraucherschutz als Schutzgut des
Rechtsberatungsgesetzes darstellt, zeigen bereits die Ausgangsfälle:
Ohne Rechtsberatung durch die Inkassounternehmen hätten die Bankkunden
gar keine Forderungen gegen die Bank geltend gemacht. Die Alternative
zum Verkauf ihrer Forderung an die Bf war also, gar nichts zu erhalten.

Auch die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege, deren Aufrechterhaltung
ebenfalls Zweck des Rechtsberatungsgesetzes ist, ist durch die
Rechtsberatung von Inkassounternehmen im Zusammenhang mit
Forderungskäufen nicht beeinträchtigt. Ohne eine solche Beratung
könnten Forderungen nicht oder schlechter bewertet und die
Erfolgsaussichten ihrer Geltendmachung schlechter oder nicht
prognostiziert werden. Der Schutz der Rechtspflege gebietet lediglich,
dass Rechtsrat nur von sachkundigen Personen geleistet wird. Verbietet
man Inkassounternehmen die Geltendmachung derart erworbener
Forderungen, wird nicht die Rechtspflege, sondern der jeweilige
Schuldner geschützt. Das ist nicht Zweck des Rechtsberatungsgesetzes.

Beschluss vom 20. Februar 2002
Az.: 1 BvR 423/99 u.a.
Pressemitteilung Nr. 34/2002 vom 13. März 2002