27 Dezember 2007

4 Windkraftanlagen dürfen auf der Glindower Platte errichtet werden

Das Oberverwaltungsgericht hat die Klage der Stadt Werder (Havel) gegen die Errichtung von 4 Windkraftanlagen auf der Glindower Platte abgewiesen und damit das Urteils des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 3. Juni 2005 abgeändert. Die Stadt Werder hatte ihr nach dem BauGB erforderliches Einvernehmen zu diesem Vorhaben verweigert. Das Landesumweltamt Brandenburg hatte das Einvernehmen daraufhin ersetzt und einer Gesellschaft für regenerative Energien mbH am 23. Mai 2002 die erforderliche immissionsschutzrechtliche Genehmigung erteilt.

Der 11. Senat ist wie das Verwaltungsgericht der Auffassung, das Vorhaben verstoße nicht gegen das Verunstaltungsverbot gemäß § 35 Abs. 3 Nr. 5 BauGB F. 98. Nicht gefolgt ist der Senat jedoch der Einschätzung des Verwaltungsgerichts, dass schon der Entwurf des Teilregionalplans „Windenergie, Freiraum und Sicherung der Kulturlandschaft " für die Region Havelland-Fläming (Stand 23. Mai 2002), in dem die Glindower Platte nicht als Eignungsgebiet für Windkraftanlagen ausgewiesen war, verlässlich der Errichtung der Windkraftanlagen entgegengestanden habe. Maßgeblich hierfür ist, dass zu diesem Zeitpunkt noch ein wirksamer Flächennutzungsplan von 2001 bestand. Dieser sah das fragliche Gebiet als Sonderbaufläche für Windkraftanlagen vor. Nach der Begründung des Entwurfs des Teilregionalplans wäre die Errichtung solcher Anlagen damit weiter zulässig gewesen. Zudem hatte dieser Entwurf die Glindower Platte als empfindlichen Teileraum der Kulturlandschaft ausgewiesen, was ebenfalls zum Ausschluss von Windkraftanlagen dort führen sollte. Zu dieser Ausweisung ist es aber in der endgültigen Fassung des Teilregionalplans nicht gekommen. Auch aus diesem Grunde konnte nicht von der erforderlichen Verlässlichkeit der maßgeblichen Entwurfsfassung ausgegangen werden.

Urteil vom 22. Dezember 2006 - OVG 11 B 11.05 -
Pressemitteilung - 54/2006 Berlin, den 27.12.2006

21 Dezember 2007

Künftig mehr Transparenz im Versicherungswesen

Presseerklärung - Berlin, 21. Dezember 2007

Die Verordnung über Informationspflichten bei Versicherungsverträgen (VVG-InfoV) ist heute im Bundesgesetzgesetzblatt verkündet worden. Sie beruht auf § 7 des neuen Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) und bestimmt, welche Informationen den Versicherungsnehmern vor dem Vertragsschluss und während der Laufzeit des Vertrages übermittelt werden müssen. Erstmals ist auch eine Regelung zur Kostenangabe vorgesehen.

„Künftig soll jeder Versicherungsnehmer vor Abschluss des Vertrages wissen, was ihn die angebotene Lebens-, Berufsunfähigkeits- oder Krankenversicherung kostet. Ab 1. Juli 2008 müssen die Versicherer in Euro und Cent angeben, welche Kosten sie in die Prämie eingerechnet haben. Vermittler und Vertrieb kosten Geld, und ein guter Versicherungsvermittler hat auch das Recht auf eine anständige Bezahlung. Allerdings muss der Kunde wissen, wofür er sein Geld ausgibt. Wir wollen mündige Verbraucher, die umfassend informiert werden, bevor sie Verträge abschließen“, sagte Bundesjustizministerin Zypries.

Auch das Bundesverfassungsgericht hatte im Februar 2006 eine weitergehende Kostentransparenz gefordert: „Bleiben den Versicherungsnehmern Art und Höhe der zu verrechnenden Abschlusskosten und der Verrechnungsmodus unbekannt, ist ihnen eine eigen bestimmte Entscheidung darüber unmöglich, ob sie einen Vertrag zu den konkreten Konditionen abschließen wollen.“ Die Entscheidung bezieht sich auf die Lebensversicherung. Die Aussage hat aber darüber hinaus Bedeutung.

Die Neuregelung zur Kostenangabe liegt ganz auf der Linie anderer Vorschriften und Gerichtsentscheidungen zur Verbesserung der Transparenz bei Finanzdienstleistungen. So verpflichtet bereits die europäische Finanzmarktrichtlinie zu mehr Information über Gebühren, Provisionen, Entgelte und Auslagen bei Dienstleistungen im Zusammenhang mit Wertpapieren. Das am 1. November 2007 in Kraft getretene Umsetzungsgesetz zu dieser Richtlinie sieht den europäischen Vorgaben entsprechend vor, dass beispielsweise Provisionen in jedem Fall separat anzugeben sind (§ 31 Wertpapierhandelsgesetz). Bereits im Dezember 2006 hatte der Bundesgerichtshof zum Wertpapiergeschäft der Banken entschieden, dass der Kunde über Rückvergütungen zugunsten der Banken aufgeklärt werden muss, damit er beurteilen kann, ob eine Anlageempfehlung möglicherweise auch im Interesse der vermittelnden Bank erfolgt. Die VVG-InfoV fügt sich in diese Tendenz zu mehr Kostentransparenz ein und kann damit Signalwirkung auch für andere Bereiche des Versicherungswesens wie beispielsweise die Riester-Rente haben.

Für eine verbesserte Information der Verbraucher sorgt auch ein „Produktinformationsblatt“, das ab 1. Juli 2008 für alle Neuverträge verbindlich vorgeschrieben wird. Die Versicherungsnehmer erhalten künftig vor jedem Vertragsschluss ein Merkblatt, das sie in besonders übersichtlicher und verständlicher Weise über die für den Abschluss oder die Erfüllung des Vertrages besonders wichtigen Umstände informiert.

„Versicherungsbedingungen sind oft unübersichtlich und schwer verständlich. Mit dem Produktinformationsblatt können sich die Verbraucher schnell und zielgerichtet einen Überblick über ihren Vertrag verschaffen“, erläuterte Brigitte Zypries.

Die Verordnung enthält weiterhin zahlreiche Informationspflichten, die seit langem geltendes Recht sind, bislang aber in unterschiedlichen Gesetzen geregelt waren. Die jetzt vorgenommene Zusammenfassung in einer Verordnung dient der Vereinheitlichung und trägt damit auch dazu bei, dem Rechtssuchenden die Orientierung zu erleichtern.

Die Verordnung tritt am 1. Januar 2008 in Kraft, mit Übergangfristen bis zum 30. Juni 2008. Die Regelungen zur Kostenangabe und zum Produktinformationsblatt treten am 1. Juli 2008 in Kraft.

Weitere Informationen zur Verordnung und zum VVG haben wir für Sie unter www.bmj.de/vvg zusammengestellt.

  • Versicherungsrecht
  • 19 Dezember 2007

    Zypries für konkrete Maßnahmen zum besseren Schutz von Kindern

    Presseerklärung - Berlin, 19. Dezember 2007

    In den vergangenen Monaten sind vermehrt Fälle bekannt geworden, in denen Kinder von ihren Eltern misshandelt oder vernachlässigt wurden. Vertreter der Bundesregierung und die Ministerpräsidenten der Länder beraten heute über Maßnahmen zum besseren Schutz von Kindern. Bundesjustizministerin Zypries hat konkrete Vorschläge unterbreitet, um gefährdete Kinder effektiv zu schützen.

    „Die tragischen Fälle in den letzten Monaten haben erhebliche Defizite beim Schutz besonders gefährdeter Kinder offengelegt. Schätzungen zu Folge werden etwa 5 bis 10 % aller Kinder unter 6 Jahren vernachlässigt. Immer häufiger sterben Kinder an den Folgen von Vernachlässigung und Misshandlung. Viele Risikofamilien können mit den herkömmlichen Angeboten der Jugendämter, der Erziehungsberatung oder der Familienbildung nicht im erforderlichen Umfang erreicht werden. Es ist deshalb dringend notwendig, den Schutzauftrag unserer staatlichen Gemeinschaft zu stärken. Ich habe konkrete Vorschläge unterbreitet, wie ein effektiver Schutz von Kindern erreicht werden kann“, erklärte Bundesjustizministerin Zypries heute in Berlin.

    Zypries setzt sich insbesondere für die folgenden Maßnahmen ein:

    Verbindliches Einladungswesen für Vorsorgeuntersuchungen
    Einige Länder sehen bereits ein verbindliches Einladewesen für Früherkennungsuntersuchungen von Kindern vor. Bundesjustizministerin Zypries unterstützt dieses System. Sie schlägt eine Ergänzung des § 8a des Achten Buches Sozialgesetzbuch – Kinder und Jugendhilfe – um folgenden Absatz (1a) vor:

    „Nehmen die Personensorgeberechtigen trotz wiederholter Aufforderung nicht an einer Früherkennungsuntersuchung für ihr Kind teil, prüft das Jugendamt, ob Anhaltspunkte für eine Gefährdung des Kindeswohls bestehen. Ergeben sich dabei aufgrund zusätzlicher Umstände Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung, ist ein Hausbesuch durchzuführen. Die Stellen, die nach Landesrecht für die Überprüfung der Teilnahme an Früherkennungsuntersuchungen zuständig sind, teilen dem Jugendamt mit, wenn Personensorgeberechtigte trotz wiederholter Aufforderung nicht an einer Früherkennungsuntersuchung teilgenommen haben.“

    Die ärztlichen Früherkennungsuntersuchungen bieten die Möglichkeit, frühzeitig auf Vernachlässigung und Misshandlung von Kindern aufmerksam zu werden und eine Schädigung des Kindes abzuwenden. Die ganz überwiegende Mehrzahl der Eltern kümmert sich verantwortungsvoll und gut um ihre Kinder. Wir wollen daher die Eltern nicht gesetzlich zu Vorsorgeuntersuchungen zwingen. Allerdings kann die Versäumung einer Früherkennungsuntersuchung in Verbindung mit anderen Faktoren Anzeichen für eine Gefährdung des Kindes sein. So können etwa Hinweise aus dem Umfeld der Familie auf eine Vernachlässigung, Verwahrlosung oder Misshandlung schließen lassen.

    Deshalb sollen die Jugendämter verpflichtet werden zu prüfen, ob Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung vorliegen, wenn die Eltern trotz wiederholter Aufforderung nicht an einer Früherkennungsuntersuchung für ihr Kind teilnehmen. Sprechen darüber hinaus weitere Umstände für eine Vernachlässigung des Kindes, muss ein Hausbesuch erfolgen. Auf diese Weise kann Risikofamilien besser geholfen und Kinder effektiver geschützt werden.

    Erleichterung familiengerichtlicher Maßnahmen bei einer Gefährdung des Kindeswohls
    Bereits im Juli 2007 hat Bundesjustizministerin Zypries einen Gesetzesentwurf zur Erleichterung familiengerichtlicher Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls vorgestellt. Er wird derzeit im Deutschen Bundestag beraten. Der Gesetzesvorschlag setzt auf Prävention. Familiengerichte sollen früh tätig werden, bevor das Kind zu Schaden kommt bzw. ein Entzug des Sorgerechts notwendig wird. Deshalb werden den Gerichten konkrete Handlungsalternativen an die Hand gegeben, die sie schon frühzeitig anordnen können. Sie können die Familien z. B. zu einem Anti-Gewalt-Trainining verpflichten, eine Erziehungsberatung oder Maßnahmen der Gesundheitsfürsorge anordnen. Außerdem müssen familiengerichtliche Verfahren bei einer Gefährdung des Kindeswohls künftig vorrangig behandelt werden. Ein erster Gerichtstermin muss schon binnen eines Monats stattfinden. Darüber hinaus soll die Gefährdung des Kindes schon im Vorfeld und unabhängig von einem gerichtlichen Einschreiten erörtert werden. Dabei soll den Eltern der Ernst der Lage vor Augen geführt und darauf hingewirkt werden, dass sie notwendige Erziehungshilfen des Jugendamtes besser in Anspruch nehmen.

    Zusammenarbeit zwischen Gerichten und Jugendämtern verbessern
    Bundesjustizministerin Zypries will eine reibungslose Kooperation der Familien- und Jugendgerichte mit den Jugendämtern zum Wohle gefährdeter Kinder und Jugendlicher sicherstellen. Staatliches Handeln gegenüber Eltern und Kindern in schwierigen Lebenssituationen sollte stets aufeinander abgestimmt und widerspruchsfrei sein.

    Kinderrechte im Grundgesetz
    Nach Artikel 6 Abs. 1 des Grundgesetzes steht die Familie unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung. Das Recht der Eltern wird in Artikel 6 Abs. 2 des Grundgesetzes gewährleistet. Danach sind die Pflege und Erziehung der Kinder das natürliche Recht der Eltern. Freilich müssen sie ihr Elternrecht zum Wohl des Kindes ausüben. Zwar ist die Bedeutung des Kindeswohls seit langem auch in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung anerkannt, das Kindeswohl selbst wird im Grundgesetz jedoch nicht ausdrücklich erwähnt. Bundesjustizministerin Zypries will die Rechte der Kinder in der Verfassung stärker zum Ausdruck bringen und als eigenes subjektives Recht formulieren. Sie schlägt in Übereinstimmung mit dem Präsidium der SPD die Einfügung eines neuen Absatzes in Artikel 6 des Grundgesetzes vor:

    „Jedes Kind hat ein Recht auf Entwicklung und Entfaltung seiner Persönlichkeit, auf gewaltfreie Erziehung und auf den besonderen Schutz vor Gewalt, Vernachlässigung und Ausbeutung. Die staatliche Gemeinschaft achtet, schützt und fördert die Rechte des Kindes und trägt Sorge für kindgerechte Lebensbedingungen.“

    Diese Ergänzung des Grundgesetzes enthält eine objektive Handlungsanweisung an alle staatlichen Organe. Sie müssen das Recht des Kindes auf Entwicklung und Entfaltung seiner Persönlichkeit beachten. Die ausdrückliche Festschreibung der Kinderrechte wird bewirken, dass die Belange der Kinder im Rahmen staatlicher Entscheidungen bei der Abwägung der betroffenen Interessen größeres Gewicht erlangen. So werden der Gesetzgeber und die öffentliche Verwaltung z. B. bei der Finanzierung, dem Bau oder der Ausstattung von Kindergärten, Spielplätzen oder sonstigen öffentlichen Einrichtungen das Wohl des Kindes besonders in den Blick nehmen. Auch für die Gerichte wird damit ausdrücklich normiert, dass sie ihre Entscheidungen am Kindeswohl auszurichten haben.

    Kinder können sich zudem selbst auf dieses subjektive Recht berufen und im Einzelfall z. B. mit einer Verfassungsbeschwerde durchsetzen. Im Gegensatz zu einer Staatszielbestimmung hat diese Grundgesetzänderung also nicht nur Appellfunktion.

  • Kinderschutz
  • 17 Dezember 2007

    Lächerliche Presseerklärung zum Kindesunterhalt

    Um duchschnittlich 1,75 € steigt der Kindesunterhalt - und daraus wird folgende Presseerklärung gemacht:

    Neue Düsseldorfer Tabelle: Mehr Geld für Kinder
    Berlin, 17. Dezember 2007

    Die Richterinnen und Richter der Familiensenate des Oberlandesgerichts Düsseldorf haben heute die ab dem 1. Januar 2008 geltende „Düsseldorfer Tabelle“ vorgestellt. Sie gilt bundesweit als Richtschnur für die Festlegung des Kindesunterhalts. Nach der neuen Tabelle wird der Kindesunterhalt im Durchschnitt um 1,75 € steigen. Eine Neufestsetzung zum 1. Januar 2008 wurde notwendig, weil an diesem Tag das neue Unterhaltsrecht in Kraft tritt.

    „Ich freue mich, dass der Kindesunterhalt nach der neuen Düsseldorfer Tabelle in Westdeutschland durchschnittlich um 1,75 € steigt. In Ostdeutschland ist die Erhöhung des Kindesunterhalts im Durchschnitt sogar noch erheblich höher, weil in den neuen Bundesländern nach der Unterhaltsrechtsreform erstmals die höheren, westdeutschen Unterhaltssätze gelten. Mit dem neuen Unterhaltsrecht bekommen wir also in ganz Deutschland einheitliche Beträge. Die bisherige Unterscheidung danach, ob das unterhaltsberechtigte Kind in Westdeutschland oder in Ostdeutschland lebt und deshalb weniger Unterhalt bekommt, gehört dank der Reform der Vergangenheit an. Die neue Tabelle ist ein gutes Startsignal für das neue Unterhaltsrecht“ sagte Bundesjustizministerin Brigitte Zypries heute in Berlin.

    Die Düsseldorfer Tabelle wird von den Richterinnen und Richtern der Familiensenate des Oberlandesgerichts Düsseldorf in Abstimmung mit den anderen Oberlandesgerichten und dem Deutschen Familiengerichtstag in regelmäßigen Abständen neu gefasst. Ihr liegt ein von den Richterinnen und Richtern entwickeltes System zugrunde, mit dem der Unterhaltsbedarf von Kindern nach verschiedenen Einkommensgruppen bestimmt wird. Grundlage der Tabelle ist der sog. Mindestunterhalt, der in keinem Fall unterschritten werden darf. Diesen Mindestunterhalt hat der Gesetzgeber mit der Unterhaltsreform festgelegt. Er entspricht der Höhe nach dem bisherigen Regelbetrag. „Nach dem neuen Unterhaltsrecht kann der Mindestunterhalt nicht absinken. Das haben wir in einer Übergangsregelung ausdrücklich festgeschrieben“, betonte Zypries.

    In der Düsseldorfer Tabelle wird die Unterhaltsverpflichtung für alle Einkommen (differenziert) festgeschrieben. Mit steigendem Einkommen des Vaters oder der Mutter erhöht sich auch der Unterhaltsanspruch des Kindes. In der Tabelle werden außerdem die genauen Zahlbeträge in den höheren Einkommensgruppen sowie die Unterhaltssätze für volljährige, noch im Elternhaus lebende Kinder festgesetzt. Dabei liegt es in der Gestaltungsverantwortung der Düsseldorfer Tabelle, ab welchem Einkommen und in welchen Einkommensgruppen es zu einer Erhöhung des Mindestunterhalts kommt. Gleiches gilt für die Steigerungsraten, mit der der Unterhalt von Einkommensstufe zu Einkommensstufe erhöht wird. Eine gesetzliche Vorgabe gibt es dafür nicht. Das gesetzliche Unterhaltsrecht bestimmt allein, dass der Unterhalt im Verhältnis zu den Lebensverhältnissen der Eltern angemessen sein muss. Die Festlegung des Kindesunterhalts obliegt im konkreten Fall den Gerichten, die dabei im Wesentlichen die Düsseldorfer Tabelle zugrunde legen.

    Der neuen Tabelle liegt – wie schon bislang – die Annahme zugrunde, dass der Schuldner gegenüber drei Berechtigten (einem Ehegatten und zwei Kindern) unterhaltspflichtig ist. Wo diese Annahme im Einzelfall nicht zutrifft, weil beispielsweise nur ein Kind zu versorgen ist, erfolgt in der Praxis eine Einstufung in die nächsthöhere Einkommensgruppe.

    Die neue „Düsseldorfer Tabelle“ findet sich unter www.olg-duesseldorf.nrw.de/service/ddorftab/intro.htm und auf der Homepage des Bundesministeriums der Justiz, www.bmj.de unterhalt.

    13 Dezember 2007

    Bundestag verabschiedet Gesetz zur Anfechtung von „Scheinvaterschaften“

    Presseerklärung - Berlin, 13. Dezember 2007

    Der Bundestag hat heute einen Gesetzentwurf verabschiedet, der die Anfechtung von missbräuchlichen Vaterschaftsanerkennungen ermöglicht. Staatliche Behörden erhalten künftig die Befugnis, Vaterschaftsanerkennungen dann anzufechten, wenn der Anerkennung weder eine sozial-familiäre Beziehung noch eine leibliche Vaterschaft zugrunde liegt.

    „Vaterschaften sollen um der Kinder Willen anerkannt werden, nicht allein wegen der Papiere. Mit dem Gesetz wollen wir verhindern, dass Regelungen zum Aufenthalt in Deutschland durch missbräuchliche Vaterschaftsanerkennungen umgangen werden. Fälle, in denen Männer die Vaterschaft anerkennen, um den eigenen Aufenthaltstatus zu verbessern, aber tatsächlich keine Verantwortung für das Kind übernehmen, sind nicht im Interesse der vielen „echten“ binationalen Familien. Wir schaffen daher ein geordnetes Verfahren, um den Missbrauch aufdecken zu können“, sagte Bundesjustizministerin Brigitte Zypries.

    Beispiel:
    Eine allein erziehende ausländische Frau lebt mit ihrem vierjährigen Sohn in Deutschland. Ihre Aufenthaltsgenehmigung läuft ab und wird nicht verlängert. Mit Ablauf der Aufenthaltsgenehmigung ist sie ausreisepflichtig, muss also Deutschland verlassen. Um dies zu vermeiden, zahlt sie einem Obdachlosen mit deutscher Staatsangehörigkeit Geld dafür, dass er die Vaterschaft für ihren Sohn anerkennt. Weder die Mutter noch der „frischgebackene Vater“ haben ein Interesse daran, dass letzterer Kontakt zu seinem „Sohn“ hat. Durch die Anerkennung wird der Sohn nach deutschem Staatsangehörigkeitsrecht automatisch deutscher Staatsbürger, seine Mutter darf dann auch in Deutschland bleiben.

    Die wesentlichen Inhalte des Gesetzentwurfs:

    Der Gesetzentwurf ergänzt die Regelungen zur Anfechtung der Vaterschaft im Bürger- lichen Gesetzbuch um ein Anfechtungsrecht für eine öffentliche Stelle.
    Die für die Anfechtung zuständige Behörde sollen die Länder entsprechend den Bedürfnissen vor Ort selbst bestimmen können.
    Die Anfechtung ist nur erfolgreich, wenn zwischen dem Kind und dem Anerkennenden keine sozial-familiäre Beziehung besteht oder im Zeitpunkt der Anerkennung bestan- den hat. Dadurch wird verhindert, dass durch die Anfechtung eine vom Grundgesetz in Artikel 6 geschützte Familie auseinander gerissen wird.
    Außerdem setzt die Anfechtung voraus, dass durch die Anerkennung der Vaterschaft rechtliche Voraussetzungen für die erlaubte Einreise oder den erlaubten Aufenthalt des Kindes oder eines Elternteiles geschaffen werden. Dieses Kriterium dient dazu, die Missbrauchsfälle zu erfassen, die mit diesem Gesetz unterbunden werden sollen: Vaterschaften sollen um der Kinder Willen anerkannt werden, nicht allein wegen der Aufenthaltspapiere.
    Die Anfechtung setzt weiter voraus, dass der Anerkennende nicht der leibliche Vater des Kindes ist (allgemeine Anfechtungsvoraussetzung).
    Gibt das Familiengericht der Anfechtungsklage statt, entfällt die Vaterschaft des Anerkennenden mit Rückwirkung auf den Tag der Geburt des Kindes.
    Das Gesetz wahrt das Konzept der Kindschaftsrechtsreform von 1998. Diese hat die Elternautonomie gestärkt und die Entstehung von Familien gefördert, indem sie das Zustandekommen einer wirksamen Vaterschaftsanerkennung allein an formgebundene Erklärungen des Vaters (Anerkennung) und der Mutter (Zustimmung) knüpft. Vor 1998 musste ein Amtspfleger der Anerkennung im Regelfall zustimmen. Dies wurde mit Recht als eine unnötige Bevormundung der Eltern empfunden. Deshalb hat der Gesetzgeber 1998 bewusst auf Kontrollmechanismen verzichtet, weil der Anerkennende in der Regel Verantwortungsbereitschaft für das Kind zeigt.

    „An diesem Regelungskonzept halten wir fest. Es ermöglicht uns, nicht nur leibliche, sondern auch soziale Vaterschaften zu schützen. Nicht schützenswert sind jedoch Vaterschaften, die allein auf staatsangehörigkeits- und ausländerrechtliche Vorteile abzielen. In solchen Missbrauchsfällen soll künftig eine staatliche Stelle die Vaterschaft anfechten können“, sagte Brigitte Zypries.

    04 Dezember 2007

    Evaluierung: Graffiti-Gesetz im Kampf gegen Schmierereien erfolgreich

    Presseerklärung - Berlin, 4. Dezember 2007

    Die im September 2005 eingeführte Neuregelung zur Strafbarkeit von Graffiti hat sich bewährt. Dies ist das Ergebnis einer Umfrage des Bundesjustizministeriums bei den Justizverwaltungen der Länder zwei Jahre nach Inkrafttreten der Gesetzesänderung.

    “Die Evaluierung zeigt, dass die neue Regelung praxistauglich ist. Zwei Jahre nach Inkrafttreten der neuen Strafvorschriften können wir zufrieden feststellen, dass die strafrechtliche Aufarbeitung von Farbschmierereien wesentlich erleichtert wurde“, erläuterte Bundesjustizministerin Brigitte Zypries.

    Bis zur Gesetzesnovelle konnten die Gerichte Farbschmierereien nur dann als Sachbeschädigung bestrafen, wenn nachweisbar war, dass die Farbe die Substanz beschädigt hat, auf die sie aufgesprüht wurde. Dazu musste im Strafverfahren häufig mit zeit- und kostenaufwändigen Gutachten untersucht werden, ob die Reinigung der Sache – sei es eine Hauswand oder ein Zugwaggon – zu einer Beschädigung des Mauerwerks oder der Karosserie geführt hat.

    Seit der Neuregelung der §§ 303 und 304 des Strafgesetzbuches (Sachbeschädigung und Gemeinschädliche Sachbeschädigung) genügt es, wenn das Erscheinungsbild der jeweils geschützten Sache erheblich und nicht nur vorübergehend verändert wird, auf eine Substanzverletzung kommt es nicht mehr an. Die Anforderungen an den Nachweis einer Sachbeschädigung durch Farbschmierereien sind damit wesentlich erleichtert worden. Umfangreiche Gutachten zur Frage der Beschädigung der durch Graffiti verunstalteten Sache sind nicht mehr nötig. Die Länder haben die neuen Vorschriften mehrheitlich begrüßt und eine insgesamt positive Bilanz zur Strafverfolgung von Sachbeschädigungen durch Graffiti gezogen.

    Mit der Evaluierung wurde eine Vereinbarung aus dem Koalitionsvertrag umgesetzt, wonach die Praxistauglichkeit der Gesetzesänderung zur Strafbarkeit von Graffiti zwei Jahre nach deren Inkrafttreten überprüft werden soll.

  • Graffiti
  • 18 September 2007

    BJustizM: Reformvorschlag § 89a StGB

    Zypries: Balance zwischen Freiheit und Sicherheit bei Terrorismusbekämpfung wahren
    Presseerklärung des Bundesjustizministeriums, Berlin, 18. September 2007

    Bundesjustizministerin Brigitte Zypries hat heute die Eckpunkte neuer strafrechtlicher Regelungen vorgestellt, mit denen die Vorbereitung von terroristischen Gewalttaten und die Anleitung zu solchen Taten unter Strafe gestellt werden sollen.

    „Deutschland ist Teil eines weltweiten Gefahrenraums und wir können einen terroristischen Anschlag in unserem Land nicht ausschließen. So bedauerlich diese Erkenntnis ist – sie ist – leider – ganz und gar nicht neu. Sie ist uns nur durch die jüngsten Ereignisse wieder deutlich in Erinnerung gerufen worden. Tatsache ist, dass wir seit dem 11. September 2001, genauso wie viele andere europäische Länder, mit der Bedrohung durch den islamistischen Terrorimus leben müssen. Seit dem 11. September arbeiten die Sicherheitsbehörden in unserem Land - ausgestattet mit erheblich verbesserten rechtlichen Grundlagen durch die Sicherheitspakete I und II - mit großen Anstrengen dafür, dass Anschläge in Deutschland auch künftig vermieden werden.
    Unabhängig von den aktuellen Festnahmen prüft das Bundesministerium der Justiz seit einiger Zeit, ob und in welchem Umfang im Strafrecht noch eine Lücke besteht. Ergebnis dieser Prüfung ist ein Vorschlag für zwei neue Straftatbestände, um Vorbereitungshandlungen im Vorfeld von terroristischen Gewalttaten gezielter strafrechtlich erfassen zu können. Dabei halten wir uns streng an den rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgrundsatz“, sagte Bundesjustizministerin Brigitte Zypries in Berlin.

    I. § 89a StGB (neu) Vorbereitung einer Gewalttat

    Die §§ 129 a und b StGB knüpfen die Strafbarkeit des Bildens oder Unterstützens einer terroristischen Vereinigung an die Gefährlichkeit, die von einer Gruppe ausgeht, die aus mindestens drei Mitgliedern besteht. Die Struktur des Terrorismus hat sich im Vergleich zu den 70er Jahren verändert – anders als bei der RAF handelt es sich bei islamistischen Tätern oftmals um Täter, die ohne feste Einbindung in eine hierarchisch aufgebaute Gruppe agieren, so dass die §§ 129a und b StGB auf sie nicht angewendet werden können, die von ihnen ausgehende Gefahr aber dennoch erheblich und deshalb strafwürdig ist.
    Künftig soll es im Staatsschutzstrafrecht einen neuen § 89a StGB geben, der die Vorbereitung einer Gewalttat mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu 10 Jahren unter Strafe stellt.

    Mit dem Tatbestand erfassen wir

    Die Vorbereitung von Straftaten aus dem terroristischen Kernbereich, wie sie in § 129 a Abs. 1 StGB aufgeführt sind (Straftaten gegen das Leben und die persönliche Freiheit, wie Mord, Totschlag, Freiheitsberaubung, Geiselnahme), wenn diese Taten bestimmt und geeignet sind, den Bestand oder die Sicherheit eines Staates zu beinträchtigen oder die Verfassungsgrundsätze der Bundesrepublik Deutschland zu beseitigen, außer Geltung zu setzen oder zu untergraben.
    Täter, die solche Taten vorbereiten, aber mangels Bestehen oder Nachweisbarkeit einer terroristischen Vereinigung derzeit nicht nach §§ 129 a oder § 129 b StGB bestraft werden können.
    Damit werden auch Einzeltäter erfasst, deren Handlungen noch nicht unter den Tatbestand der Verbrechensverabredung des geltenden § 30 Abs. 2 StGB fallen.

    Strafrecht ist immer das letzte Mittel des Staates (ultima-ratio-Charakter). Deshalb können Vorbereitungshandlungen grundsätzlich nur ausnahmsweise strafbar sein. Um eine uferlose Ausweitung der Vorfeldstrafbarkeit zu vermeiden, muss aus Verfassungsgründen exakt umschrieben werden, welche Vorbereitungshandlungen im Einzelnen strafbar sind.

    Der neue § 89a StGB definiert deshalb abschließend folgende strafbare Vorbereitungshandlungen:

    1. die Ausbildung und das Sich-Ausbilden-Lassen, um eine terroristische Gewalttat zu begehen
    Beispiele:

    a) A erhält den Auftrag, in Deutschland einen Sprengstoffanschlag auf eine Bundeswehrkaserne und einen US-Luftwaffenstützpunkt zu verüben. Um die notwendigen Fertigkeiten zu erwerben, lässt A sich in einem islamistischen Ausbildungslager in Pakistan theoretisch und praktisch im Umgang mit Schusswaffen bzw. in der Herstellung und der Zündung von unkonventionellem Sprengstoff schulen.

    b) X, Mitglied einer rechtsextremistischen „Wehrsportgruppe“, erhält von seinem Anführer die Auftrag, sich für einen Sprengmeisterkurs im Steinbruch anzumelden, um die nötigen Kenntnisse zu erwerben, einen Sprengstoffanschlag auf eine Synagoge zu verüben.

    c) M lässt sich in einer Flugschule beibringen, wie man ein Passagierflugzeug führt. Damit will er sich die Fertigkeit erwerben, seinen Plan ins Werk zu setzen, ein gekapertes Passagierflugzeug in einen Büroturm zu steuern.

    Strafbar macht sich nach dieser Tatalternative nur derjenige, der sich unterweisen lässt oder einen anderen unterweist, um eine terroristische Gewalttat zu begehen. Ein bloßes Erwerben von Fertigkeiten ohne die Absicht, damit eine terroristische Gewalttat zu verüben, bleibt straflos.

    2. die Herstellung, das Sich-Verschaffen, Überlassen oder Verwahren von Waffen, bestimmten Stoffen (z. B. Viren, Gifte, radioaktive Stoffe, (Flüssig-)Sprengstoffe) oder besonderen zur Ausführung der vorbereiteten Tat erforderlichen Vorrichtungen (z. B. Zündern) sowie

    3. das Sich-Verschaffen oder Verwahren von erforderlichen wesentlichen Gegenständen oder „Grundstoffen“, um diese Waffen, Stoffe oder Vorrichtungen herzustellen

    Beispiel:
    a. Die kürzlich im Sauerland festgenommenen Tatverdächtigen haben nach dem bisherigen Ergebnis der Ermittlungen unter anderem Anschläge auf US-amerikanische Einrichtungen geplant und sich zu diesem Zweck erhebliche Mengen Wasserstoffperoxid verschafft, um damit Bombenanschläge zu begehen.
    b. Auch im Falle der versuchten Bombenanschläge auf Regionalzüge in Dortmund und Koblenz haben sich die Täter nach den Erkenntnissen der Ermittler die für die Kofferbomben erforderlichen Gegenstände zur Vorbereitung der geplanten Taten beschafft und in ihren Wohnungen bereits grundsätzlich funktionstüchtige Sprengsätze gebaut.

    4. die Finanzierung eines terroristischen Anschlags

    Die neue Vorschrift erfasst das Zur-Verfügung-Stellen von Geldmitteln in nicht unerheblicher Menge, um beispielsweise die zur Tat erforderlichen Sprengstoffe zu kaufen, Wohnungen anzumieten oder Flugtickets zu buchen. Erfasst wird auch das Sammeln vermeintlicher „Spenden“ zur Vorbereitung eines Anschlags.

    II. Anleitung zu einer Gewalttat / § 91 StGB (neu)

    Die Vorschriften über das Anleiten zu staatsschutzrelevanten Gewalttaten ergänzen die bestehenden allgemeinen Strafvorschriften. Mit dem neuen § 91 StGB wird vor allem das Verbreiten oder das Anpreisen von terroristischen „Anleitungen“ - beispielsweise im Internet – erfasst und mit bis zu drei Jahren Haft bestraft.

    Das Internet als weltweiter Kommunikationsraum hat als Propagandamedium für Terroristen in erheblichem Umfang an Bedeutung gewonnen. Auf vielen dieser Seiten sind Anleitungen für die Herstellung von Sprengstoffen, den Bau von Sprengvorrichtungen oder die Ausbildung in terroristischen Trainingslagern auch ohne konkreten Tatbezug eingestellt. Solche Anleitungen stellen eine erhebliche Gefahr für den öffentlichen Frieden dar, da sie ohne weitere Zwischenschritte zur Vorbereitung von Gewalttaten verwendet werden können und nach den Erkenntnissen der Strafverfolgungsbehörden auch verwendet werden.

    Trotz der von ihnen ausgehenden Gefahr werden solche Anleitungen von den bereits geltenden Strafvorschriften, die das Anleiten zu Straftaten ahnden (§§ 111, 130a StGB , sowie im Sprengstoff- und Waffenrecht), nicht hinreichend erfasst.

    Diese Probleme der Praxis soll der neue § 91 StGB lösen. Entscheidende Neuerung ist, dass eine solche Anleitung vom Täter nicht mehr dazu „bestimmt“ sein muss, einen bestimmten Schaden eintreten zu lassen. Dieses Tatbestandsmerkmal hat den Strafverfolgern in der Vergangenheit die Arbeit wesentlich erschwert, da es wegen seines subjektiven Gehalts schwierig nachzuweisen ist. Statt dessen soll es künftig ausreichen, dass die jeweilige Anleitung nach den Umständen ihrer Verbreitung (z. B. im Rahmen einer islamistischen oder auch rechtsextremistischen Webseite) objektiv geeignet ist, die Bereitschaft anderer zu fördern oder zu wecken, eine Gewalttat mit einer staatsschutzrelevanten Zielsetzung zu begehen.

    Ebenfalls bestraft werden soll, wer sich eine solche Anleitung (zum Beispiel durch Herunterladen aus dem Internet) zur Begehung einer solchen Gewalttat verschafft.

    Beispiele:

    a) Zur Vorbereitung der versuchten Anschläge auf Regionalzüge in Koblenz und Dortmund haben sich die Täter nach dem Ergebnis der Ermittlungen aus dem Internet Bombenbauanleitungen heruntergeladen und diese zur Herstellung ihrer grundsätzlich funktionstüchtigen Sprengsätze verwendet.

    b) Eine bereits fest zur Begehung eines Selbstmordanschlags entschlossene allein agierende, islamistisch motivierte Person experimentiert nach der Auskundschaftung von geeigneten Tatobjekten in abgelegenen Wäldern mit Sprengstoffen. Die erforderlichen Bombenbauanleitungen hat sich der Betreffende zur Vorbereitung des Anschlags aus dem Internet heruntergeladen.

    Ausgenommen von der Strafbarkeit sind solche Handlungen, die zwar den objektiven Tatbestand der Strafnorm erfüllen, die aber ausschließlich der Erfüllung rechtmäßiger beruflicher oder dienstlicher Pflichten oder der Forschung, Wissenschaft oder Lehre dienen.

    Straflos sind etwa Recherchen der Polizei im Internet, bei der einschlägige Webseiten identifiziert und zu diesem Zweck auch aufgerufen werden müssen. Weiterhin bereits nicht vom Tatbestand erfasst sind beispielsweise auch Anleitungen in Chemiebaukästen oder Lehrbüchern.

    III. Begleitregelungen

    a. Verfahrensrecht

    Ergänzt werden die beiden neuen Tatbestände im Strafgesetzbuch durch Begleitregelungen. So sollen die Strafverfolgungsbehörden die notwendigen Instrumentarien auch in diesem Bereich der Terrorismusbekämpfung erhalten. Deshalb gelten künftig jene strafprozessualen Vorschriften (z. B. die Durchsuchung, Beschlagnahme, Wohnraumüberwachung, Telefonüberwachung), die nach geltendem Recht bereits im Zusammenhang mit terroristisch motivierten Taten Anwendung finden, auch bei Ermittlungen wegen § 89a StGB.

    Zudem wird durch die Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes für den Generalbundesanwalt die Möglichkeit eröffnet, bei einer besonderen Bedeutung des Falles bei Straftaten nach § 89a StGB die Strafverfolgung zu übernehmen.

    b. AufenthaltsrechtSchließlich soll ein Ausländer, bei dem Tatsachen vorliegen, die die Annahme rechtfertigen, dass er die oben beschriebenen Tatbestände erfüllt, ausgewiesen oder an der Wiedereinreise nach Deutschland gehindert werden können. Die dafür notwendige aufenthaltsrechtliche Regelung wird das Bundesministerium des Innern im Rahmen der Ressortabstimmung des Gesetzentwurfs ergänzen.

    IV. Weiteres Verfahren

    Nach Abstimmung innerhalb der Bundesregierung wird der Referentenentwurf an Länder und Verbände zur Stellungnahme übersandt, mit dem Ziel, schnellstmöglich einen Regierungsentwurf durch das Bundeskabinett beschließen zu lassen.

    12 September 2007

    BGH zu Schönheitsreparaturen

    Nr. 125/2007

    Neue Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur Vornahme von Schönheitsreparaturen:

    Unwirksamkeit von isolierten Endrenovierungsklauseln

    Der unter anderem für das Wohnraummietrecht zuständige VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat heute entschieden, dass eine formularvertragliche Endrenovierungspflicht des Mieters auch ohne Verpflichtung zur Vornahme laufender Schönheitsreparaturen (isolierte Endrenovierungsklausel) in Wohnraummietverträgen unwirksam ist, weil sie den Mieter unangemessen benachteiligt (§ 307 Abs. 1 Satz 1 BGB).

    Die Kläger sind Mieter, der Beklagte ist Vermieter einer Wohnung in Bremen. Der Mietvertrag vom 2. Mai 2005 enthält zu Schönheitsreparaturen nur folgende Regelung:
    "Bei Auszug ist die Wohnung fachgerecht renoviert gem. Anlage zurückzugeben."

    In der Anlage zum Mietvertrag heißt es unter Nr. 10:
    "Zustand der Mieträume: Die Wohnung wird in einem einwandfrei renovierten Zustand übergeben. Bei Auszug ist die Wohnung fachgerecht renoviert zurückzugeben. Die Wände sind mit Rauhfaser tapeziert und weiß gestrichen. Die Türzargen, Fensterrahmen und Heizkörper sind weiß lackiert. Teppichboden ist fachmännisch zu reinigen."

    Die Kläger haben unter anderem die Feststellung begehrt, dass Nr. 10 der Anlage zum Mietvertrag unwirksam sei mit der Folge, dass sie zur Vornahme von Schönheitsreparaturen nicht verpflichtet seien. Das Amtsgericht hat die Klage als unzulässig abgewiesen. Das Landgericht hat die Berufung der Kläger zurückgewiesen.
    Die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Kläger hatte Erfolg. Der Bundesgerichtshof hat festgestellt, dass Nr. 10 der Anlage zum Mietvertrag unwirksam ist mit der Folge, dass die Kläger zur Vornahme von Schönheitsreparaturen in dieser Wohnung nicht verpflichtet sind.
    Anders als das Berufungsgericht gemeint hat, folgt weder aus dem Mietvertrag noch aus Nr. 10 der Anlage dazu, dass der Vertrag dem Mieter Schönheitsreparaturen nur insoweit auferlegt, als nach dem Abnutzungszustand hierfür ein Bedürfnis besteht. Aus der maßgeblichen Sicht eines durchschnittlichen Mieters liegt ein Verständnis dahin näher, dass die Wohnung bei Auszug in jedem Fall frisch renoviert sein muss oder jedenfalls seit der letzten Renovierung keine Abnutzungsspuren aufweisen darf.

    Als uneingeschränkte Endrenovierungsverpflichtung ist die Formularbestimmung unwirksam, weil sie den Mieter unangemessen benachteiligt (§ 307 Abs. 1 Satz 1 BGB). Der Bundesgerichtshof hat bereits wiederholt entschieden, dass eine Regelung in einem vom Vermieter verwandten Formularmietvertrag über Wohnraum unwirksam ist, wenn sie den Mieter verpflichtet, die Mieträume bei Beendigung des Mietverhältnisses unabhängig vom Zeitpunkt der Vornahme der letzten Schönheitsreparaturen renoviert zu übergeben. Danach benachteiligt eine Endrenovierungspflicht des Mieters, die unabhängig ist vom Zeitpunkt der letzten Renovierung sowie vom Zustand der Wohnung bei seinem Auszug, den Mieter auch dann unangemessen, wenn ihn während der Dauer des Mietverhältnisses keine Verpflichtung zur Vornahme von Schönheitsreparaturen trifft. Denn sie verpflichtet den Mieter, die Wohnung bei Beendigung des Mietverhältnisses auch dann zu renovieren, wenn er dort nur kurze Zeit gewohnt hat oder erst kurz zuvor (freiwillig) Schönheitsreparaturen vorgenommen hat, so dass bei einer Fortdauer des Mietverhältnisses für eine (erneute) Renovierung kein Bedarf bestünde.
    Urteil vom 12. September 2007 - VIII ZR 316/06
    AG Bremen - Urteil vom 21. Februar 2006 - 25 C 371/05 ./.
    LG Bremen - Urteil vom 3. November 2006 - 4 S 112/06
    Pressestelle des Bundesgerichtshofs 76125 KarlsruheTelefon (0721) 159-5013Telefax (0721) 159-5501

    27 Juli 2007

    BVerfG zur Pressefreiheit (CICERO)

    Durchsuchung und Beschlagnahme bei CICERO verletzen Pressefreiheit

    Die Anordnung der Durchsuchung der Redaktionsräume von CICERO und die
    Beschlagnahme der dort aufgefundenen Beweismittel stellen einen
    verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigten Eingriff in die
    Pressefreiheit des Beschwerdeführers dar. Die Gerichte haben dem
    verfassungsrechtlich gebotenen Informantenschutz nicht hinreichend
    Rechnung getragen. Die bloße Veröffentlichung eines Dienstgeheimnisses
    in der Presse durch einen Journalisten reicht nicht aus, um einen zu
    einer Durchsuchung und Beschlagnahme ermächtigenden Verdacht der
    Beihilfe des Journalisten zum Geheimnisverrat zu begründen. Erforderlich
    sind vielmehr spezifische tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen
    einer von einem Geheimnisträger bezweckten Veröffentlichung des
    Geheimnisses und damit einer beihilfefähigen Haupttat. Solche
    Anhaltspunkte lagen im Fall der Durchsuchung der Redaktionsräume des
    Politmagazins CICERO nicht vor. Dies entschied der Erste Senat des
    Bundesverfassungsgerichts mit Urteil vom 27. Februar 2007. Damit war die
    Verfassungsbeschwerde des Chefredakteurs von CICERO erfolgreich. Die
    Entscheidung ist mit 7 : 1 Stimmen ergangen.

    (Zum Sachverhalt vgl. Pressemitteilung Nr. 69/2006 vom 31. Juli 2006)

    Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:

    I. Die Anordnung der Durchsuchung der Redaktion und die Beschlagnahme
    der dort gefundenen Beweismittel verletzen den Beschwerdeführer in
    seinem Grundrecht auf Pressefreiheit.

    1. Die Durchsuchung der Presseräume stellt wegen der damit
    verbundenen Störung der redaktionellen Arbeit eine
    Beeinträchtigung der Pressefreiheit dar. Durch die Anordnung der
    Beschlagnahme von Datenträgern zum Zwecke der Auswertung ist den
    Ermittlungsbehörden darüber hinaus die Möglichkeit des Zugangs zu
    redaktionellem Datenmaterial eröffnet worden. Dies greift in
    besonderem Maße in die vom Grundrecht der Pressefreiheit umfasste
    Vertraulichkeit der Redaktionsarbeit ein, aber auch in ein
    etwaiges Vertrauensverhältnis zu Informanten.

    2. Der Eingriff ist verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt. Die
    Gerichte haben bei der Auslegung und Anwendung der zur
    Durchsuchung und Beschlagnahme ermächtigenden Normen dem
    verfassungsrechtlich gebotenen Informantenschutz nicht
    hinreichend Rechnung getragen. Der den gerichtlichen Anordnungen
    zugrunde liegende Tatverdacht gegen den Beschwerdeführer reichte
    für eine Durchsuchung der Redaktionsräume und die Beschlagnahme
    von Beweismitteln nicht aus.

    a) § 353 b StGB stellt die unbefugte Offenbarung eines
    Dienstgeheimnisses unter Strafe. Allein die Veröffentlichung
    des Geheimnisses in der Presse deutet allerdings nicht
    zwingend auf das Vorliegen einer derartigen Haupttat durch den
    Geheimnisträger hin. Der Tatbestand des § 353 b StGB ist
    beispielsweise nicht verwirklicht und eine Beihilfe daher
    nicht möglich, wenn Schriftstücke oder Dateien mit
    Dienstgeheimnissen versehentlich oder über eine nicht zur
    Geheimhaltung verpflichtete Mittelsperson nach außen gelangen.
    Will der Geheimnisträger dem Journalisten nur
    Hintergrundinformationen liefern und erfolgt die
    Veröffentlichung abredewidrig, ist die Tat mit der Offenbarung
    des Geheimnisses bereits beendet; dann kann eine Beihilfe
    durch die nachfolgende Veröffentlichung gar nicht mehr
    geleistet werden. In solchen Fällen kann eine Durchsuchung und
    Beschlagnahme nicht mit dem Ziel der Aufklärung einer
    Beihilfehandlung des Journalisten angeordnet werden.

    b) Durchsuchungen und Beschlagnahmen in einem
    Ermittlungsverfahren gegen Presseangehörige sind
    verfassungsrechtlich unzulässig, wenn sie ausschließlich oder
    vorwiegend dem Zweck dienen, die Person des Informanten zu
    ermitteln. Auch wenn die betreffenden Angehörigen von Presse
    oder Rundfunk selbst Beschuldigte sind, dürfen in gegen sie
    gerichteten Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts einer
    Beihilfe zum Dienstgeheimnisverrat Durchsuchungen sowie
    Beschlagnahmen zwar zur Aufklärung der ihnen zur Last gelegten
    Straftat angeordnet werden, nicht aber zu dem Zweck,
    Verdachtsgründe insbesondere gegen den Informanten zu finden.
    Das Risiko einer Verletzung des verfassungsrechtlich gebotenen
    Informantenschutzes ist besonders groß, wenn der Verdacht
    einer Beihilfe allein darauf gestützt wird, dass das
    Dienstgeheimnis in der Presse veröffentlicht worden ist und
    das maßgebende Schriftstück allem Anschein nach unbefugt in
    die Hände des Journalisten gelangt war. In einer solchen
    Situation kann die Staatsanwaltschaft den betroffenen
    Journalisten durch Einleitung eines gegen ihn gerichteten
    Ermittlungsverfahrens zwar – verfassungsrechtlich zulässig –
    zum Beschuldigten machen. Würde jedweder Verdacht aber auch
    für die Anordnung von Durchsuchung und Beschlagnahme bei
    Angehörigen von Presse und Rundfunk ausreichen, hätte die
    Staatsanwaltschaft es in ihrer Hand, durch die Entscheidung
    zur Einleitung des Ermittlungsverfahrens den besonderen
    grundrechtlichen Schutz der Medienangehörigen zum Wegfall zu
    bringen. Deshalb müssen die strafprozessualen Normen über die
    Durchsuchung und Beschlagnahme dahingehend ausgelegt werden,
    dass die bloße Veröffentlichung des Dienstgeheimnisses durch
    einen Journalisten nicht ausreicht, um einen diesen
    Vorschriften genügenden Verdacht der Beihilfe des Journalisten
    zum Geheimnisverrat zu begründen. Zu fordern sind vielmehr
    spezifische tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer
    vom Geheimnisträger bezweckten Veröffentlichung des
    Geheimnisses und damit einer beihilfefähigen Haupttat.

    c) Nach diesen Maßstäben widersprach die vorliegend angeordnete
    Durchsuchung und Beschlagnahme dem von der Pressefreiheit
    gewährleisteten Schutz der Redaktionsarbeit unter Einschluss
    des Informantenschutzes. Die Anordnung erfolgte in einer
    Situation, in der es keine Anhaltspunkte außer der
    Veröffentlichung des Berichts in der Zeitschrift dafür gegeben
    hatte, dass ein Geheimnisverrat durch den Geheimnisträger
    vorliegen könnte. Alle Ermittlungen in diese Richtung waren
    zuvor erfolglos geblieben. Damit sollte die Durchsuchung
    letztlich vorwiegend die Ermittlung des mutmaßlichen
    Informanten aus dem Bundeskriminalamt ermöglichen.

    II. Darüber hinaus verletzt der Beschluss des Landgerichts, in welchem
    das Gericht die Erledigung der gegen die Beschlagnahmebestätigung
    gerichteten Beschwerde festgestellt hat, den Beschwerdeführer in
    seinem Recht auf Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes.
    Angesichts der schwer wiegenden Beeinträchtigungen der
    Pressefreiheit musste es dem Beschwerdeführer ermöglicht werden, die
    Bestätigung der Beschlagnahme redaktionellen Materials einer
    gerichtlichen Kontrolle zu unterziehen.

    Bundesverfassungsgericht - Pressestelle -

    Pressemitteilung Nr. 21/2007 vom 27. Februar 2007

    Zum Urteil vom 27. Februar 2007 – 1 BvR 538/06; 1 BvR 2045/06 –

    23 Mai 2007

    BGH: Mietflächen-Abweichung 10%

    Urteil des Bundesgerichtshofs zur Mieterhöhung, wenn die vermietete Wohnung tatsächlich größer ist als vertraglich vereinbart

    Gemäß § 558 BGB kann der Vermieter vom Mieter unter bestimmten Voraussetzungen Zustimmung zu einer Erhöhung der Miete bis zu örtlichen Vergleichsmiete verlangen. Maßgebend hierfür ist insbesondere die Größe der Wohnung (§ 558 Abs. 2 Satz 1 BGB). Der unter anderem für das Wohnraummietrecht zuständige VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hatte über die Frage zu entscheiden, ob es für die Berechnung einer zulässigen Mieterhöhung auf die tatsächliche oder auf die im Vertrag angegebene Wohnfläche ankommt, wenn die tatsächliche Wohnungsgröße die im Vertrag angegebene überschreitet.

    Im vorliegenden Fall war die Wohnfläche im Mietvertrag mit 121,49 m² angegeben. Tatsächlich beträgt sie 131,80 m². Durch Schreiben vom 31. Mai 2005 verlangte der Vermieter – auf der Grundlage der tatsächlichen Wohnungsgröße – die Zustimmung der Mieterin zu einer Erhöhung der Bruttokaltmiete von 494,24 € auf 521,80 €. Die Mieterin lehnte dies ab; nach ihrer Ansicht soll es auf die im Mietvertrag angegebene Wohnungsgröße ankommen.

    Das Amtsgericht hat der auf Zustimmung zur Mieterhöhung gerichteten Klage des Vermieters stattgegeben. Die Berufung der beklagten Mieterin ist ohne Erfolg geblieben.

    Auf die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Beklagten hat der Bundesgerichtshof die Klage abgewiesen. Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass es grundsätzlich auf die vertraglich vereinbarte Wohnfläche ankommt. Die Angabe der Wohnfläche von 121,49 m² im Mietvertrag der Parteien war - anders als das Berufungsgericht gemeint hat - keine unverbindliche Objektbeschreibung, sondern eine rechtsverbindliche Vereinbarung über die Beschaffenheit der Wohnung. Die davon abweichende tatsächliche Wohnungsgröße ist jedenfalls dann nicht maßgebend, wenn die Wohnflächenabweichung nicht mehr als 10% beträgt. Dies hat der Bundesgerichtshof bereits für den umgekehrten Fall eines Mieterhöhungsverlangens, bei dem die tatsächliche Wohnfläche geringer war als angegeben, entschieden (Urteil vom 7. Juli 2004 - VIII ZR 192/03, NJW 2004, 3115), und Gleiches gilt auch hier. Erst bei einer Flächenabweichung von mehr als 10 % kann es dem Vermieter unter bestimmten Voraussetzungen nicht mehr zugemutet werden, an der vertraglichen Vereinbarung über die Wohnungsgröße festgehalten zu werden. Diese Grenze war im vorliegenden Fall jedoch nicht überschritten, so dass die zulässige Mieterhöhung nach der im Vertrag angegebenen Wohnfläche zu berechnen war.

    Urteil vom 23. Mai 2007 - VIII ZR 138/06

    AG Berlin-Tempelhof-Kreuzberg - Urteil vom 18. November 2005 – 9 C 335/05

    LG Berlin – Urteil vom 20. April 2006 - 62 S 11/06

    Karlsruhe, den 20. Juni 2007

    20 März 2007

    BVerfG zur Videoüberwachung öffentl. Plätze

    Städtische Videoüberwachung eines Kunstwerks in Regensburg entbehrt gesetzlicher Grundlage

    Die Stadt Regensburg ließ 2005 über den Resten der ehemaligen
    mittelalterlichen Synagoge auf dem Neupfarrplatz ein Bodenrelief
    herstellen, das den Grundriss der ehemaligen Synagoge andeutet. Das
    Kunstwerk ist als Begegnungsstätte für die Bevölkerung konzipiert. In
    der Vergangenheit kam es im Bereich des Kunstwerks zu mehreren
    Vorfällen, aufgrund derer die Stadt Regensburg eine Videoüberwachung des
    Ortes mit vier Überwachungskameras für erforderlich hielt. Die Stadt
    beabsichtigt, die Überwachung in eigener Zuständigkeit auf der Grundlage
    des Bayerischen Datenschutzgesetzes durchzuführen. Gegen die geplante
    Videoüberwachung der Begegnungsstätte erhob der Beschwerdeführer Klage.
    Das Verwaltungsgericht wies die Klage ab. Hiergegen gerichtete
    Rechtsmittel blieben vor dem BayerischenVerwaltungsgerichtshof ohne
    Erfolg.

    Die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat die
    angegriffenen Entscheidungen aufgehoben, da es für die geplante
    Videoüberwachung mit Aufzeichnung des gewonnenen Bildmaterials an einer
    hinreichenden gesetzlichen Ermächtigung fehle.

    Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:
    Die geplante Videoüberwachung des Bodenkunstwerks mit Aufzeichnung des
    gewonnenen Bildmaterials stellt einen Eingriff von erheblichem Gewicht
    in das allgemeine Persönlichkeitsrecht in seiner Ausprägung als Recht
    der informationellen Selbstbestimmung dar. Das durch die
    Videoüberwachung gewonnene Bildmaterial kann und soll dazu genutzt
    werden, belastende hoheitliche Maßnahmen gegen Personen vorzubereiten,
    die in dem von der Überwachung erfassten Bereich bestimmte unerwünschte
    Verhaltensweisen zeigen. Die offene Videoüberwachung eines öffentlichen
    Ortes kann und soll zugleich abschreckend wirken und insofern das
    Verhalten der Betroffenen lenken. Das Gewicht dieser Maßnahme wird
    dadurch erhöht, dass infolge der Aufzeichnung das gewonnene Bildmaterial
    in vielfältiger Weise ausgewertet, bearbeitet und mit anderen
    Informationen verknüpft werden kann. Von den Personen, die die
    Begegnungsstätte betreten, dürfte nur eine Minderheit gegen die
    Benutzungssatzung oder andere rechtliche Vorgaben, die sich aus der
    allgemeinen Rechtsordnung für die Benutzung der Begegnungsstätte
    ergeben, verstoßen. Die Videoüberwachung und die Aufzeichnung des
    gewonnenen Bildmaterials erfassen daher überwiegend Personen, die selbst
    keinen Anlass schaffen, dessentwegen die Überwachung vorgenommen wird.

    Angesichts des erheblichen Gewichts der Grundrechtsbeeinträchtigung kann
    die geplante Videoüberwachung nicht auf Art. 16 Abs. 1 und Art. 17 Abs.
    1 Bayerisches Datenschutzgesetz gestützt werden. Diese Normen enthalten
    keine hinreichenden Vorgaben für Anlass und Grenzen der erfassten
    datenbezogenen Maßnahmen, um als Ermächtigungsgrundlage für den
    beabsichtigten Grundrechtseingriff in Betracht zu kommen. Sie begrenzen
    die Datenerhebung lediglich durch das Gebot der Erforderlichkeit. Dies
    allein kann die behördliche Praxis aber nicht hinreichend anleiten oder
    Kontrollmaßstäbe bereitstellen.

    Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass eine Videoüberwachung
    öffentlicher Einrichtungen mit Aufzeichnung des gewonnenen Bildmaterials
    auf der Grundlage einer hinreichend bestimmten und normenklaren
    Ermächtigungsgrundlage materiell verfassungsgemäß sein kann, wenn für
    sie ein hinreichender Anlass besteht und Überwachung sowie Aufzeichnung
    insbesondere in räumlicher und zeitlicher Hinsicht und im Hinblick auf
    die Möglichkeit der Auswertung der Daten das Übermaßverbot wahren.

    Pressemitteilung Nr. 31/2007 vom 20. März 2007

    Zum Beschluss vom 23. Februar 2007 – 1 BvR 2368/06 –

    16 März 2007

    BVerfG zur TV-Gerichtsberichtserstattung

    Eilantrag des ZDF gegen Film-Verbot weitgehend erfolgreich

    Am 19. März 2007 beginnt vor dem Landgericht Münster die auf mehrere
    Tage angesetzte Verhandlung gegen 18 Bundeswehrausbilder, die ihre
    Untergebenen in einer Kaserne im westfälischen Coesfeld misshandelt
    haben sollen. Im Vorfeld der Verhandlung ordnete das Gericht den
    Ausschluss von Foto- und Fernsehteams aus dem Sitzungssaal für einen
    Zeitraum von 15 Minuten vor Prozessbeginn und 10 Minuten nach
    Prozessende an. Hiergegen richtet sich die Verfassungsbeschwerde des
    ZDF, das eine Fernsehberichterstattung über das Strafverfahren
    beabsichtigt. Zugleich hat das ZDF den Antrag gestellt, im Wege des
    vorläufigen Rechtsschutzes seinem dreiköpfigen Fernsehteam die
    Anfertigung von Filmaufnahmen bis zum Einzug des Gerichts in den
    Sitzungssaal zu ermöglichen.

    Der Eilantrag des ZDF war weitgehend erfolgreich. Die 1. Kammer des
    Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat den Vorsitzenden der 8.
    Strafkammer des Landgerichts Münster angewiesen, dem Fernsehteam des ZDF
    zu ermöglichen, vor Beginn und am Ende der Verhandlungen Filmaufnahmen
    der im Sitzungssaal anwesenden Verfahrensbeteiligten einschließlich der
    Angeklagten zu fertigen, und hierbei die Anwesenheit der Richter und
    Schöffen der Strafkammer im Sitzungssaal zu gewährleisten. Die
    Fernsehbilder dürfen jedoch nur nach Anonymisierung der Gesichter der
    Angeklagten weitergegeben und veröffentlicht werden.

    Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde:
    Bei der gebotenen Abwägung kommt den Belangen der Antragstellerin
    Vorrang zu. Die besonderen Umstände der Straftat sowie die über diese
    konkrete Straftat hinausreichende aktuelle öffentliche Diskussion über
    das Verhalten von Militärangehörigen begründen ein gewichtiges
    Informationsinteresse der Öffentlichkeit. Mit dem angeordneten
    umfassenden Verbot der Anfertigung von Filmaufnahmen würde die
    Antragstellerin unwiederbringlich gehindert, dem gegenwärtig besonders
    lebhaften Interesse der Öffentlichkeit auch an einer
    Bildberichterstattung über die beteiligten Personen Rechnung zu tragen.
    Demgegenüber sind Beeinträchtigungen des allgemeinen
    Persönlichkeitsrechts der Richter und Schöffen aus einer Anfertigung und
    Verbreitung von Filmaufnahmen von diesen hinzunehmen, da sie kraft des
    ihnen übertragenen Amtes anlässlich einer öffentlichen Verhandlung
    ohnedies im Blickfeld der Öffentlichkeit unter Einschluss der
    Medienöffentlichkeit stehen. Eine Beeinträchtigung von Belangen der
    Wahrheitsfindung aus der Zulassung von Filmaufnahmen der Angeklagten und
    ihrer Verteidiger steht gleichfalls nicht mit hinreichender
    Wahrscheinlichkeit zu erwarten. Die Rechtsanwälte haben in ihrer
    Funktion als Organ der Rechtspflege grundsätzlich Aufnahmen hinzunehmen,
    soweit sie als Beteiligte in einem Verfahren mitwirken, an dessen
    bildlicher Darstellung ein öffentliches Informationsinteresse besteht.
    Bei den Angeklagten handelt es sich um Unteroffiziere der Bundeswehr und
    damit um einen Personenkreis, bei dem die Fähigkeit vorausgesetzt werden
    darf, sich der öffentlichen Aufmerksamkeit auch in ungewohnten
    Situationen gewachsen zu zeigen. Werden Filmaufnahmen der Angeklagten
    vor der Weitergabe und Veröffentlichung anonymisiert, wiegen die aus den
    verbleibenden Möglichkeiten ihrer Identifizierung zu erwartenden
    Nachteile gering.

    Pressemitteilung Nr. 30/2007 vom 16. März 2007

    Zum Beschluss vom 15. März 2007 – 1 BvR 620/07 –

    12 März 2007

    BVerfG zum Tornado-Einsatz in Afghanistan

    Eilantrag gegen Tornado-Einsatz abgelehnt

    Am 9. März 2007 stimmte der Deutsche Bundestag dem Antrag der
    Bundesregierung zur Entsendung von Aufklärungsflugzeugen des Typs
    Tornado nach Afghanistan zu. Hiergegen richtet sich die Organklage
    zweier Bundestagsabgeordneter, verbunden mit dem Antrag auf Erlass einer
    einstweiligen Anordnung. Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts
    hat den Eilantrag mit Beschluss vom heutigen Tage abgelehnt. Für eine
    einstweilige Anordnung ist kein Raum, da die in der Hauptsache
    gestellten Anträge unzulässig sind. Soweit die Antragsteller mit ihrer
    Klage Rechte des Bundestages geltend machen, sind sie hierzu nicht
    befugt. Soweit sie die Verletzung eigener Rechte rügen, haben sie eine
    Verletzung oder Gefährdung ihrer Statusrechte als Abgeordnete nicht
    dargetan.

    Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:
    Soweit die Antragsteller geltend machen, die Bundesregierung habe Rechte
    des Bundestages aus Art. 59 Abs. 2 und Art. 20 Abs. 2 GG verletzt, indem
    sie es unterlassen habe, einem „das Zustimmungsgesetz zum NATO-Vertrag
    überschreitenden stillen Bedeutungswandel von Art. 1 NATO-Vertrag
    entgegenzuwirken“, und sich „aktiv an diesem Bedeutungswandel beteiligt“
    habe, setzt die Zulässigkeit des Antrags voraus, dass die Antragsteller
    befugt sind, Rechte des Bundestages im Wege der Prozessstandschaft
    geltend zu machen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
    ist der einzelne Abgeordnete aber nicht befugt, solche Rechte im
    Organstreit als Prozessstandschafter geltend zu machen.

    Soweit die Antragsteller eine Verletzung eigener Rechte durch Maßnahmen
    oder Unterlassungen der Bundesregierung geltend machen, fehlt es bereits
    an der schlüssigen Darlegung eines die Antragsteller und die
    Bundesregierung umschließenden Verfassungsrechtsverhältnisses. Der
    Vortrag der Antragsteller, die Bundesregierung verletze sie in ihren
    Rechten, indem sie an einer Änderung des NATO-Vertrages ohne formelle,
    gemäß Art. 59 Abs. 2 GG einen Gesetzesbeschluss des Bundestages
    erfordernde Vertragsänderung mitwirke, ist nicht geeignet, ein
    derartiges Rechtsverhältnis darzulegen. Die Frage nach dem
    verfassungsrechtlichen Erfordernis eines Zustimmungsgesetzes nach Art.
    59 Abs. 2 GG betrifft die Abgrenzung der Kompetenzen von Bundestag und
    Bundesregierung und berührt nicht den Status des einzelnen Abgeordneten.

    Mit ihrer Rüge, der Bundestag habe durch seinen Beschluss vom 9. März
    2007 über den Antrag der Bundesregierung einen Militäreinsatz
    ermöglicht, der nur nach Änderung des NATO-Vertrages unter
    parlamentarischer Beteiligung in Form eines Zustimmungsgesetzes hätte
    ermöglicht werden dürfen, haben die Antragsteller eine mögliche
    Verletzung oder Gefährdung eigener Statusrechte ebenfalls nicht
    dargetan. Der Status der Antragsteller wird nicht von der Frage berührt,
    ob ein Beschluss des Bundestages rechtswirksam ist oder nicht. Das
    Organstreitverfahren dient dem Schutz der Rechte der Staatsorgane im
    Verhältnis zueinander, nicht einer allgemeinen Verfassungsaufsicht.

    Pressemitteilung Nr. 29/2007 vom 12. März 2007

    Zum Beschluss vom 12. März 2007 – 2 BvE 1/07 –

    08 März 2007

    BVerfG zum Schlichtungsrecht

    Die im Gütestellen- und Schlichtungsgesetz des Landes Nordrhein-
    Westfalen vorgesehene Verpflichtung zur Durchführung eines
    außergerichtlichen Schlichtungsverfahrens vor einer Inanspruchnahme der
    staatlichen Gerichte ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
    Insbesondere verstößt die Regelung nicht gegen den allgemeinen
    Justizgewährungsanspruch. Mit dieser Begründung hat die 1. Kammer des
    Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts die Verfassungsbeschwerde
    eines Beschwerdeführers nicht zur Entscheidung angenommen, dessen
    Schadenersatzklage über 310 DM vom Amtsgericht wegen Nichtdurchführung
    eines Schlichtungsverfahrens abgewiesen worden war.

    Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:
    Die Regelung über die obligatorische Streitschlichtung, die der
    einverständlichen Konfliktbewältigung und damit der Entlastung der
    Ziviljustiz dient, belastet den Rechtsuchenden nicht unangemessen. Ihm
    wird in keinem Fall der Zugang zu den staatlichen Gerichten versperrt.
    Die Regelung erschwert ihn zwar und führt bei einem Scheitern des
    Einigungsversuchs zu Verzögerungen und höheren Kosten. Dieser möglichen
    Beeinträchtigung stehen aber hinreichende Vorteile für den
    Rechtsuchenden gegenüber. Im Erfolgsfalle führt die außergerichtliche
    Streitschlichtung dazu, dass eine Inanspruchnahme der staatlichen
    Gerichte wegen der schon erreichten Einigung entbehrlich ist, so dass
    die Streitschlichtung für die Betroffenen kostengünstiger und vielfach
    wohl auch schneller erfolgen kann als eine gerichtliche
    Auseinandersetzung.

    Der Gesetzgeber durfte auch davon ausgehen, dass die gesetzlichen
    Eignungskriterien, die für die als Gütestellen handelnden Personen
    maßgeblich sind, nicht voll mit denen identisch sein müssen, die für den
    Einsatz rechtsberatender Berufe kennzeichnend sind. Der Erfolg eines auf
    eine einverständliche Konfliktbewältigung zielenden Verfahrens kann auch
    davon abhängen, dass nicht nur die rechtliche Prägung eines Konflikts
    beachtet wird, sondern auch andere Gesichtspunkte einbezogen werden,
    etwa die Beziehung der Parteien belastende und in der Folge den Konflikt
    prägende Elemente.

    Eine restriktive Auslegung der Regelung dahingehend, dass bei
    erkennbarer Aussichtslosigkeit die Durchführung des
    Schlichtungsverfahrens entbehrlich wird, ist verfassungsrechtlich nicht
    geboten. Der Gesetzgeber durfte typisierend davon ausgehen, dass der
    erfolglose Verlauf vorprozessualer Gespräche zwischen den Parteien nicht
    zwingend auf die Aussichtslosigkeit eines Schlichtungsverfahrens
    hindeutet.

    Pressemitteilung Nr. 28/2007 vom 8. März 2007

    Zum Beschluss vom 14. Februar 2007 – 1 BvR 1351/01 –

    07 März 2007

    BVerfG zu anwaltlichen Erfolgshonoraren

    Gesetzliches Verbot anwaltlicher Erfolgshonorare muss Ausnahmetatbestand zulassen

    Die Bundesrechtsanwaltsordnung untersagt Rechtsanwälten Vereinbarungen,
    durch die eine Vergütung oder ihre Höhe vom Ausgang der Sache oder vom
    Erfolg der anwaltlichen Tätigkeit abhängig gemacht wird oder nach denen
    der Rechtsanwalt einen Teil des erstrittenen Betrages als Honorar
    erhält. Vergleichbare Regelungen bestehen für Patentanwälte, für
    Steuerberater und Steuerbevollmächtigte sowie für Wirtschaftsprüfer. Im
    vorliegenden Fall macht eine Rechtsanwältin die Verfassungswidrigkeit
    des Verbots anwaltlicher Erfolgshonorare geltend. Sie war 1990 von zwei
    in den USA lebenden Mandanten beauftragt worden, deren Ansprüche wegen
    eines in Dresden gelegenen Grundstücks durchzusetzen, das dem Großvater
    der Mandanten gehört hatte und von den nationalsozialistischen
    Machthabern enteignet worden war. Der Rechtsanwältin wurde angeboten,
    dass sie als Honorar ein Drittel des erstrittenen Betrages erhalten
    sollte. In der Folgezeit erwirkte die Beschwerdeführerin zugunsten ihrer
    Mandanten eine Entschädigung in Höhe von insgesamt 312.000 DM. Hiervon
    erhielt sie absprachegemäß 104.000 DM. Das Anwaltsgericht bewertete die
    Streitanteilsvergütung als Verstoß gegen die Grundpflichten eines
    Rechtsanwalts und erteilte der Beschwerdeführerin deswegen einen Verweis
    und verurteilte sie zur Zahlung einer Geldbuße in Höhe von 25.000 €, die
    der Anwaltsgerichtshof auf 5.000 € herabsetzte.

    Die Verfassungsbeschwerde der Rechtsanwältin, mit der diese die
    Verfassungswidrigkeit des gesetzlichen Verbots anwaltlicher
    Erfolgshonorare geltend machte, war teilweise erfolgreich. Der Erste
    Senat des Bundesverfassungsgerichts stellte fest, dass das gesetzliche
    Verbot mit dem Grundrecht auf freie Berufsausübung insoweit nicht
    vereinbar ist, als das Gesetz keine Ausnahmen vorsieht und damit das
    Verbot selbst dann zu beachten ist, wenn der Rechtsanwalt mit der
    Vereinbarung eines Erfolgshonorars besonderen Umständen in der Person
    des Auftraggebers Rechnung trägt, die diesen sonst davon abhielten,
    seine Rechte zu verfolgen. Der Gesetzgeber hat bis zum 30. Juni 2008
    eine Neuregelung zu treffen. Bis dahin bleibt das gesetzliche Verbot
    anwaltlicher Erfolgshonorare jedoch anwendbar; deshalb hat das
    Bundesverfassungsgericht die im vorliegenden Fall ausgesprochene
    berufsgerichtliche Verurteilung der Beschwerdeführerin
    verfassungsrechtlich nicht beanstandet.

    Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:
    Mit dem Verbot anwaltlicher Erfolgshonorare verfolgt der Gesetzgeber
    Gemeinwohlziele, die auf vernünftigen Erwägungen beruhen und daher die
    Beschränkung der Berufsausübung der Rechtsanwälte legitimieren können.
    Das Verbot dient zum einen dem Schutz der anwaltlichen Unabhängigkeit,
    die unverzichtbare Voraussetzung für eine funktionierende Rechtspflege
    ist. Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass der
    Gesetzgeber die anwaltliche Unabhängigkeit bei Vereinbarung eines
    Erfolgshonorars gefährdet sieht. So kann die zur Wahrung der
    Unabhängigkeit gebotene kritische Distanz des Rechtsanwalts zum Anliegen
    des Auftraggebers Schaden nehmen, wenn sich ein Rechtsanwalt auf eine
    Teilhabe am Erfolgsrisiko einer Rechtsangelegenheit eingelassen hat. Vor
    allem aber liegt die Befürchtung nicht völlig fern, dass mit der
    Vereinbarung einer erfolgsbasierten Vergütung für unredliche
    Berufsträger ein zusätzlicher Anreiz geschaffen werden kann, den Erfolg
    „um jeden Preis“ auch durch Einsatz unlauterer Mittel anzustreben. Ein
    weiterer legitimer Zweck des Verbots von Erfolgshonoraren ist in dem
    Schutz der Rechtsuchenden vor einer Übervorteilung durch überhöhte
    Vergütungssätze zu sehen. Einem unredlichen Rechtsanwalt ist es möglich,
    den Mandanten durch unzutreffende Darstellung der Erfolgsaussichten oder
    übertriebene Schilderung des zu erwartenden Arbeitsaufwandes zur
    Vereinbarung einer unangemessen hohen Vergütung zu bewegen. Schließlich
    ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn der Gesetzgeber
    die Zulässigkeit eines Erfolgshonorars als Gefährdung der prozessualen
    Waffengleichheit einschätzt, weil der Beklagte – im Gegensatz zum Kläger
    – nicht über die Möglichkeit verfügt, sein Kostenrisiko auf
    vergleichbare Art zu verlagern. Zur Verfolgung dieser Gemeinwohlziele
    kann das Verbot anwaltlicher Erfolgshonorare auch als geeignet und
    erforderlich angesehen werden.

    Das Verbot von Erfolgshonoraren ist jedoch insoweit unangemessen, als es
    keine Ausnahmen zulässt und damit selbst dann zu beachten ist, wenn der
    Rechtsanwalt mit der Vereinbarung einer erfolgsbasierten Vergütung
    besonderen Umständen in der Person des Auftraggebers Rechnung trägt, die
    diesen sonst davon abhielten, seine Rechte zu verfolgen. Bei der
    Entscheidung der Rechtsuchenden über die Inanspruchnahme anwaltlicher
    Hilfe ist die Kostenfrage von maßgebender Bedeutung. Auch Rechtsuchende,
    die auf Grund ihrer Einkommens- und Vermögensverhältnisse keine
    Prozesskostenhilfe oder Beratungshilfe beanspruchen können, können vor
    der Entscheidung stehen, ob es ihnen die eigene wirtschaftliche Lage
    vernünftigerweise erlaubt, die finanziellen Risiken einzugehen, die
    angesichts des unsicheren Ausgangs der Angelegenheit mit der
    Inanspruchnahme qualifizierter rechtlicher Betreuung und Unterstützung
    verbunden sind. Nicht wenige Betroffene werden das Kostenrisiko auf
    Grund verständiger Erwägungen scheuen und daher von der Verfolgung ihrer
    Rechte absehen. Für diese Rechtsuchenden ist das Bedürfnis anzuerkennen,
    das geschilderte Risiko durch Vereinbarung einer erfolgsbasierten
    Vergütung zumindest teilweise auf den vertretenden Rechtsanwalt zu
    verlagern. In solchen Fällen fördert die Unzulässigkeit anwaltlicher
    Erfolgshonorare nicht die Rechtsschutzgewährung, sondern erschwert den
    Weg zu ihr.

    Der Gesetzgeber kann dieses Regelungsdefizit dadurch beseitigen, dass er
    zwar an dem Verbot grundsätzlich festhält, jedoch für die oben genannte
    Fallgruppe einen Ausnahmetatbestand eröffnet. Zum Schutz der
    Vermögensinteressen der Rechtsuchenden und zum Schutz des Vertrauens in
    die Anwaltschaft kann außerdem die Wirksamkeit der Vereinbarung eines
    Erfolgshonorars von der Erfüllung vergütungsbezogener
    Informationspflichten des Rechtsanwalts gegenüber dem Mandanten abhängig
    gemacht werden. Schließlich ist der Gesetzgeber nicht gehindert, dem
    verfassungswidrigen Regelungsdefizit dadurch die Grundlage zu entziehen,
    dass das Verbot anwaltlicher Erfolgshonorare völlig aufgegeben oder an
    ihm nur noch unter engen Voraussetzungen, wie etwa im Fall
    unzulänglicher Aufklärung des Mandanten, festgehalten wird.

    Pressemitteilung Nr. 27/2007 vom 7. März 2007

    Zum Beschluss vom 12. Dezember 2006 – 1 BvR 2576/04 –

    02 März 2007

    Halbe: Beschwerde der Rechten erfolglos

    Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat heute die Beschwerde des Veranstalters der Versammlung unter dem Motto “Die Treue ist das Mark der Ehre“ gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Cottbus vom gestrigen Tage zurückgewiesen. Die Versammlung sollte auf dem Vorplatz des Waldfriedhofs Halbe stattfinden. Der 1. Senat des Oberverwaltungsgerichts hat die Auffassung des Verwaltungsgerichts bestätigt, wonach dem Veranstalter der Versammlung kein Anspruch auf eine Ausnahmegenehmigung nach dem im Oktober 2006 in Kraft getretenen Gräberstätten-Versammlungsgesetz des Landes Brandenburg zustehe, um eine solche Versammlung in dem durch das Gesetz geschützten Bereich in unmittelbarer Nähe zur Gräberstätte abzuhalten. Auch nach Auffassung des Oberverwaltungsgerichts ist nämlich durch den äußeren Ablauf und den Gegenstand der Versammlung konkret zu befürchten, dass mit dem Aufzug an Formen oder Inhalte nationalsozialistischen Heldengedenkens angeknüpft wird. In einem solchen Fall darf nach dem Gesetz eine Ausnahmegenehmigung nicht erteilt werden (§ 1 Abs. 2 Nr. 1 des Gräberstätten-Versammlungsgesetzes). Das Oberverwaltungsgericht hat bei seiner Bewertung nicht nur das Motto der Versammlung und den zeitlichen Zusammenhang mit Heldengedenkveranstaltungen des NS-Regimes berücksichtigt, sondern auch den Inhalt von Internetaufrufen eines „Freundeskreises Halbe“, die der Veranstalter sich für die Einschätzung des Inhalts seiner Versammlung zurechnen lassen muss.

    Beschluss vom 2. März 2007 - OVG 1 S 24.07 -
    Pressemitteilung Berlin, den 02.03.2007 - 10/2007

    28 Februar 2007

    BVerfG zur Kostentragung künstlicher Befruchtung

    Gesetzgeber darf die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung
    für künstliche Befruchtung auf Ehepaare beschränken


    Es ist mit dem Grundgesetz vereinbar, dass der Gesetzgeber die
    Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen für eine künstliche
    Befruchtung auf Personen beschränkt, die miteinander verheiratet sind.
    Dies entschied der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts mit Urteil
    vom 28. Februar 2007 auf eine Vorlage des Sozialgerichts Leipzig. (Zum
    Sachverhalt vgl. Pressemitteilung Nr. 76 vom 29. August 2006)

    Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:

    1. Ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz liegt nicht vor.
    Zwar schließt das Gesetz die gesetzlich versicherten Partner einer
    nichtehelichen Lebensgemeinschaft von der Sachleistung einer
    medizinischen Maßnahme zur Herbeiführung einer Schwangerschaft aus.
    Sie werden dadurch im Verhältnis zu Ehepaaren finanziell
    benachteiligt und müssen, wenn sie die gewünschte künstliche
    Befruchtung vornehmen wollen, die gesamten Kosten dafür selbst
    tragen.

    Die Ungleichbehandlung wäre im System der gesetzlichen
    Krankenversicherung nicht zu rechtfertigen, würde die künstliche
    Befruchtung der Beseitigung einer Krankheit dienen. Dann hätte die
    Vorschrift, würde sie eine solche Leistung der gesetzlichen
    Krankenkasse nur Verheirateten, nicht aber unverheirateten Personen
    zugute kommen lassen, vor dem allgemeinen Gleichheitssatz keinen
    Bestand. Der Gesetzgeber hat jedoch medizinische Maßnahmen zur
    Herbeiführung einer Schwangerschaft nicht als Behandlung einer
    Krankheit angesehen. Dies ist verfassungsrechtlich nicht zu
    beanstanden. Es liegt im Rahmen der grundsätzlichen Freiheit des
    Gesetzgebers, die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen
    der gesetzlichen Krankenversicherung näher zu bestimmen, auch in
    einem Grenzbereich zwischen Krankheit und solchen körperlichen und
    seelischen Beeinträchtigungen eines Menschen, deren Beseitigung oder
    Besserung durch Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung nicht
    von vornherein veranlasst ist.

    Der Gesetzgeber hatte hinreichende sachliche Gründe, die Gewährung
    von Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung zur Herbeiführung
    einer Schwangerschaft auf Ehepaare zu beschränken. Er durfte daran
    anknüpfen, dass das Bürgerliche Gesetzbuch in Ehegatten Partner einer
    auf Lebenszeit angelegten Gemeinschaft sieht und sie gesetzlich
    anhält, füreinander Verantwortung zu tragen. In der nichtehelichen
    Lebensgemeinschaft kann diese Verantwortung nur freiwillig
    wahrgenommen werden. Es liegt im Einschätzungsermessen des
    Gesetzgebers, dass er die eheliche Partnerschaft als besonders
    geeignet ansieht, die mit den in Frage stehenden medizinischen
    Maßnahmen verbundenen Belastungen und Risiken gemeinsam zu
    bewältigen. Der Gesetzgeber durfte die Ehe auch wegen ihres
    besonderen rechtlichen Rahmens als eine Lebensbasis für ein Kind
    ansehen, die den Kindeswohlbelangen mehr Rechnung trägt als eine
    nichteheliche Partnerschaft. So ist die Ehe auf Lebenszeit angelegt
    und nur unter den Voraussetzungen der Aufhebung oder Scheidung wieder
    auflösbar, während nichteheliche Partnerschaften jederzeit beendet
    werden können. Die ehelichen Bindungen bieten einem Kind
    grundsätzlich mehr rechtliche Sicherheit, von beiden Elternteilen
    betreut zu werden. Auch sind Ehegatten einander gesetzlich
    verpflichtet, durch ihre Arbeit und mit ihrem Vermögen die Familie zu
    unterhalten. Dieser Unterhalt ist mit auf die Bedürfnisse der
    gemeinsamen Kinder ausgerichtet, begünstigt auch sie und bestimmt
    maßgeblich ihre wirtschaftliche und soziale Situation. Eine solche
    Verpflichtung besteht bei Partnern einer nichtehelichen
    Lebensgemeinschaft nicht.

    2. Ein Verstoß gegen den verfassungsrechtlich garantierten Schutz von
    Ehe und Familie liegt ebenfalls nicht vor. Art. 6 Abs. 1 GG kann
    keine Verpflichtung des Gesetzgebers entnommen werden, die Entstehung
    einer Familie durch medizinische Maßnahmen der künstlichen
    Befruchtung mit den Mitteln der gesetzlichen Krankenversicherung zu
    fördern. Es wäre dem Gesetzgeber allerdings verfassungsrechtlich
    nicht verwehrt, auch nichtehelichen Partnern den Weg einer
    Finanzierung der künstlichen Befruchtung durch die gesetzliche
    Krankenversicherung zu öffnen.

    Bundesverfassungsgericht - Pressestelle -

    Pressemitteilung Nr. 22/2007 vom 28. Februar 2007

    Zum Urteil vom 28. Februar 2007 – 1 BvL 5/03 –

    23 Februar 2007

    BVerfG zur Unterschriftensammlung der Polizei

    Die Beschwerdeführerin, eine Polizeigewerkschaft, veranstaltete in
    Nordrhein-Westfalen im Herbst 2002 eine landesweite
    Unterschriftenaktion. Mit einem Flugblatt warb sie unter Hinweis auf
    mehr als sieben Millionen geleisteter Überstunden für die Einstellung
    von 5.000 neuen Polizeibediensteten. Sie legte Flugblätter und
    Unterschriftenlisten auch im öffentlich zugänglichen Bereich von
    Polizeidienststellen aus. In der Folgezeit untersagte das
    Innenministerium des Landes Nordrhein-Westfalen das Auslegen derartiger
    Listen in Polizeidienstgebäuden. Die hiergegen gerichtete Klage der
    Polizeigewerkschaft vor den Arbeitsgerichten war in allen Instanzen
    erfolglos.

    Die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat die
    Verfassungsbeschwerde der Polizeigewerkschaft nicht zur Entscheidung
    angenommen. Eine Verletzung des Grundrechts der Koalitionsfreiheit (Art.
    9 Abs. 3 GG) liegt nicht vor. Die Fachgerichte sind zu Recht davon
    ausgegangen, dass die staatliche Neutralität und das öffentliche
    Vertrauen in die Objektivität und gemeinwohlorientierte Ausführung der
    Amtsgeschäfte beeinträchtigt werden können, wenn sich eine Gewerkschaft
    den – hier sogar räumlich zu verstehenden – Bereich staatlicher
    Aufgabenerfüllung zur Durchsetzung ihrer politischen Forderungen zu
    Nutze zu machen versucht. Das staatliche Anliegen, jeden Anschein einer
    Billigung oder Unterstützung interessengeleiteter Forderungen durch
    seine Bediensteten, Dienststellen und Behörden zu vermeiden, ist
    geeignet, politisch motivierter Betätigung von Interessengruppen
    innerhalb von Dienstgebäuden auch im Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG
    Grenzen zu setzen.

    Pressemitteilung Nr. 19/2007 vom 23. Februar 2007

    Zum Beschluss vom 6. Februar 2007 – 1 BvR 978/05 –

    31 Januar 2007

    BVerfG zum Erbschaftssteuerrecht

    Erbschaftsteuerrecht in seiner derzeitigen Ausgestaltung verfassungswidrig

    Die durch § 19 Abs. 1 ErbStG angeordnete Erhebung der Erbschaftsteuer
    mit einheitlichen Steuersätzen auf den Wert des Erwerbs ist mit dem
    Grundgesetz unvereinbar. Denn sie knüpft an Werte an, deren Ermittlung
    bei wesentlichen Gruppen von Vermögensgegenständen (Betriebsvermögen,
    Grundvermögen, Anteilen an Kapitalgesellschaften und land- und
    forstwirtschaftlichen Betrieben) den Anforderungen des Gleichheitssatzes
    nicht genügt. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, spätestens bis zum 31.
    Dezember 2008 eine Neuregelung zu treffen. Bis zu der Neuregelung ist
    das bisherige Recht weiter anwendbar. Dies entschied der Erste Senat des
    Bundesverfassungsgerichts mit Beschluss vom 7. November 2006 (Tag der
    Beschlussfassung des Senats, nicht der Abfassung der schriftlichen
    Gründe).

    Rechtlicher Hintergrund:

    In § 19 Abs. 1 ErbStG ist unabhängig davon, aus welchen Vermögensarten
    sich Nachlass oder Schenkung zusammensetzen, für alle steuerpflichtigen
    Erwerbe einheitlich ein nach dem Wert des Erwerbs progressiver, in drei
    nach Verwandtschaftsgraden abgestuften Steuerklassen unterteilter
    Prozentsatz des Erwerbs als der Steuertarif bestimmt. Um mittels dieses
    Tarifs zu einem in Geld zu entrichtenden Steuerbetrag zu gelangen,
    müssen die dem steuerpflichtigen Erwerb unterfallenden
    Vermögensgegenstände in einem Geldbetrag ausgewiesen werden. Bei nicht
    als Geldsumme vorliegenden Steuerobjekten ist deshalb die Umrechnung in
    einen Geldwert mittels einer Bewertungsmethode erforderlich, um eine
    Bemessungsgrundlage für die Steuerschuld zu erhalten. Das
    Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz bestimmt, dass sich die
    Bewertung nach den Vorschriften des Bewertungsgesetzes (BewG) richtet.
    Die Werte der einzelnen Vermögensgegenstände werden danach nicht
    einheitlich, sondern auf unterschiedliche Art und Weise ermittelt. Das
    Gesetz nennt als Regelfall den gemeinen Wert, also den Verkehrswert. Bei
    der Bewertung inländischen Grundbesitzes kommt in wichtigen
    Teilbereichen ein Ertragswertverfahren zur Ermittlung des
    Grundbesitzwerts zur Anwendung. Der Wert des Betriebsteils von land- und
    forstwirtschaftlichem Vermögen bemisst sich nach seinem Ertragswert.
    Darüber hinaus bedient sich das Erbschaftsteuerrecht bei der Bewertung
    von Betriebsvermögen des Steuerbilanzwerts.

    Die Vorlage durch den Bundesfinanzhof betrifft die Frage, ob die
    Anwendung des einheitlichen Steuertarifs gemäß § 19 Abs. 1 ErbStG auf
    alle Erwerbsvorgänge wegen gleichheitswidriger Ausgestaltung der
    Ermittlung der Steuerbemessungsgrundlage bei den unterschiedlichen
    Vermögensarten verfassungswidrig ist.

    Der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts liegen im Wesentlichen
    folgende Erwägungen zugrunde:

    I. Dem geltenden Erbschaftsteuerrecht liegt die Belastungsentscheidung
    des Gesetzgebers zugrunde, den beim jeweiligen Empfänger mit dem
    Erbfall oder der Schenkung anfallenden Vermögenszuwachs zu
    besteuern. Diese Belastungsentscheidung hat mit Blick auf den
    Gleichheitssatz Auswirkungen auf die Bewertung des anfallenden
    Vermögens als den ersten Schritt bei der Ermittlung der
    erbschaftsteuerlichen Bemessungsgrundlage. Die gleichmäßige
    Belastung der Steuerpflichtigen hängt davon ab, dass für die
    einzelnen zu einer Erbschaft gehörenden wirtschaftlichen Einheiten
    und Wirtschaftsgüter Bemessungsgrundlagen gefunden werden, die
    deren Werte in ihrer Relation realitätsgerecht abbilden. Eine
    diesem Gebot genügende Erbschafts- und Schenkungsbesteuerung ist
    nur dann gewährleistet, wenn sich das Gesetz auf der
    Bewertungsebene einheitlich am gemeinen Wert als dem maßgeblichen
    Bewertungsziel orientiert. Nur dieser bildet den durch den
    Substanzerwerb vermittelten Zuwachs an Leistungsfähigkeit
    zutreffend ab und ermöglicht eine gleichheitsgerechte Ausgestaltung
    der Belastungsentscheidung. In der Wahl der Wertermittlungsmethode
    ist der Gesetzgeber grundsätzlich frei. Die Bewertungsmethoden
    müssen aber gewährleisten, dass alle Vermögensgegenstände in einem
    Annäherungswert an den gemeinen Wert erfasst werden. Stellt der
    Gesetzgeber schon bei der Bewertung auf andere Bewertungsmaßstäbe
    ab, so löst er sich von seiner Belastungsgrundentscheidung und legt
    damit strukturell Brüche und Wertungswidersprüche des gesamten
    Regelungssystems an.

    Bei den weiteren, sich an die Bewertung anschließenden Schritten
    zur Bestimmung der Steuerbelastung darf der Gesetzgeber auf den so
    ermittelten Wert der Bereicherung aufbauen und Lenkungszwecke, etwa
    in Form zielgenauer und normenklarer steuerlicher
    Verschonungsregelungen, ausgestalten. Die Bewertungsebene dagegen
    ist aus verfassungsrechtlichen Gründen bereits vom Ansatz her
    ungeeignet zur Verfolgung außerfiskalischer Förderungs- und
    Lenkungsziele im Erbschaftsteuerrecht.

    II. Das geltende Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht genügt diesen
    verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht. Die erbschaftsteuerlichen
    Bewertungsvorschriften führen bei wesentlichen Gruppen von
    Vermögensgegenständen nicht zu dem gemeinen Wert angenäherten
    Steuerwerten. Sie sind nicht ausreichend belastungsgleich und
    folgerichtig ausgestaltet.

    1. Beim Betriebsvermögen verhindert die weitgehende Übernahme der
    Steuerbilanzwerte strukturell die Annäherung an den gemeinen
    Wert. Dies führt zu Besteuerungsergebnissen, die mit dem
    Gleichheitssatz nicht vereinbar sind:

    Nach der gesetzlichen Regelung (§ 109 Abs. 1 BewG) werden die
    zum Betriebsvermögen gehörenden Wirtschaftsgüter mit ihrem
    Steuerbilanzwert angesetzt. Dieser stimmt aber nur in
    Ausnahmefällen mit dem jeweiligen Verkehrswert des
    Wirtschaftsguts (Teilwert) überein. So können durch
    bilanzpolitische Maßnahmen wie zum Beispiel die Wahl von
    degressiver oder linearer Abschreibung, Sofortabschreibungen
    oder erhöhten Absetzungen und Sonderabschreibungen sowie auch
    durch spätere Wertsteigerungen so genannte stille Reserven –
    also vereinfacht ausgedrückt Differenzen zwischen dem
    Verkehrswert eines Wirtschaftsguts und seinem niedrigeren
    Buchwert – gebildet werden, die bei der Bewertung des
    Betriebsvermögens nicht berücksichtigt werden. Zudem fließen
    immaterielle Wirtschaftsgüter wie etwa der Geschäfts- oder
    Firmenwert eines Unternehmens in die erbschaftsteuerliche
    Bewertung nicht ein. Das hat regelmäßig zur Folge, dass der
    Steuerwert gerade von ertragstarken Unternehmen weit hinter dem
    gemeinen Wert zurückbleibt, weil der den Wert bestimmende Faktor
    des Ertrags keine Berücksichtigung findet. Die Übernahme der
    Steuerbilanzwerte bewirkt mithin für Betriebsvermögen mit hoher
    Wahrscheinlichkeit – wenn auch nicht stets – einen deutlich
    unter dem gemeinen Wert liegenden Steuerwert.

    Darüber hinaus bewirkt die durch den Steuerbilanzwertansatz
    erzielte Begünstigungswirkung keine zielgerichtete und
    gleichmäßig wirkende Steuerentlastung, sondern tritt völlig
    ungleichmäßig und damit willkürlich ein. Durch den
    Steuerbilanzwertansatz ist die erbschaftsteuerliche
    Bemessungsgrundlage davon abhängig, ob und in welchem Umfang der
    Erblasser oder Schenker bilanzpolitische Maßnahmen ergriffen
    hat. Die vielfältigen Möglichkeiten, über die Bilanzpolitik
    Einfluss auf den erbschaftsteuerlichen Wertansatz zu nehmen,
    eröffnen sich den Inhabern von Betriebsvermögen in stark
    differierendem Ausmaß. Die Regelung kommt den Erwerbern von
    Betriebsvermögen folglich in ganz unterschiedlichem Umfang
    zugute.

    Zudem fehlt es der Regelung mit Blick auf die vom Gesetzgeber
    genannten Lenkungsziele an einer ausreichend zielgerichteten
    Ausgestaltung. Mit der Übernahme der Steuerbilanzwerte wollte
    der Gesetzgeber insbesondere mittelständische
    Personenunternehmen von der Erbschaft- und Schenkungsteuer
    entlasten. Tendenziell wird aber gerade der Übergang des
    Betriebsvermögens von solchen Unternehmen gefördert, die der
    Entlastung am wenigsten bedürfen. Denn begünstigt wird besonders
    der Erwerb ertragstarker Unternehmen, bei denen Entnahmen zur
    Begleichung der Erbschaftsteuerschuld am ehesten möglich sein
    dürften. Das Fehlen eines Nachversteuerungsvorbehalts führt
    zusätzlich dazu, dass auch Erwerber eines Betriebsvermögens in
    den Genuss der Steuerbegünstigung kommen, die eine Fortführung
    des Unternehmens nicht beabsichtigen.

    2. Auch beim Grundvermögen genügt die erbschaftsteuerliche
    Ermittlung der Bemessungsgrundlage schon auf der Bewertungsebene
    nicht den Anforderungen des Gleichheitssatzes und führt deshalb
    zu Besteuerungsergebnissen, die mit dem Gleichheitssatz nicht zu
    vereinbaren sind.

    a) Bei bebauten Grundstücken wird durch das gesetzlich
    angeordnete (§ 146 Abs. 2 Satz 1 BewG) vereinfachte
    Ertragswertverfahren mit einem starren
    Einheitsvervielfältiger von 12,5 eine Bewertung mit dem
    gemeinen Wert regelmäßig verfehlt. Mit dem vereinfachten
    Ertragswertverfahren wollte der Gesetzgeber ausweislich der
    Gesetzesmaterialien eine Bewertung mit durchschnittlich ca.
    50 % des Kaufpreises – also des gemeinen Werts – erreichen
    und durch diese niedrige Erbschaftsbesteuerung
    Investitionsanreize für Grundvermögen schaffen sowie die Bau-
    und Wohnungswirtschaft positiv beeinflussen. Dieser
    gesetzgeberische Versuch einer steuerlichen Lenkung auf der
    Bewertungsebene steht aber in unauflösbarem Widerspruch zu
    den aus dem Gleichheitssatz folgenden verfassungsrechtlichen
    Vorgaben. Die Bewertungsmethode führt im rechnerischen
    Durchschnitt nicht nur zu Grundbesitzwerten, die etwa 50 %
    des gemeinen Werts erreichen, so dass eine Annäherung an den
    gemeinen Wert nicht erfolgt. Vielmehr differieren die
    Einzelergebnisse auch in erheblicher Anzahl zwischen weniger
    als 20 % und über 100 % des gemeinen Werts. Es ist
    offensichtlich, dass ein einheitlicher Vervielfältiger für
    bebaute Grundstücke ohne Berücksichtigung der Grundstücksart
    und der Lage zu erheblichen Bewertungsunterschieden im
    Verhältnis zum gemeinen Wert führen muss und der Bewertung
    daher Zufälliges und Willkürliches anhaftet.

    Keiner abschließenden Prüfung und Entscheidung bedarf deshalb
    die Frage, ob der Gesetzgeber das auf der Bewertungsebene
    verfolgte Ziel, den Erwerb bebauter Grundstücke nur auf der
    Basis hälftiger Verkehrswerte mit Erbschaftsteuer zu
    belasten, verfassungsrechtlich zulässig auf der zweiten Ebene
    der Bemessungsgrundlagenermittlung – etwa im Wege einer
    eindeutigen Verschonungsbestimmung, nach der bebaute
    Grundstücke nur mit 50 % ihres gemeinen Werts zum Ansatz
    kommen – hätte erreichen können. Mit den Belangen der Bau-
    und insbesondere Wohnungswirtschaft hat der Gesetzgeber
    gewichtige Gemeinwohlgründe angeführt, die grundsätzlich
    geeignet erscheinen, Verschonungsnormen zu rechtfertigen, die
    den Erwerb von Grundvermögen aufgrund Erbschaft oder
    Schenkung steuerlich begünstigen. Die Frage, in welchem
    Umfang eine auf sie gestützte Entlastung verfassungsrechtlich
    zulässig wäre, kann aber hier offen bleiben.

    b) Die in § 148 BewG – seiner bis zum 31. Dezember 2006
    geltenden Fassung – geregelte Bewertung von Erbbaurechten und
    mit Erbbaurechten belasteten Grundstücken ist ebenfalls mit
    dem Erfordernis einer Bewertung, die die Wertverhältnisse in
    ihrer Relation realitätsgerecht abbildet, nicht vereinbar.
    Der Grundbesitzwert des belasteten Grundstücks wird
    schematisch starr durch einheitliche Vervielfältigung des
    nach den vertraglichen Bestimmungen im Besteuerungszeitpunkt
    zu entrichtenden jährlichen Erbbauzinses mit dem Faktor 18,6
    bestimmt, ohne dass die Restlaufzeit des Erbbaurechts oder
    das Fehlen einer Heimfallentschädigung berücksichtigt oder
    die Höhe des Erbbauzinses hinterfragt werden. Das führt dazu,
    dass in einer Vielzahl von Fällen sowohl bei der Bewertung
    des Grundstücks als auch der des Erbbaurechts teils zugunsten
    des Erwerbers, teils zu seinen Lasten erheblich vom gemeinen
    Wert abgewichen wird. Zu dieser Erkenntnis ist auch der
    Gesetzgeber gelangt. Denn im Entwurf für das
    Jahressteuergesetz 2007 wird ausgeführt, die jetzige Regelung
    führe insbesondere bei kurzen Restlaufzeiten zu nicht
    vertretbaren Bewertungsergebnissen.

    c) Schließlich entspricht auch die Wertermittlung für unbebaute
    Grundstücke (§ 145 BewG) der Anforderung, die
    Wertverhältnisse in ihrer Relation realitätsgerecht
    abzubilden, jedenfalls inzwischen nicht mehr. Grund hierfür
    ist die gesetzlich angeordnete, bis Ende 2006 geltende
    Festschreibung der Wertverhältnisse auf den 1. Januar 1996.
    Die Preisentwicklung auf dem Grundstücksmarkt führt dazu,
    dass die vergangenheitsbezogenen Werte sowohl die
    Wertverhältnisse innerhalb der Gruppe der unbebauten
    Grundstücke nicht mehr in ihrer Relation realitätsgerecht
    abbilden als auch nicht mehr den Gegenwartswerten anderer
    Vermögensgegenstände entsprechen. Damit führt die
    Wertbemessung nach dem bis zum 31. Dezember 2006 geltenden
    Recht zu verfassungswidrigen Besteuerungsergebnissen.

    3. Auch die Erbschaftsbesteuerung der Erwerber von Anteilen an
    Kapitalgesellschaften ist in nicht mit dem Gleichheitssatz
    vereinbarer Weise ausgestaltet. Bei den zu schätzenden, nicht
    börsennotierten Anteilen führt der vom Gesetzgeber angeordnete
    Steuerbilanzwertansatz zu Steuerwerten, die im Regelfall
    deutlich hinter der Teilbewertung zurückbleiben. Zwar sind nach
    den gesetzlichen Vorgaben – anders als beim Betriebsvermögen –
    die Ertragsaussichten des Unternehmens zu berücksichtigen.
    Gleichwohl werden durch den vom Gesetzgeber angeordneten
    Steuerbilanzwertansatz auch für die zu schätzenden Anteile an
    Kapitalgesellschaften Steuerwerte erzielt, die im Durchschnitt
    deutlich unter dem gemeinen Wert liegen. Darüber hinaus wirkt
    sich die Übernahme der Steuerbilanzwerte – wiederum parallel zum
    Betriebsvermögen – für die Anteile an Kapitalgesellschaften in
    ganz unterschiedlicher Weise aus. Die Gesellschaften sind in
    höchst unterschiedlichem Maße in der Lage, von den
    Bilanzierungsmöglichkeiten Gebrauch zu machen. Das bewirkt
    zwingend eine große Streubreite der Steuerwerte im Verhältnis zu
    den Verkehrswerten. Darüber hinaus führt die für die zu
    schätzenden Anteile an Kapitalgesellschaften angeordnete
    Übernahme der Steuerbilanzwerte auch zu einer großen Kluft
    gegenüber den übrigen Anteilen an Kapitalgesellschaften, deren
    Bewertung anhand des Kurswerts beziehungsweise aus zeitnahen
    Verkäufen abgeleitet erfolgt und darum im Regelfall zu deutlich
    höheren Werten führt.

    4. Schließlich verstößt auch die Bewertung von land- und
    forstwirtschaftlichem Vermögen gegen die aus dem Gleichheitssatz
    folgenden Anforderungen und führt deshalb zu
    Besteuerungsergebnissen, die mit dem Gleichheitssatz nicht zu
    vereinbaren sind. Für den Betriebsteil ist der Ertragswert als
    Bewertungsziel vorgegeben. Damit wird bereits strukturell eine
    Erfassung der im Vermögenszuwachs liegenden Steigerung der
    Leistungsfähigkeit des Erben oder Beschenkten verfehlt, die sich
    aufgrund der der Erbschaftsteuer zugrunde liegenden
    gesetzgeberischen Konzeption gerade nach dem bei einer
    Veräußerung unter objektivierten Bedingungen erzielbaren Preis,
    nicht aber allein nach dem vermittels der Vermögenssubstanz
    erzielbaren Ertrag bemisst. Die Bewertung von Wohnteil und
    Betriebswohnungen orientiert sich am gemeinen Wert als
    Wertkategorie. Insoweit gilt das zum Grundvermögen Gesagte
    entsprechend. Die dort festgestellten verfassungsrechtlichen
    Mängel führen auch hier schon auf der Bewertungsebene zu
    Verstößen gegen den Gleichheitssatz.

    III. Trotz Unvereinbarkeitserklärung mit dem Gleichheitssatz ist es im
    vorliegenden Fall geboten, ausnahmsweise die weitere Anwendung des
    geltenden Erbschaftsteuerrechts bis zur gesetzlichen Neuregelung
    zuzulassen. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, eine Neuregelung
    spätestens bis zum 31. Dezember 2008 zu treffen. Dabei ist er
    verfassungsrechtlich gehalten, sich auf der Bewertungsebene
    einheitlich am gemeinen Wert als dem maßgeblichen Bewertungsziel zu
    orientieren. Dem Gesetzgeber ist es unbenommen, bei Vorliegen
    ausreichender Gemeinwohlgründe in einem zweiten Schritt der
    Bemessungsgrundlagenermittlung mittels Verschonungsregelungen den
    Erwerb bestimmter Vermögensgegenstände zu begünstigen. Die
    Begünstigungswirkungen müssen ausreichend zielgenau und innerhalb
    des Begünstigtenkreises möglichst gleichmäßig eintreten.
    Schließlich kann der Gesetzgeber auch mittels Differenzierungen
    beim Steuersatz eine steuerliche Lenkung verfolgen.

    Bundesverfassungsgericht - Pressestelle -

    Pressemitteilung Nr. 11/2007 vom 31. Januar 2007

    Zum Beschluss vom 7. November 2006 – 1 BvL 10/02 –

    29 Januar 2007

    BVerfG zur seelsorgerischen Schweigepflicht

    Verfassungsbeschwerde eines Gefängnisseelsorgers
    gegen Beugehaft erfolglos


    In einem vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf anhängigen Strafverfahren
    wird gegen mehrere Angeklagte verhandelt. Ihnen wird vorgeworfen, in
    großem Umfang Betrugstaten zum Nachteil deutscher
    Lebensversicherungsgesellschaften begangen zu haben, um hohe
    Versicherungssummen zu erhalten und diese zur Finanzierung des
    Terrornetzwerks Al Qaeda weiterzuleiten. In der Hauptverhandlung wurde
    der Beschwerdeführer, ein – nicht zum Priester geweihter – katholischer
    Gemeindereferent, als Zeuge vernommen. Dieser ist hauptamtlich als
    Seelsorger in einer Haftanstalt tätig und hatte in dieser Funktion
    Gespräche mit einem der Angeklagten geführt. Bei seiner Vernehmung vor
    dem Oberlandesgericht lehnte er es unter Berufung auf sein
    Zeugnisverweigerungsrecht als Seelsorger ab, die Frage zu beantworten,
    ob er für den Angeklagten im Internet Adressen von Versicherungen
    recherchiert habe. Daraufhin ordnete das Gericht gegen den Seelsorger
    Beugehaft zur Erzwingung der Aussage an. Die Beschwerde des Seelsorgers
    verwarf der Bundesgerichtshof als unbegründet. Die 1. Kammer des Zweiten
    Senats des Bundesverfassungsgerichts hat die hiergegen gerichtete
    Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen. Die Auferlegung
    der Zeugnispflicht, deren Erfüllung die Anordnung der Beugehaft
    erzwingen soll, sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

    Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:

    § 53 Abs. 1 Nr. 1 Strafprozessordnung gewährt Geistlichen ein
    Zeugnisverweigerungsrecht hinsichtlich solcher Tatsachen, die ihnen in
    ihrer Eigenschaft als Seelsorger anvertraut worden oder bekannt geworden
    sind. Ob Geistliche im Sinne der Vorschrift auch Seelsorger sind, die
    keine Priesterweihe erhalten haben, ist hier nicht generell zu
    entscheiden. Jedenfalls bei einer hauptamtlichen Beauftragung nach den
    durch das kirchliche Dienstrecht vorgesehenen Voraussetzungen – wie dies
    vorliegend der Fall ist – ist der Anwendungsbereich der Vorschrift
    eröffnet. Die Frage, ob einem Geistlichen Tatsachen in seiner
    Eigenschaft als Seelsorger anvertraut oder bekannt geworden sind, ist
    objektiv und in Zweifelsfällen unter Berücksichtigung der
    Gewissensentscheidung des Geistlichen zu beurteilen. Die Einschätzung
    der Fachgerichte, der Austausch über das Recherchieren von
    Versicherungsadressen zähle objektiv nicht zur Seelsorge, ist
    verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

    Ein Zeugnisverweigerungsrecht des Beschwerdeführers lässt sich auch
    nicht unmittelbar aus der Verfassung ableiten. Die aus der Beantwortung
    der an den Beschwerdeführer gestellten Frage zu erwartenden Erkenntnisse
    sind nicht dem Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzurechen, in den
    einzugreifen dem Staat verwehrt ist. Die Frage, deren Beantwortung hier
    in Rede steht, zielt nicht auf das Erlangen von Kenntnissen über ein
    seelsorgerisches Gespräch, sondern über eine Tätigkeit – das
    Recherchieren von Versicherungsadressen –, die der Beschwerdeführer nur
    außerhalb eines solchen Gesprächs wahrgenommen haben könnte. Auch eine
    Abwägung mit den Belangen der Berufsausübungsfreiheit begründet kein
    Zeugnisverweigerungsrecht des Beschwerdeführers. Durch die Preisgabe von
    Wissen über eine dem betreuten Gefangenen erwiesene Gefälligkeit kann
    zwar das Vertrauensverhältnis zu diesem und zu anderen Gefangenen
    beeinträchtigt werden – mit Folgewirkungen auf die Möglichkeit zur
    Wahrnehmung der seelsorgerischen Aufgabe. Die Belange der
    Strafrechtspflege überwiegen jedoch das Interesse des Beschwerdeführers
    an der Vermeidung einer Beeinträchtigung der seelsorgerischen
    Vertrauensstellung. Dass ein Gefangener von der vertraulichen Behandlung
    einer an seinen Seelsorger gerichteten Bitte ausgeht, die ersichtlich
    nicht den seelsorgerischen Bereich betrifft, sondern darauf abzielt,
    Beweisgegenstände zu verfälschen, und für den Seelsorger sogar die
    Gefahr eigener Strafbarkeit begründet, ist eher fern liegend. Bei der
    Bewertung einer möglichen Vertrauenseinbuße ist auch zu berücksichtigen,
    dass der Beschwerdeführer entsprechendes Wissen nicht eigenmächtig
    offenbaren würde, sondern aufgrund der ihm obliegenden, mit
    Zwangsmitteln durchsetzbaren Zeugenpflicht.

    Bundesverfassungsgericht - Pressestelle -

    Pressemitteilung Nr. 9/2007 vom 29. Januar 2007

    Zum Beschluss vom 25. Januar 2007 – 2 BvR 26/07 –