Das Oberverwaltungsgericht hat die Klage der Stadt Werder (Havel) gegen die Errichtung von 4 Windkraftanlagen auf der Glindower Platte abgewiesen und damit das Urteils des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 3. Juni 2005 abgeändert. Die Stadt Werder hatte ihr nach dem BauGB erforderliches Einvernehmen zu diesem Vorhaben verweigert. Das Landesumweltamt Brandenburg hatte das Einvernehmen daraufhin ersetzt und einer Gesellschaft für regenerative Energien mbH am 23. Mai 2002 die erforderliche immissionsschutzrechtliche Genehmigung erteilt.
Der 11. Senat ist wie das Verwaltungsgericht der Auffassung, das Vorhaben verstoße nicht gegen das Verunstaltungsverbot gemäß § 35 Abs. 3 Nr. 5 BauGB F. 98. Nicht gefolgt ist der Senat jedoch der Einschätzung des Verwaltungsgerichts, dass schon der Entwurf des Teilregionalplans „Windenergie, Freiraum und Sicherung der Kulturlandschaft " für die Region Havelland-Fläming (Stand 23. Mai 2002), in dem die Glindower Platte nicht als Eignungsgebiet für Windkraftanlagen ausgewiesen war, verlässlich der Errichtung der Windkraftanlagen entgegengestanden habe. Maßgeblich hierfür ist, dass zu diesem Zeitpunkt noch ein wirksamer Flächennutzungsplan von 2001 bestand. Dieser sah das fragliche Gebiet als Sonderbaufläche für Windkraftanlagen vor. Nach der Begründung des Entwurfs des Teilregionalplans wäre die Errichtung solcher Anlagen damit weiter zulässig gewesen. Zudem hatte dieser Entwurf die Glindower Platte als empfindlichen Teileraum der Kulturlandschaft ausgewiesen, was ebenfalls zum Ausschluss von Windkraftanlagen dort führen sollte. Zu dieser Ausweisung ist es aber in der endgültigen Fassung des Teilregionalplans nicht gekommen. Auch aus diesem Grunde konnte nicht von der erforderlichen Verlässlichkeit der maßgeblichen Entwurfsfassung ausgegangen werden.
Urteil vom 22. Dezember 2006 - OVG 11 B 11.05 -
Pressemitteilung - 54/2006 Berlin, den 27.12.2006
27 Dezember 2007
21 Dezember 2007
Künftig mehr Transparenz im Versicherungswesen
Presseerklärung - Berlin, 21. Dezember 2007
Die Verordnung über Informationspflichten bei Versicherungsverträgen (VVG-InfoV) ist heute im Bundesgesetzgesetzblatt verkündet worden. Sie beruht auf § 7 des neuen Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) und bestimmt, welche Informationen den Versicherungsnehmern vor dem Vertragsschluss und während der Laufzeit des Vertrages übermittelt werden müssen. Erstmals ist auch eine Regelung zur Kostenangabe vorgesehen.
„Künftig soll jeder Versicherungsnehmer vor Abschluss des Vertrages wissen, was ihn die angebotene Lebens-, Berufsunfähigkeits- oder Krankenversicherung kostet. Ab 1. Juli 2008 müssen die Versicherer in Euro und Cent angeben, welche Kosten sie in die Prämie eingerechnet haben. Vermittler und Vertrieb kosten Geld, und ein guter Versicherungsvermittler hat auch das Recht auf eine anständige Bezahlung. Allerdings muss der Kunde wissen, wofür er sein Geld ausgibt. Wir wollen mündige Verbraucher, die umfassend informiert werden, bevor sie Verträge abschließen“, sagte Bundesjustizministerin Zypries.
Auch das Bundesverfassungsgericht hatte im Februar 2006 eine weitergehende Kostentransparenz gefordert: „Bleiben den Versicherungsnehmern Art und Höhe der zu verrechnenden Abschlusskosten und der Verrechnungsmodus unbekannt, ist ihnen eine eigen bestimmte Entscheidung darüber unmöglich, ob sie einen Vertrag zu den konkreten Konditionen abschließen wollen.“ Die Entscheidung bezieht sich auf die Lebensversicherung. Die Aussage hat aber darüber hinaus Bedeutung.
Die Neuregelung zur Kostenangabe liegt ganz auf der Linie anderer Vorschriften und Gerichtsentscheidungen zur Verbesserung der Transparenz bei Finanzdienstleistungen. So verpflichtet bereits die europäische Finanzmarktrichtlinie zu mehr Information über Gebühren, Provisionen, Entgelte und Auslagen bei Dienstleistungen im Zusammenhang mit Wertpapieren. Das am 1. November 2007 in Kraft getretene Umsetzungsgesetz zu dieser Richtlinie sieht den europäischen Vorgaben entsprechend vor, dass beispielsweise Provisionen in jedem Fall separat anzugeben sind (§ 31 Wertpapierhandelsgesetz). Bereits im Dezember 2006 hatte der Bundesgerichtshof zum Wertpapiergeschäft der Banken entschieden, dass der Kunde über Rückvergütungen zugunsten der Banken aufgeklärt werden muss, damit er beurteilen kann, ob eine Anlageempfehlung möglicherweise auch im Interesse der vermittelnden Bank erfolgt. Die VVG-InfoV fügt sich in diese Tendenz zu mehr Kostentransparenz ein und kann damit Signalwirkung auch für andere Bereiche des Versicherungswesens wie beispielsweise die Riester-Rente haben.
Für eine verbesserte Information der Verbraucher sorgt auch ein „Produktinformationsblatt“, das ab 1. Juli 2008 für alle Neuverträge verbindlich vorgeschrieben wird. Die Versicherungsnehmer erhalten künftig vor jedem Vertragsschluss ein Merkblatt, das sie in besonders übersichtlicher und verständlicher Weise über die für den Abschluss oder die Erfüllung des Vertrages besonders wichtigen Umstände informiert.
„Versicherungsbedingungen sind oft unübersichtlich und schwer verständlich. Mit dem Produktinformationsblatt können sich die Verbraucher schnell und zielgerichtet einen Überblick über ihren Vertrag verschaffen“, erläuterte Brigitte Zypries.
Die Verordnung enthält weiterhin zahlreiche Informationspflichten, die seit langem geltendes Recht sind, bislang aber in unterschiedlichen Gesetzen geregelt waren. Die jetzt vorgenommene Zusammenfassung in einer Verordnung dient der Vereinheitlichung und trägt damit auch dazu bei, dem Rechtssuchenden die Orientierung zu erleichtern.
Die Verordnung tritt am 1. Januar 2008 in Kraft, mit Übergangfristen bis zum 30. Juni 2008. Die Regelungen zur Kostenangabe und zum Produktinformationsblatt treten am 1. Juli 2008 in Kraft.
Weitere Informationen zur Verordnung und zum VVG haben wir für Sie unter www.bmj.de/vvg zusammengestellt.
Versicherungsrecht
Die Verordnung über Informationspflichten bei Versicherungsverträgen (VVG-InfoV) ist heute im Bundesgesetzgesetzblatt verkündet worden. Sie beruht auf § 7 des neuen Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) und bestimmt, welche Informationen den Versicherungsnehmern vor dem Vertragsschluss und während der Laufzeit des Vertrages übermittelt werden müssen. Erstmals ist auch eine Regelung zur Kostenangabe vorgesehen.
„Künftig soll jeder Versicherungsnehmer vor Abschluss des Vertrages wissen, was ihn die angebotene Lebens-, Berufsunfähigkeits- oder Krankenversicherung kostet. Ab 1. Juli 2008 müssen die Versicherer in Euro und Cent angeben, welche Kosten sie in die Prämie eingerechnet haben. Vermittler und Vertrieb kosten Geld, und ein guter Versicherungsvermittler hat auch das Recht auf eine anständige Bezahlung. Allerdings muss der Kunde wissen, wofür er sein Geld ausgibt. Wir wollen mündige Verbraucher, die umfassend informiert werden, bevor sie Verträge abschließen“, sagte Bundesjustizministerin Zypries.
Auch das Bundesverfassungsgericht hatte im Februar 2006 eine weitergehende Kostentransparenz gefordert: „Bleiben den Versicherungsnehmern Art und Höhe der zu verrechnenden Abschlusskosten und der Verrechnungsmodus unbekannt, ist ihnen eine eigen bestimmte Entscheidung darüber unmöglich, ob sie einen Vertrag zu den konkreten Konditionen abschließen wollen.“ Die Entscheidung bezieht sich auf die Lebensversicherung. Die Aussage hat aber darüber hinaus Bedeutung.
Die Neuregelung zur Kostenangabe liegt ganz auf der Linie anderer Vorschriften und Gerichtsentscheidungen zur Verbesserung der Transparenz bei Finanzdienstleistungen. So verpflichtet bereits die europäische Finanzmarktrichtlinie zu mehr Information über Gebühren, Provisionen, Entgelte und Auslagen bei Dienstleistungen im Zusammenhang mit Wertpapieren. Das am 1. November 2007 in Kraft getretene Umsetzungsgesetz zu dieser Richtlinie sieht den europäischen Vorgaben entsprechend vor, dass beispielsweise Provisionen in jedem Fall separat anzugeben sind (§ 31 Wertpapierhandelsgesetz). Bereits im Dezember 2006 hatte der Bundesgerichtshof zum Wertpapiergeschäft der Banken entschieden, dass der Kunde über Rückvergütungen zugunsten der Banken aufgeklärt werden muss, damit er beurteilen kann, ob eine Anlageempfehlung möglicherweise auch im Interesse der vermittelnden Bank erfolgt. Die VVG-InfoV fügt sich in diese Tendenz zu mehr Kostentransparenz ein und kann damit Signalwirkung auch für andere Bereiche des Versicherungswesens wie beispielsweise die Riester-Rente haben.
Für eine verbesserte Information der Verbraucher sorgt auch ein „Produktinformationsblatt“, das ab 1. Juli 2008 für alle Neuverträge verbindlich vorgeschrieben wird. Die Versicherungsnehmer erhalten künftig vor jedem Vertragsschluss ein Merkblatt, das sie in besonders übersichtlicher und verständlicher Weise über die für den Abschluss oder die Erfüllung des Vertrages besonders wichtigen Umstände informiert.
„Versicherungsbedingungen sind oft unübersichtlich und schwer verständlich. Mit dem Produktinformationsblatt können sich die Verbraucher schnell und zielgerichtet einen Überblick über ihren Vertrag verschaffen“, erläuterte Brigitte Zypries.
Die Verordnung enthält weiterhin zahlreiche Informationspflichten, die seit langem geltendes Recht sind, bislang aber in unterschiedlichen Gesetzen geregelt waren. Die jetzt vorgenommene Zusammenfassung in einer Verordnung dient der Vereinheitlichung und trägt damit auch dazu bei, dem Rechtssuchenden die Orientierung zu erleichtern.
Die Verordnung tritt am 1. Januar 2008 in Kraft, mit Übergangfristen bis zum 30. Juni 2008. Die Regelungen zur Kostenangabe und zum Produktinformationsblatt treten am 1. Juli 2008 in Kraft.
Weitere Informationen zur Verordnung und zum VVG haben wir für Sie unter www.bmj.de/vvg zusammengestellt.
19 Dezember 2007
Zypries für konkrete Maßnahmen zum besseren Schutz von Kindern
Presseerklärung - Berlin, 19. Dezember 2007
In den vergangenen Monaten sind vermehrt Fälle bekannt geworden, in denen Kinder von ihren Eltern misshandelt oder vernachlässigt wurden. Vertreter der Bundesregierung und die Ministerpräsidenten der Länder beraten heute über Maßnahmen zum besseren Schutz von Kindern. Bundesjustizministerin Zypries hat konkrete Vorschläge unterbreitet, um gefährdete Kinder effektiv zu schützen.
„Die tragischen Fälle in den letzten Monaten haben erhebliche Defizite beim Schutz besonders gefährdeter Kinder offengelegt. Schätzungen zu Folge werden etwa 5 bis 10 % aller Kinder unter 6 Jahren vernachlässigt. Immer häufiger sterben Kinder an den Folgen von Vernachlässigung und Misshandlung. Viele Risikofamilien können mit den herkömmlichen Angeboten der Jugendämter, der Erziehungsberatung oder der Familienbildung nicht im erforderlichen Umfang erreicht werden. Es ist deshalb dringend notwendig, den Schutzauftrag unserer staatlichen Gemeinschaft zu stärken. Ich habe konkrete Vorschläge unterbreitet, wie ein effektiver Schutz von Kindern erreicht werden kann“, erklärte Bundesjustizministerin Zypries heute in Berlin.
Zypries setzt sich insbesondere für die folgenden Maßnahmen ein:
Verbindliches Einladungswesen für Vorsorgeuntersuchungen
Einige Länder sehen bereits ein verbindliches Einladewesen für Früherkennungsuntersuchungen von Kindern vor. Bundesjustizministerin Zypries unterstützt dieses System. Sie schlägt eine Ergänzung des § 8a des Achten Buches Sozialgesetzbuch – Kinder und Jugendhilfe – um folgenden Absatz (1a) vor:
„Nehmen die Personensorgeberechtigen trotz wiederholter Aufforderung nicht an einer Früherkennungsuntersuchung für ihr Kind teil, prüft das Jugendamt, ob Anhaltspunkte für eine Gefährdung des Kindeswohls bestehen. Ergeben sich dabei aufgrund zusätzlicher Umstände Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung, ist ein Hausbesuch durchzuführen. Die Stellen, die nach Landesrecht für die Überprüfung der Teilnahme an Früherkennungsuntersuchungen zuständig sind, teilen dem Jugendamt mit, wenn Personensorgeberechtigte trotz wiederholter Aufforderung nicht an einer Früherkennungsuntersuchung teilgenommen haben.“
Die ärztlichen Früherkennungsuntersuchungen bieten die Möglichkeit, frühzeitig auf Vernachlässigung und Misshandlung von Kindern aufmerksam zu werden und eine Schädigung des Kindes abzuwenden. Die ganz überwiegende Mehrzahl der Eltern kümmert sich verantwortungsvoll und gut um ihre Kinder. Wir wollen daher die Eltern nicht gesetzlich zu Vorsorgeuntersuchungen zwingen. Allerdings kann die Versäumung einer Früherkennungsuntersuchung in Verbindung mit anderen Faktoren Anzeichen für eine Gefährdung des Kindes sein. So können etwa Hinweise aus dem Umfeld der Familie auf eine Vernachlässigung, Verwahrlosung oder Misshandlung schließen lassen.
Deshalb sollen die Jugendämter verpflichtet werden zu prüfen, ob Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung vorliegen, wenn die Eltern trotz wiederholter Aufforderung nicht an einer Früherkennungsuntersuchung für ihr Kind teilnehmen. Sprechen darüber hinaus weitere Umstände für eine Vernachlässigung des Kindes, muss ein Hausbesuch erfolgen. Auf diese Weise kann Risikofamilien besser geholfen und Kinder effektiver geschützt werden.
Erleichterung familiengerichtlicher Maßnahmen bei einer Gefährdung des Kindeswohls
Bereits im Juli 2007 hat Bundesjustizministerin Zypries einen Gesetzesentwurf zur Erleichterung familiengerichtlicher Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls vorgestellt. Er wird derzeit im Deutschen Bundestag beraten. Der Gesetzesvorschlag setzt auf Prävention. Familiengerichte sollen früh tätig werden, bevor das Kind zu Schaden kommt bzw. ein Entzug des Sorgerechts notwendig wird. Deshalb werden den Gerichten konkrete Handlungsalternativen an die Hand gegeben, die sie schon frühzeitig anordnen können. Sie können die Familien z. B. zu einem Anti-Gewalt-Trainining verpflichten, eine Erziehungsberatung oder Maßnahmen der Gesundheitsfürsorge anordnen. Außerdem müssen familiengerichtliche Verfahren bei einer Gefährdung des Kindeswohls künftig vorrangig behandelt werden. Ein erster Gerichtstermin muss schon binnen eines Monats stattfinden. Darüber hinaus soll die Gefährdung des Kindes schon im Vorfeld und unabhängig von einem gerichtlichen Einschreiten erörtert werden. Dabei soll den Eltern der Ernst der Lage vor Augen geführt und darauf hingewirkt werden, dass sie notwendige Erziehungshilfen des Jugendamtes besser in Anspruch nehmen.
Zusammenarbeit zwischen Gerichten und Jugendämtern verbessern
Bundesjustizministerin Zypries will eine reibungslose Kooperation der Familien- und Jugendgerichte mit den Jugendämtern zum Wohle gefährdeter Kinder und Jugendlicher sicherstellen. Staatliches Handeln gegenüber Eltern und Kindern in schwierigen Lebenssituationen sollte stets aufeinander abgestimmt und widerspruchsfrei sein.
Kinderrechte im Grundgesetz
Nach Artikel 6 Abs. 1 des Grundgesetzes steht die Familie unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung. Das Recht der Eltern wird in Artikel 6 Abs. 2 des Grundgesetzes gewährleistet. Danach sind die Pflege und Erziehung der Kinder das natürliche Recht der Eltern. Freilich müssen sie ihr Elternrecht zum Wohl des Kindes ausüben. Zwar ist die Bedeutung des Kindeswohls seit langem auch in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung anerkannt, das Kindeswohl selbst wird im Grundgesetz jedoch nicht ausdrücklich erwähnt. Bundesjustizministerin Zypries will die Rechte der Kinder in der Verfassung stärker zum Ausdruck bringen und als eigenes subjektives Recht formulieren. Sie schlägt in Übereinstimmung mit dem Präsidium der SPD die Einfügung eines neuen Absatzes in Artikel 6 des Grundgesetzes vor:
„Jedes Kind hat ein Recht auf Entwicklung und Entfaltung seiner Persönlichkeit, auf gewaltfreie Erziehung und auf den besonderen Schutz vor Gewalt, Vernachlässigung und Ausbeutung. Die staatliche Gemeinschaft achtet, schützt und fördert die Rechte des Kindes und trägt Sorge für kindgerechte Lebensbedingungen.“
Diese Ergänzung des Grundgesetzes enthält eine objektive Handlungsanweisung an alle staatlichen Organe. Sie müssen das Recht des Kindes auf Entwicklung und Entfaltung seiner Persönlichkeit beachten. Die ausdrückliche Festschreibung der Kinderrechte wird bewirken, dass die Belange der Kinder im Rahmen staatlicher Entscheidungen bei der Abwägung der betroffenen Interessen größeres Gewicht erlangen. So werden der Gesetzgeber und die öffentliche Verwaltung z. B. bei der Finanzierung, dem Bau oder der Ausstattung von Kindergärten, Spielplätzen oder sonstigen öffentlichen Einrichtungen das Wohl des Kindes besonders in den Blick nehmen. Auch für die Gerichte wird damit ausdrücklich normiert, dass sie ihre Entscheidungen am Kindeswohl auszurichten haben.
Kinder können sich zudem selbst auf dieses subjektive Recht berufen und im Einzelfall z. B. mit einer Verfassungsbeschwerde durchsetzen. Im Gegensatz zu einer Staatszielbestimmung hat diese Grundgesetzänderung also nicht nur Appellfunktion.
Kinderschutz
In den vergangenen Monaten sind vermehrt Fälle bekannt geworden, in denen Kinder von ihren Eltern misshandelt oder vernachlässigt wurden. Vertreter der Bundesregierung und die Ministerpräsidenten der Länder beraten heute über Maßnahmen zum besseren Schutz von Kindern. Bundesjustizministerin Zypries hat konkrete Vorschläge unterbreitet, um gefährdete Kinder effektiv zu schützen.
„Die tragischen Fälle in den letzten Monaten haben erhebliche Defizite beim Schutz besonders gefährdeter Kinder offengelegt. Schätzungen zu Folge werden etwa 5 bis 10 % aller Kinder unter 6 Jahren vernachlässigt. Immer häufiger sterben Kinder an den Folgen von Vernachlässigung und Misshandlung. Viele Risikofamilien können mit den herkömmlichen Angeboten der Jugendämter, der Erziehungsberatung oder der Familienbildung nicht im erforderlichen Umfang erreicht werden. Es ist deshalb dringend notwendig, den Schutzauftrag unserer staatlichen Gemeinschaft zu stärken. Ich habe konkrete Vorschläge unterbreitet, wie ein effektiver Schutz von Kindern erreicht werden kann“, erklärte Bundesjustizministerin Zypries heute in Berlin.
Zypries setzt sich insbesondere für die folgenden Maßnahmen ein:
Verbindliches Einladungswesen für Vorsorgeuntersuchungen
Einige Länder sehen bereits ein verbindliches Einladewesen für Früherkennungsuntersuchungen von Kindern vor. Bundesjustizministerin Zypries unterstützt dieses System. Sie schlägt eine Ergänzung des § 8a des Achten Buches Sozialgesetzbuch – Kinder und Jugendhilfe – um folgenden Absatz (1a) vor:
„Nehmen die Personensorgeberechtigen trotz wiederholter Aufforderung nicht an einer Früherkennungsuntersuchung für ihr Kind teil, prüft das Jugendamt, ob Anhaltspunkte für eine Gefährdung des Kindeswohls bestehen. Ergeben sich dabei aufgrund zusätzlicher Umstände Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung, ist ein Hausbesuch durchzuführen. Die Stellen, die nach Landesrecht für die Überprüfung der Teilnahme an Früherkennungsuntersuchungen zuständig sind, teilen dem Jugendamt mit, wenn Personensorgeberechtigte trotz wiederholter Aufforderung nicht an einer Früherkennungsuntersuchung teilgenommen haben.“
Die ärztlichen Früherkennungsuntersuchungen bieten die Möglichkeit, frühzeitig auf Vernachlässigung und Misshandlung von Kindern aufmerksam zu werden und eine Schädigung des Kindes abzuwenden. Die ganz überwiegende Mehrzahl der Eltern kümmert sich verantwortungsvoll und gut um ihre Kinder. Wir wollen daher die Eltern nicht gesetzlich zu Vorsorgeuntersuchungen zwingen. Allerdings kann die Versäumung einer Früherkennungsuntersuchung in Verbindung mit anderen Faktoren Anzeichen für eine Gefährdung des Kindes sein. So können etwa Hinweise aus dem Umfeld der Familie auf eine Vernachlässigung, Verwahrlosung oder Misshandlung schließen lassen.
Deshalb sollen die Jugendämter verpflichtet werden zu prüfen, ob Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung vorliegen, wenn die Eltern trotz wiederholter Aufforderung nicht an einer Früherkennungsuntersuchung für ihr Kind teilnehmen. Sprechen darüber hinaus weitere Umstände für eine Vernachlässigung des Kindes, muss ein Hausbesuch erfolgen. Auf diese Weise kann Risikofamilien besser geholfen und Kinder effektiver geschützt werden.
Erleichterung familiengerichtlicher Maßnahmen bei einer Gefährdung des Kindeswohls
Bereits im Juli 2007 hat Bundesjustizministerin Zypries einen Gesetzesentwurf zur Erleichterung familiengerichtlicher Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls vorgestellt. Er wird derzeit im Deutschen Bundestag beraten. Der Gesetzesvorschlag setzt auf Prävention. Familiengerichte sollen früh tätig werden, bevor das Kind zu Schaden kommt bzw. ein Entzug des Sorgerechts notwendig wird. Deshalb werden den Gerichten konkrete Handlungsalternativen an die Hand gegeben, die sie schon frühzeitig anordnen können. Sie können die Familien z. B. zu einem Anti-Gewalt-Trainining verpflichten, eine Erziehungsberatung oder Maßnahmen der Gesundheitsfürsorge anordnen. Außerdem müssen familiengerichtliche Verfahren bei einer Gefährdung des Kindeswohls künftig vorrangig behandelt werden. Ein erster Gerichtstermin muss schon binnen eines Monats stattfinden. Darüber hinaus soll die Gefährdung des Kindes schon im Vorfeld und unabhängig von einem gerichtlichen Einschreiten erörtert werden. Dabei soll den Eltern der Ernst der Lage vor Augen geführt und darauf hingewirkt werden, dass sie notwendige Erziehungshilfen des Jugendamtes besser in Anspruch nehmen.
Zusammenarbeit zwischen Gerichten und Jugendämtern verbessern
Bundesjustizministerin Zypries will eine reibungslose Kooperation der Familien- und Jugendgerichte mit den Jugendämtern zum Wohle gefährdeter Kinder und Jugendlicher sicherstellen. Staatliches Handeln gegenüber Eltern und Kindern in schwierigen Lebenssituationen sollte stets aufeinander abgestimmt und widerspruchsfrei sein.
Kinderrechte im Grundgesetz
Nach Artikel 6 Abs. 1 des Grundgesetzes steht die Familie unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung. Das Recht der Eltern wird in Artikel 6 Abs. 2 des Grundgesetzes gewährleistet. Danach sind die Pflege und Erziehung der Kinder das natürliche Recht der Eltern. Freilich müssen sie ihr Elternrecht zum Wohl des Kindes ausüben. Zwar ist die Bedeutung des Kindeswohls seit langem auch in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung anerkannt, das Kindeswohl selbst wird im Grundgesetz jedoch nicht ausdrücklich erwähnt. Bundesjustizministerin Zypries will die Rechte der Kinder in der Verfassung stärker zum Ausdruck bringen und als eigenes subjektives Recht formulieren. Sie schlägt in Übereinstimmung mit dem Präsidium der SPD die Einfügung eines neuen Absatzes in Artikel 6 des Grundgesetzes vor:
„Jedes Kind hat ein Recht auf Entwicklung und Entfaltung seiner Persönlichkeit, auf gewaltfreie Erziehung und auf den besonderen Schutz vor Gewalt, Vernachlässigung und Ausbeutung. Die staatliche Gemeinschaft achtet, schützt und fördert die Rechte des Kindes und trägt Sorge für kindgerechte Lebensbedingungen.“
Diese Ergänzung des Grundgesetzes enthält eine objektive Handlungsanweisung an alle staatlichen Organe. Sie müssen das Recht des Kindes auf Entwicklung und Entfaltung seiner Persönlichkeit beachten. Die ausdrückliche Festschreibung der Kinderrechte wird bewirken, dass die Belange der Kinder im Rahmen staatlicher Entscheidungen bei der Abwägung der betroffenen Interessen größeres Gewicht erlangen. So werden der Gesetzgeber und die öffentliche Verwaltung z. B. bei der Finanzierung, dem Bau oder der Ausstattung von Kindergärten, Spielplätzen oder sonstigen öffentlichen Einrichtungen das Wohl des Kindes besonders in den Blick nehmen. Auch für die Gerichte wird damit ausdrücklich normiert, dass sie ihre Entscheidungen am Kindeswohl auszurichten haben.
Kinder können sich zudem selbst auf dieses subjektive Recht berufen und im Einzelfall z. B. mit einer Verfassungsbeschwerde durchsetzen. Im Gegensatz zu einer Staatszielbestimmung hat diese Grundgesetzänderung also nicht nur Appellfunktion.
17 Dezember 2007
Lächerliche Presseerklärung zum Kindesunterhalt
Um duchschnittlich 1,75 € steigt der Kindesunterhalt - und daraus wird folgende Presseerklärung gemacht:
Neue Düsseldorfer Tabelle: Mehr Geld für Kinder
Berlin, 17. Dezember 2007
Die Richterinnen und Richter der Familiensenate des Oberlandesgerichts Düsseldorf haben heute die ab dem 1. Januar 2008 geltende „Düsseldorfer Tabelle“ vorgestellt. Sie gilt bundesweit als Richtschnur für die Festlegung des Kindesunterhalts. Nach der neuen Tabelle wird der Kindesunterhalt im Durchschnitt um 1,75 € steigen. Eine Neufestsetzung zum 1. Januar 2008 wurde notwendig, weil an diesem Tag das neue Unterhaltsrecht in Kraft tritt.
„Ich freue mich, dass der Kindesunterhalt nach der neuen Düsseldorfer Tabelle in Westdeutschland durchschnittlich um 1,75 € steigt. In Ostdeutschland ist die Erhöhung des Kindesunterhalts im Durchschnitt sogar noch erheblich höher, weil in den neuen Bundesländern nach der Unterhaltsrechtsreform erstmals die höheren, westdeutschen Unterhaltssätze gelten. Mit dem neuen Unterhaltsrecht bekommen wir also in ganz Deutschland einheitliche Beträge. Die bisherige Unterscheidung danach, ob das unterhaltsberechtigte Kind in Westdeutschland oder in Ostdeutschland lebt und deshalb weniger Unterhalt bekommt, gehört dank der Reform der Vergangenheit an. Die neue Tabelle ist ein gutes Startsignal für das neue Unterhaltsrecht“ sagte Bundesjustizministerin Brigitte Zypries heute in Berlin.
Die Düsseldorfer Tabelle wird von den Richterinnen und Richtern der Familiensenate des Oberlandesgerichts Düsseldorf in Abstimmung mit den anderen Oberlandesgerichten und dem Deutschen Familiengerichtstag in regelmäßigen Abständen neu gefasst. Ihr liegt ein von den Richterinnen und Richtern entwickeltes System zugrunde, mit dem der Unterhaltsbedarf von Kindern nach verschiedenen Einkommensgruppen bestimmt wird. Grundlage der Tabelle ist der sog. Mindestunterhalt, der in keinem Fall unterschritten werden darf. Diesen Mindestunterhalt hat der Gesetzgeber mit der Unterhaltsreform festgelegt. Er entspricht der Höhe nach dem bisherigen Regelbetrag. „Nach dem neuen Unterhaltsrecht kann der Mindestunterhalt nicht absinken. Das haben wir in einer Übergangsregelung ausdrücklich festgeschrieben“, betonte Zypries.
In der Düsseldorfer Tabelle wird die Unterhaltsverpflichtung für alle Einkommen (differenziert) festgeschrieben. Mit steigendem Einkommen des Vaters oder der Mutter erhöht sich auch der Unterhaltsanspruch des Kindes. In der Tabelle werden außerdem die genauen Zahlbeträge in den höheren Einkommensgruppen sowie die Unterhaltssätze für volljährige, noch im Elternhaus lebende Kinder festgesetzt. Dabei liegt es in der Gestaltungsverantwortung der Düsseldorfer Tabelle, ab welchem Einkommen und in welchen Einkommensgruppen es zu einer Erhöhung des Mindestunterhalts kommt. Gleiches gilt für die Steigerungsraten, mit der der Unterhalt von Einkommensstufe zu Einkommensstufe erhöht wird. Eine gesetzliche Vorgabe gibt es dafür nicht. Das gesetzliche Unterhaltsrecht bestimmt allein, dass der Unterhalt im Verhältnis zu den Lebensverhältnissen der Eltern angemessen sein muss. Die Festlegung des Kindesunterhalts obliegt im konkreten Fall den Gerichten, die dabei im Wesentlichen die Düsseldorfer Tabelle zugrunde legen.
Der neuen Tabelle liegt – wie schon bislang – die Annahme zugrunde, dass der Schuldner gegenüber drei Berechtigten (einem Ehegatten und zwei Kindern) unterhaltspflichtig ist. Wo diese Annahme im Einzelfall nicht zutrifft, weil beispielsweise nur ein Kind zu versorgen ist, erfolgt in der Praxis eine Einstufung in die nächsthöhere Einkommensgruppe.
Die neue „Düsseldorfer Tabelle“ findet sich unter www.olg-duesseldorf.nrw.de/service/ddorftab/intro.htm und auf der Homepage des Bundesministeriums der Justiz, www.bmj.de unterhalt.
Neue Düsseldorfer Tabelle: Mehr Geld für Kinder
Berlin, 17. Dezember 2007
Die Richterinnen und Richter der Familiensenate des Oberlandesgerichts Düsseldorf haben heute die ab dem 1. Januar 2008 geltende „Düsseldorfer Tabelle“ vorgestellt. Sie gilt bundesweit als Richtschnur für die Festlegung des Kindesunterhalts. Nach der neuen Tabelle wird der Kindesunterhalt im Durchschnitt um 1,75 € steigen. Eine Neufestsetzung zum 1. Januar 2008 wurde notwendig, weil an diesem Tag das neue Unterhaltsrecht in Kraft tritt.
„Ich freue mich, dass der Kindesunterhalt nach der neuen Düsseldorfer Tabelle in Westdeutschland durchschnittlich um 1,75 € steigt. In Ostdeutschland ist die Erhöhung des Kindesunterhalts im Durchschnitt sogar noch erheblich höher, weil in den neuen Bundesländern nach der Unterhaltsrechtsreform erstmals die höheren, westdeutschen Unterhaltssätze gelten. Mit dem neuen Unterhaltsrecht bekommen wir also in ganz Deutschland einheitliche Beträge. Die bisherige Unterscheidung danach, ob das unterhaltsberechtigte Kind in Westdeutschland oder in Ostdeutschland lebt und deshalb weniger Unterhalt bekommt, gehört dank der Reform der Vergangenheit an. Die neue Tabelle ist ein gutes Startsignal für das neue Unterhaltsrecht“ sagte Bundesjustizministerin Brigitte Zypries heute in Berlin.
Die Düsseldorfer Tabelle wird von den Richterinnen und Richtern der Familiensenate des Oberlandesgerichts Düsseldorf in Abstimmung mit den anderen Oberlandesgerichten und dem Deutschen Familiengerichtstag in regelmäßigen Abständen neu gefasst. Ihr liegt ein von den Richterinnen und Richtern entwickeltes System zugrunde, mit dem der Unterhaltsbedarf von Kindern nach verschiedenen Einkommensgruppen bestimmt wird. Grundlage der Tabelle ist der sog. Mindestunterhalt, der in keinem Fall unterschritten werden darf. Diesen Mindestunterhalt hat der Gesetzgeber mit der Unterhaltsreform festgelegt. Er entspricht der Höhe nach dem bisherigen Regelbetrag. „Nach dem neuen Unterhaltsrecht kann der Mindestunterhalt nicht absinken. Das haben wir in einer Übergangsregelung ausdrücklich festgeschrieben“, betonte Zypries.
In der Düsseldorfer Tabelle wird die Unterhaltsverpflichtung für alle Einkommen (differenziert) festgeschrieben. Mit steigendem Einkommen des Vaters oder der Mutter erhöht sich auch der Unterhaltsanspruch des Kindes. In der Tabelle werden außerdem die genauen Zahlbeträge in den höheren Einkommensgruppen sowie die Unterhaltssätze für volljährige, noch im Elternhaus lebende Kinder festgesetzt. Dabei liegt es in der Gestaltungsverantwortung der Düsseldorfer Tabelle, ab welchem Einkommen und in welchen Einkommensgruppen es zu einer Erhöhung des Mindestunterhalts kommt. Gleiches gilt für die Steigerungsraten, mit der der Unterhalt von Einkommensstufe zu Einkommensstufe erhöht wird. Eine gesetzliche Vorgabe gibt es dafür nicht. Das gesetzliche Unterhaltsrecht bestimmt allein, dass der Unterhalt im Verhältnis zu den Lebensverhältnissen der Eltern angemessen sein muss. Die Festlegung des Kindesunterhalts obliegt im konkreten Fall den Gerichten, die dabei im Wesentlichen die Düsseldorfer Tabelle zugrunde legen.
Der neuen Tabelle liegt – wie schon bislang – die Annahme zugrunde, dass der Schuldner gegenüber drei Berechtigten (einem Ehegatten und zwei Kindern) unterhaltspflichtig ist. Wo diese Annahme im Einzelfall nicht zutrifft, weil beispielsweise nur ein Kind zu versorgen ist, erfolgt in der Praxis eine Einstufung in die nächsthöhere Einkommensgruppe.
Die neue „Düsseldorfer Tabelle“ findet sich unter www.olg-duesseldorf.nrw.de/service/ddorftab/intro.htm und auf der Homepage des Bundesministeriums der Justiz, www.bmj.de unterhalt.
13 Dezember 2007
Bundestag verabschiedet Gesetz zur Anfechtung von „Scheinvaterschaften“
Presseerklärung - Berlin, 13. Dezember 2007
Der Bundestag hat heute einen Gesetzentwurf verabschiedet, der die Anfechtung von missbräuchlichen Vaterschaftsanerkennungen ermöglicht. Staatliche Behörden erhalten künftig die Befugnis, Vaterschaftsanerkennungen dann anzufechten, wenn der Anerkennung weder eine sozial-familiäre Beziehung noch eine leibliche Vaterschaft zugrunde liegt.
„Vaterschaften sollen um der Kinder Willen anerkannt werden, nicht allein wegen der Papiere. Mit dem Gesetz wollen wir verhindern, dass Regelungen zum Aufenthalt in Deutschland durch missbräuchliche Vaterschaftsanerkennungen umgangen werden. Fälle, in denen Männer die Vaterschaft anerkennen, um den eigenen Aufenthaltstatus zu verbessern, aber tatsächlich keine Verantwortung für das Kind übernehmen, sind nicht im Interesse der vielen „echten“ binationalen Familien. Wir schaffen daher ein geordnetes Verfahren, um den Missbrauch aufdecken zu können“, sagte Bundesjustizministerin Brigitte Zypries.
Beispiel:
Eine allein erziehende ausländische Frau lebt mit ihrem vierjährigen Sohn in Deutschland. Ihre Aufenthaltsgenehmigung läuft ab und wird nicht verlängert. Mit Ablauf der Aufenthaltsgenehmigung ist sie ausreisepflichtig, muss also Deutschland verlassen. Um dies zu vermeiden, zahlt sie einem Obdachlosen mit deutscher Staatsangehörigkeit Geld dafür, dass er die Vaterschaft für ihren Sohn anerkennt. Weder die Mutter noch der „frischgebackene Vater“ haben ein Interesse daran, dass letzterer Kontakt zu seinem „Sohn“ hat. Durch die Anerkennung wird der Sohn nach deutschem Staatsangehörigkeitsrecht automatisch deutscher Staatsbürger, seine Mutter darf dann auch in Deutschland bleiben.
Die wesentlichen Inhalte des Gesetzentwurfs:
Der Gesetzentwurf ergänzt die Regelungen zur Anfechtung der Vaterschaft im Bürger- lichen Gesetzbuch um ein Anfechtungsrecht für eine öffentliche Stelle.
Die für die Anfechtung zuständige Behörde sollen die Länder entsprechend den Bedürfnissen vor Ort selbst bestimmen können.
Die Anfechtung ist nur erfolgreich, wenn zwischen dem Kind und dem Anerkennenden keine sozial-familiäre Beziehung besteht oder im Zeitpunkt der Anerkennung bestan- den hat. Dadurch wird verhindert, dass durch die Anfechtung eine vom Grundgesetz in Artikel 6 geschützte Familie auseinander gerissen wird.
Außerdem setzt die Anfechtung voraus, dass durch die Anerkennung der Vaterschaft rechtliche Voraussetzungen für die erlaubte Einreise oder den erlaubten Aufenthalt des Kindes oder eines Elternteiles geschaffen werden. Dieses Kriterium dient dazu, die Missbrauchsfälle zu erfassen, die mit diesem Gesetz unterbunden werden sollen: Vaterschaften sollen um der Kinder Willen anerkannt werden, nicht allein wegen der Aufenthaltspapiere.
Die Anfechtung setzt weiter voraus, dass der Anerkennende nicht der leibliche Vater des Kindes ist (allgemeine Anfechtungsvoraussetzung).
Gibt das Familiengericht der Anfechtungsklage statt, entfällt die Vaterschaft des Anerkennenden mit Rückwirkung auf den Tag der Geburt des Kindes.
Das Gesetz wahrt das Konzept der Kindschaftsrechtsreform von 1998. Diese hat die Elternautonomie gestärkt und die Entstehung von Familien gefördert, indem sie das Zustandekommen einer wirksamen Vaterschaftsanerkennung allein an formgebundene Erklärungen des Vaters (Anerkennung) und der Mutter (Zustimmung) knüpft. Vor 1998 musste ein Amtspfleger der Anerkennung im Regelfall zustimmen. Dies wurde mit Recht als eine unnötige Bevormundung der Eltern empfunden. Deshalb hat der Gesetzgeber 1998 bewusst auf Kontrollmechanismen verzichtet, weil der Anerkennende in der Regel Verantwortungsbereitschaft für das Kind zeigt.
„An diesem Regelungskonzept halten wir fest. Es ermöglicht uns, nicht nur leibliche, sondern auch soziale Vaterschaften zu schützen. Nicht schützenswert sind jedoch Vaterschaften, die allein auf staatsangehörigkeits- und ausländerrechtliche Vorteile abzielen. In solchen Missbrauchsfällen soll künftig eine staatliche Stelle die Vaterschaft anfechten können“, sagte Brigitte Zypries.
Der Bundestag hat heute einen Gesetzentwurf verabschiedet, der die Anfechtung von missbräuchlichen Vaterschaftsanerkennungen ermöglicht. Staatliche Behörden erhalten künftig die Befugnis, Vaterschaftsanerkennungen dann anzufechten, wenn der Anerkennung weder eine sozial-familiäre Beziehung noch eine leibliche Vaterschaft zugrunde liegt.
„Vaterschaften sollen um der Kinder Willen anerkannt werden, nicht allein wegen der Papiere. Mit dem Gesetz wollen wir verhindern, dass Regelungen zum Aufenthalt in Deutschland durch missbräuchliche Vaterschaftsanerkennungen umgangen werden. Fälle, in denen Männer die Vaterschaft anerkennen, um den eigenen Aufenthaltstatus zu verbessern, aber tatsächlich keine Verantwortung für das Kind übernehmen, sind nicht im Interesse der vielen „echten“ binationalen Familien. Wir schaffen daher ein geordnetes Verfahren, um den Missbrauch aufdecken zu können“, sagte Bundesjustizministerin Brigitte Zypries.
Beispiel:
Eine allein erziehende ausländische Frau lebt mit ihrem vierjährigen Sohn in Deutschland. Ihre Aufenthaltsgenehmigung läuft ab und wird nicht verlängert. Mit Ablauf der Aufenthaltsgenehmigung ist sie ausreisepflichtig, muss also Deutschland verlassen. Um dies zu vermeiden, zahlt sie einem Obdachlosen mit deutscher Staatsangehörigkeit Geld dafür, dass er die Vaterschaft für ihren Sohn anerkennt. Weder die Mutter noch der „frischgebackene Vater“ haben ein Interesse daran, dass letzterer Kontakt zu seinem „Sohn“ hat. Durch die Anerkennung wird der Sohn nach deutschem Staatsangehörigkeitsrecht automatisch deutscher Staatsbürger, seine Mutter darf dann auch in Deutschland bleiben.
Die wesentlichen Inhalte des Gesetzentwurfs:
Der Gesetzentwurf ergänzt die Regelungen zur Anfechtung der Vaterschaft im Bürger- lichen Gesetzbuch um ein Anfechtungsrecht für eine öffentliche Stelle.
Die für die Anfechtung zuständige Behörde sollen die Länder entsprechend den Bedürfnissen vor Ort selbst bestimmen können.
Die Anfechtung ist nur erfolgreich, wenn zwischen dem Kind und dem Anerkennenden keine sozial-familiäre Beziehung besteht oder im Zeitpunkt der Anerkennung bestan- den hat. Dadurch wird verhindert, dass durch die Anfechtung eine vom Grundgesetz in Artikel 6 geschützte Familie auseinander gerissen wird.
Außerdem setzt die Anfechtung voraus, dass durch die Anerkennung der Vaterschaft rechtliche Voraussetzungen für die erlaubte Einreise oder den erlaubten Aufenthalt des Kindes oder eines Elternteiles geschaffen werden. Dieses Kriterium dient dazu, die Missbrauchsfälle zu erfassen, die mit diesem Gesetz unterbunden werden sollen: Vaterschaften sollen um der Kinder Willen anerkannt werden, nicht allein wegen der Aufenthaltspapiere.
Die Anfechtung setzt weiter voraus, dass der Anerkennende nicht der leibliche Vater des Kindes ist (allgemeine Anfechtungsvoraussetzung).
Gibt das Familiengericht der Anfechtungsklage statt, entfällt die Vaterschaft des Anerkennenden mit Rückwirkung auf den Tag der Geburt des Kindes.
Das Gesetz wahrt das Konzept der Kindschaftsrechtsreform von 1998. Diese hat die Elternautonomie gestärkt und die Entstehung von Familien gefördert, indem sie das Zustandekommen einer wirksamen Vaterschaftsanerkennung allein an formgebundene Erklärungen des Vaters (Anerkennung) und der Mutter (Zustimmung) knüpft. Vor 1998 musste ein Amtspfleger der Anerkennung im Regelfall zustimmen. Dies wurde mit Recht als eine unnötige Bevormundung der Eltern empfunden. Deshalb hat der Gesetzgeber 1998 bewusst auf Kontrollmechanismen verzichtet, weil der Anerkennende in der Regel Verantwortungsbereitschaft für das Kind zeigt.
„An diesem Regelungskonzept halten wir fest. Es ermöglicht uns, nicht nur leibliche, sondern auch soziale Vaterschaften zu schützen. Nicht schützenswert sind jedoch Vaterschaften, die allein auf staatsangehörigkeits- und ausländerrechtliche Vorteile abzielen. In solchen Missbrauchsfällen soll künftig eine staatliche Stelle die Vaterschaft anfechten können“, sagte Brigitte Zypries.
04 Dezember 2007
Evaluierung: Graffiti-Gesetz im Kampf gegen Schmierereien erfolgreich
Presseerklärung - Berlin, 4. Dezember 2007
Die im September 2005 eingeführte Neuregelung zur Strafbarkeit von Graffiti hat sich bewährt. Dies ist das Ergebnis einer Umfrage des Bundesjustizministeriums bei den Justizverwaltungen der Länder zwei Jahre nach Inkrafttreten der Gesetzesänderung.
“Die Evaluierung zeigt, dass die neue Regelung praxistauglich ist. Zwei Jahre nach Inkrafttreten der neuen Strafvorschriften können wir zufrieden feststellen, dass die strafrechtliche Aufarbeitung von Farbschmierereien wesentlich erleichtert wurde“, erläuterte Bundesjustizministerin Brigitte Zypries.
Bis zur Gesetzesnovelle konnten die Gerichte Farbschmierereien nur dann als Sachbeschädigung bestrafen, wenn nachweisbar war, dass die Farbe die Substanz beschädigt hat, auf die sie aufgesprüht wurde. Dazu musste im Strafverfahren häufig mit zeit- und kostenaufwändigen Gutachten untersucht werden, ob die Reinigung der Sache – sei es eine Hauswand oder ein Zugwaggon – zu einer Beschädigung des Mauerwerks oder der Karosserie geführt hat.
Seit der Neuregelung der §§ 303 und 304 des Strafgesetzbuches (Sachbeschädigung und Gemeinschädliche Sachbeschädigung) genügt es, wenn das Erscheinungsbild der jeweils geschützten Sache erheblich und nicht nur vorübergehend verändert wird, auf eine Substanzverletzung kommt es nicht mehr an. Die Anforderungen an den Nachweis einer Sachbeschädigung durch Farbschmierereien sind damit wesentlich erleichtert worden. Umfangreiche Gutachten zur Frage der Beschädigung der durch Graffiti verunstalteten Sache sind nicht mehr nötig. Die Länder haben die neuen Vorschriften mehrheitlich begrüßt und eine insgesamt positive Bilanz zur Strafverfolgung von Sachbeschädigungen durch Graffiti gezogen.
Mit der Evaluierung wurde eine Vereinbarung aus dem Koalitionsvertrag umgesetzt, wonach die Praxistauglichkeit der Gesetzesänderung zur Strafbarkeit von Graffiti zwei Jahre nach deren Inkrafttreten überprüft werden soll.
Graffiti
Die im September 2005 eingeführte Neuregelung zur Strafbarkeit von Graffiti hat sich bewährt. Dies ist das Ergebnis einer Umfrage des Bundesjustizministeriums bei den Justizverwaltungen der Länder zwei Jahre nach Inkrafttreten der Gesetzesänderung.
“Die Evaluierung zeigt, dass die neue Regelung praxistauglich ist. Zwei Jahre nach Inkrafttreten der neuen Strafvorschriften können wir zufrieden feststellen, dass die strafrechtliche Aufarbeitung von Farbschmierereien wesentlich erleichtert wurde“, erläuterte Bundesjustizministerin Brigitte Zypries.
Bis zur Gesetzesnovelle konnten die Gerichte Farbschmierereien nur dann als Sachbeschädigung bestrafen, wenn nachweisbar war, dass die Farbe die Substanz beschädigt hat, auf die sie aufgesprüht wurde. Dazu musste im Strafverfahren häufig mit zeit- und kostenaufwändigen Gutachten untersucht werden, ob die Reinigung der Sache – sei es eine Hauswand oder ein Zugwaggon – zu einer Beschädigung des Mauerwerks oder der Karosserie geführt hat.
Seit der Neuregelung der §§ 303 und 304 des Strafgesetzbuches (Sachbeschädigung und Gemeinschädliche Sachbeschädigung) genügt es, wenn das Erscheinungsbild der jeweils geschützten Sache erheblich und nicht nur vorübergehend verändert wird, auf eine Substanzverletzung kommt es nicht mehr an. Die Anforderungen an den Nachweis einer Sachbeschädigung durch Farbschmierereien sind damit wesentlich erleichtert worden. Umfangreiche Gutachten zur Frage der Beschädigung der durch Graffiti verunstalteten Sache sind nicht mehr nötig. Die Länder haben die neuen Vorschriften mehrheitlich begrüßt und eine insgesamt positive Bilanz zur Strafverfolgung von Sachbeschädigungen durch Graffiti gezogen.
Mit der Evaluierung wurde eine Vereinbarung aus dem Koalitionsvertrag umgesetzt, wonach die Praxistauglichkeit der Gesetzesänderung zur Strafbarkeit von Graffiti zwei Jahre nach deren Inkrafttreten überprüft werden soll.
18 September 2007
BJustizM: Reformvorschlag § 89a StGB
Zypries: Balance zwischen Freiheit und Sicherheit bei Terrorismusbekämpfung wahren
Presseerklärung des Bundesjustizministeriums, Berlin, 18. September 2007
Bundesjustizministerin Brigitte Zypries hat heute die Eckpunkte neuer strafrechtlicher Regelungen vorgestellt, mit denen die Vorbereitung von terroristischen Gewalttaten und die Anleitung zu solchen Taten unter Strafe gestellt werden sollen.
„Deutschland ist Teil eines weltweiten Gefahrenraums und wir können einen terroristischen Anschlag in unserem Land nicht ausschließen. So bedauerlich diese Erkenntnis ist – sie ist – leider – ganz und gar nicht neu. Sie ist uns nur durch die jüngsten Ereignisse wieder deutlich in Erinnerung gerufen worden. Tatsache ist, dass wir seit dem 11. September 2001, genauso wie viele andere europäische Länder, mit der Bedrohung durch den islamistischen Terrorimus leben müssen. Seit dem 11. September arbeiten die Sicherheitsbehörden in unserem Land - ausgestattet mit erheblich verbesserten rechtlichen Grundlagen durch die Sicherheitspakete I und II - mit großen Anstrengen dafür, dass Anschläge in Deutschland auch künftig vermieden werden.
Unabhängig von den aktuellen Festnahmen prüft das Bundesministerium der Justiz seit einiger Zeit, ob und in welchem Umfang im Strafrecht noch eine Lücke besteht. Ergebnis dieser Prüfung ist ein Vorschlag für zwei neue Straftatbestände, um Vorbereitungshandlungen im Vorfeld von terroristischen Gewalttaten gezielter strafrechtlich erfassen zu können. Dabei halten wir uns streng an den rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgrundsatz“, sagte Bundesjustizministerin Brigitte Zypries in Berlin.
I. § 89a StGB (neu) Vorbereitung einer Gewalttat
Die §§ 129 a und b StGB knüpfen die Strafbarkeit des Bildens oder Unterstützens einer terroristischen Vereinigung an die Gefährlichkeit, die von einer Gruppe ausgeht, die aus mindestens drei Mitgliedern besteht. Die Struktur des Terrorismus hat sich im Vergleich zu den 70er Jahren verändert – anders als bei der RAF handelt es sich bei islamistischen Tätern oftmals um Täter, die ohne feste Einbindung in eine hierarchisch aufgebaute Gruppe agieren, so dass die §§ 129a und b StGB auf sie nicht angewendet werden können, die von ihnen ausgehende Gefahr aber dennoch erheblich und deshalb strafwürdig ist.
Künftig soll es im Staatsschutzstrafrecht einen neuen § 89a StGB geben, der die Vorbereitung einer Gewalttat mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu 10 Jahren unter Strafe stellt.
Mit dem Tatbestand erfassen wir
Die Vorbereitung von Straftaten aus dem terroristischen Kernbereich, wie sie in § 129 a Abs. 1 StGB aufgeführt sind (Straftaten gegen das Leben und die persönliche Freiheit, wie Mord, Totschlag, Freiheitsberaubung, Geiselnahme), wenn diese Taten bestimmt und geeignet sind, den Bestand oder die Sicherheit eines Staates zu beinträchtigen oder die Verfassungsgrundsätze der Bundesrepublik Deutschland zu beseitigen, außer Geltung zu setzen oder zu untergraben.
Täter, die solche Taten vorbereiten, aber mangels Bestehen oder Nachweisbarkeit einer terroristischen Vereinigung derzeit nicht nach §§ 129 a oder § 129 b StGB bestraft werden können.
Damit werden auch Einzeltäter erfasst, deren Handlungen noch nicht unter den Tatbestand der Verbrechensverabredung des geltenden § 30 Abs. 2 StGB fallen.
Strafrecht ist immer das letzte Mittel des Staates (ultima-ratio-Charakter). Deshalb können Vorbereitungshandlungen grundsätzlich nur ausnahmsweise strafbar sein. Um eine uferlose Ausweitung der Vorfeldstrafbarkeit zu vermeiden, muss aus Verfassungsgründen exakt umschrieben werden, welche Vorbereitungshandlungen im Einzelnen strafbar sind.
Der neue § 89a StGB definiert deshalb abschließend folgende strafbare Vorbereitungshandlungen:
1. die Ausbildung und das Sich-Ausbilden-Lassen, um eine terroristische Gewalttat zu begehen
Beispiele:
a) A erhält den Auftrag, in Deutschland einen Sprengstoffanschlag auf eine Bundeswehrkaserne und einen US-Luftwaffenstützpunkt zu verüben. Um die notwendigen Fertigkeiten zu erwerben, lässt A sich in einem islamistischen Ausbildungslager in Pakistan theoretisch und praktisch im Umgang mit Schusswaffen bzw. in der Herstellung und der Zündung von unkonventionellem Sprengstoff schulen.
b) X, Mitglied einer rechtsextremistischen „Wehrsportgruppe“, erhält von seinem Anführer die Auftrag, sich für einen Sprengmeisterkurs im Steinbruch anzumelden, um die nötigen Kenntnisse zu erwerben, einen Sprengstoffanschlag auf eine Synagoge zu verüben.
c) M lässt sich in einer Flugschule beibringen, wie man ein Passagierflugzeug führt. Damit will er sich die Fertigkeit erwerben, seinen Plan ins Werk zu setzen, ein gekapertes Passagierflugzeug in einen Büroturm zu steuern.
Strafbar macht sich nach dieser Tatalternative nur derjenige, der sich unterweisen lässt oder einen anderen unterweist, um eine terroristische Gewalttat zu begehen. Ein bloßes Erwerben von Fertigkeiten ohne die Absicht, damit eine terroristische Gewalttat zu verüben, bleibt straflos.
2. die Herstellung, das Sich-Verschaffen, Überlassen oder Verwahren von Waffen, bestimmten Stoffen (z. B. Viren, Gifte, radioaktive Stoffe, (Flüssig-)Sprengstoffe) oder besonderen zur Ausführung der vorbereiteten Tat erforderlichen Vorrichtungen (z. B. Zündern) sowie
3. das Sich-Verschaffen oder Verwahren von erforderlichen wesentlichen Gegenständen oder „Grundstoffen“, um diese Waffen, Stoffe oder Vorrichtungen herzustellen
Beispiel:
a. Die kürzlich im Sauerland festgenommenen Tatverdächtigen haben nach dem bisherigen Ergebnis der Ermittlungen unter anderem Anschläge auf US-amerikanische Einrichtungen geplant und sich zu diesem Zweck erhebliche Mengen Wasserstoffperoxid verschafft, um damit Bombenanschläge zu begehen.
b. Auch im Falle der versuchten Bombenanschläge auf Regionalzüge in Dortmund und Koblenz haben sich die Täter nach den Erkenntnissen der Ermittler die für die Kofferbomben erforderlichen Gegenstände zur Vorbereitung der geplanten Taten beschafft und in ihren Wohnungen bereits grundsätzlich funktionstüchtige Sprengsätze gebaut.
4. die Finanzierung eines terroristischen Anschlags
Die neue Vorschrift erfasst das Zur-Verfügung-Stellen von Geldmitteln in nicht unerheblicher Menge, um beispielsweise die zur Tat erforderlichen Sprengstoffe zu kaufen, Wohnungen anzumieten oder Flugtickets zu buchen. Erfasst wird auch das Sammeln vermeintlicher „Spenden“ zur Vorbereitung eines Anschlags.
II. Anleitung zu einer Gewalttat / § 91 StGB (neu)
Die Vorschriften über das Anleiten zu staatsschutzrelevanten Gewalttaten ergänzen die bestehenden allgemeinen Strafvorschriften. Mit dem neuen § 91 StGB wird vor allem das Verbreiten oder das Anpreisen von terroristischen „Anleitungen“ - beispielsweise im Internet – erfasst und mit bis zu drei Jahren Haft bestraft.
Das Internet als weltweiter Kommunikationsraum hat als Propagandamedium für Terroristen in erheblichem Umfang an Bedeutung gewonnen. Auf vielen dieser Seiten sind Anleitungen für die Herstellung von Sprengstoffen, den Bau von Sprengvorrichtungen oder die Ausbildung in terroristischen Trainingslagern auch ohne konkreten Tatbezug eingestellt. Solche Anleitungen stellen eine erhebliche Gefahr für den öffentlichen Frieden dar, da sie ohne weitere Zwischenschritte zur Vorbereitung von Gewalttaten verwendet werden können und nach den Erkenntnissen der Strafverfolgungsbehörden auch verwendet werden.
Trotz der von ihnen ausgehenden Gefahr werden solche Anleitungen von den bereits geltenden Strafvorschriften, die das Anleiten zu Straftaten ahnden (§§ 111, 130a StGB , sowie im Sprengstoff- und Waffenrecht), nicht hinreichend erfasst.
Diese Probleme der Praxis soll der neue § 91 StGB lösen. Entscheidende Neuerung ist, dass eine solche Anleitung vom Täter nicht mehr dazu „bestimmt“ sein muss, einen bestimmten Schaden eintreten zu lassen. Dieses Tatbestandsmerkmal hat den Strafverfolgern in der Vergangenheit die Arbeit wesentlich erschwert, da es wegen seines subjektiven Gehalts schwierig nachzuweisen ist. Statt dessen soll es künftig ausreichen, dass die jeweilige Anleitung nach den Umständen ihrer Verbreitung (z. B. im Rahmen einer islamistischen oder auch rechtsextremistischen Webseite) objektiv geeignet ist, die Bereitschaft anderer zu fördern oder zu wecken, eine Gewalttat mit einer staatsschutzrelevanten Zielsetzung zu begehen.
Ebenfalls bestraft werden soll, wer sich eine solche Anleitung (zum Beispiel durch Herunterladen aus dem Internet) zur Begehung einer solchen Gewalttat verschafft.
Beispiele:
a) Zur Vorbereitung der versuchten Anschläge auf Regionalzüge in Koblenz und Dortmund haben sich die Täter nach dem Ergebnis der Ermittlungen aus dem Internet Bombenbauanleitungen heruntergeladen und diese zur Herstellung ihrer grundsätzlich funktionstüchtigen Sprengsätze verwendet.
b) Eine bereits fest zur Begehung eines Selbstmordanschlags entschlossene allein agierende, islamistisch motivierte Person experimentiert nach der Auskundschaftung von geeigneten Tatobjekten in abgelegenen Wäldern mit Sprengstoffen. Die erforderlichen Bombenbauanleitungen hat sich der Betreffende zur Vorbereitung des Anschlags aus dem Internet heruntergeladen.
Ausgenommen von der Strafbarkeit sind solche Handlungen, die zwar den objektiven Tatbestand der Strafnorm erfüllen, die aber ausschließlich der Erfüllung rechtmäßiger beruflicher oder dienstlicher Pflichten oder der Forschung, Wissenschaft oder Lehre dienen.
Straflos sind etwa Recherchen der Polizei im Internet, bei der einschlägige Webseiten identifiziert und zu diesem Zweck auch aufgerufen werden müssen. Weiterhin bereits nicht vom Tatbestand erfasst sind beispielsweise auch Anleitungen in Chemiebaukästen oder Lehrbüchern.
III. Begleitregelungen
a. Verfahrensrecht
Ergänzt werden die beiden neuen Tatbestände im Strafgesetzbuch durch Begleitregelungen. So sollen die Strafverfolgungsbehörden die notwendigen Instrumentarien auch in diesem Bereich der Terrorismusbekämpfung erhalten. Deshalb gelten künftig jene strafprozessualen Vorschriften (z. B. die Durchsuchung, Beschlagnahme, Wohnraumüberwachung, Telefonüberwachung), die nach geltendem Recht bereits im Zusammenhang mit terroristisch motivierten Taten Anwendung finden, auch bei Ermittlungen wegen § 89a StGB.
Zudem wird durch die Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes für den Generalbundesanwalt die Möglichkeit eröffnet, bei einer besonderen Bedeutung des Falles bei Straftaten nach § 89a StGB die Strafverfolgung zu übernehmen.
b. AufenthaltsrechtSchließlich soll ein Ausländer, bei dem Tatsachen vorliegen, die die Annahme rechtfertigen, dass er die oben beschriebenen Tatbestände erfüllt, ausgewiesen oder an der Wiedereinreise nach Deutschland gehindert werden können. Die dafür notwendige aufenthaltsrechtliche Regelung wird das Bundesministerium des Innern im Rahmen der Ressortabstimmung des Gesetzentwurfs ergänzen.
IV. Weiteres Verfahren
Nach Abstimmung innerhalb der Bundesregierung wird der Referentenentwurf an Länder und Verbände zur Stellungnahme übersandt, mit dem Ziel, schnellstmöglich einen Regierungsentwurf durch das Bundeskabinett beschließen zu lassen.
Presseerklärung des Bundesjustizministeriums, Berlin, 18. September 2007
Bundesjustizministerin Brigitte Zypries hat heute die Eckpunkte neuer strafrechtlicher Regelungen vorgestellt, mit denen die Vorbereitung von terroristischen Gewalttaten und die Anleitung zu solchen Taten unter Strafe gestellt werden sollen.
„Deutschland ist Teil eines weltweiten Gefahrenraums und wir können einen terroristischen Anschlag in unserem Land nicht ausschließen. So bedauerlich diese Erkenntnis ist – sie ist – leider – ganz und gar nicht neu. Sie ist uns nur durch die jüngsten Ereignisse wieder deutlich in Erinnerung gerufen worden. Tatsache ist, dass wir seit dem 11. September 2001, genauso wie viele andere europäische Länder, mit der Bedrohung durch den islamistischen Terrorimus leben müssen. Seit dem 11. September arbeiten die Sicherheitsbehörden in unserem Land - ausgestattet mit erheblich verbesserten rechtlichen Grundlagen durch die Sicherheitspakete I und II - mit großen Anstrengen dafür, dass Anschläge in Deutschland auch künftig vermieden werden.
Unabhängig von den aktuellen Festnahmen prüft das Bundesministerium der Justiz seit einiger Zeit, ob und in welchem Umfang im Strafrecht noch eine Lücke besteht. Ergebnis dieser Prüfung ist ein Vorschlag für zwei neue Straftatbestände, um Vorbereitungshandlungen im Vorfeld von terroristischen Gewalttaten gezielter strafrechtlich erfassen zu können. Dabei halten wir uns streng an den rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgrundsatz“, sagte Bundesjustizministerin Brigitte Zypries in Berlin.
I. § 89a StGB (neu) Vorbereitung einer Gewalttat
Die §§ 129 a und b StGB knüpfen die Strafbarkeit des Bildens oder Unterstützens einer terroristischen Vereinigung an die Gefährlichkeit, die von einer Gruppe ausgeht, die aus mindestens drei Mitgliedern besteht. Die Struktur des Terrorismus hat sich im Vergleich zu den 70er Jahren verändert – anders als bei der RAF handelt es sich bei islamistischen Tätern oftmals um Täter, die ohne feste Einbindung in eine hierarchisch aufgebaute Gruppe agieren, so dass die §§ 129a und b StGB auf sie nicht angewendet werden können, die von ihnen ausgehende Gefahr aber dennoch erheblich und deshalb strafwürdig ist.
Künftig soll es im Staatsschutzstrafrecht einen neuen § 89a StGB geben, der die Vorbereitung einer Gewalttat mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu 10 Jahren unter Strafe stellt.
Mit dem Tatbestand erfassen wir
Die Vorbereitung von Straftaten aus dem terroristischen Kernbereich, wie sie in § 129 a Abs. 1 StGB aufgeführt sind (Straftaten gegen das Leben und die persönliche Freiheit, wie Mord, Totschlag, Freiheitsberaubung, Geiselnahme), wenn diese Taten bestimmt und geeignet sind, den Bestand oder die Sicherheit eines Staates zu beinträchtigen oder die Verfassungsgrundsätze der Bundesrepublik Deutschland zu beseitigen, außer Geltung zu setzen oder zu untergraben.
Täter, die solche Taten vorbereiten, aber mangels Bestehen oder Nachweisbarkeit einer terroristischen Vereinigung derzeit nicht nach §§ 129 a oder § 129 b StGB bestraft werden können.
Damit werden auch Einzeltäter erfasst, deren Handlungen noch nicht unter den Tatbestand der Verbrechensverabredung des geltenden § 30 Abs. 2 StGB fallen.
Strafrecht ist immer das letzte Mittel des Staates (ultima-ratio-Charakter). Deshalb können Vorbereitungshandlungen grundsätzlich nur ausnahmsweise strafbar sein. Um eine uferlose Ausweitung der Vorfeldstrafbarkeit zu vermeiden, muss aus Verfassungsgründen exakt umschrieben werden, welche Vorbereitungshandlungen im Einzelnen strafbar sind.
Der neue § 89a StGB definiert deshalb abschließend folgende strafbare Vorbereitungshandlungen:
1. die Ausbildung und das Sich-Ausbilden-Lassen, um eine terroristische Gewalttat zu begehen
Beispiele:
a) A erhält den Auftrag, in Deutschland einen Sprengstoffanschlag auf eine Bundeswehrkaserne und einen US-Luftwaffenstützpunkt zu verüben. Um die notwendigen Fertigkeiten zu erwerben, lässt A sich in einem islamistischen Ausbildungslager in Pakistan theoretisch und praktisch im Umgang mit Schusswaffen bzw. in der Herstellung und der Zündung von unkonventionellem Sprengstoff schulen.
b) X, Mitglied einer rechtsextremistischen „Wehrsportgruppe“, erhält von seinem Anführer die Auftrag, sich für einen Sprengmeisterkurs im Steinbruch anzumelden, um die nötigen Kenntnisse zu erwerben, einen Sprengstoffanschlag auf eine Synagoge zu verüben.
c) M lässt sich in einer Flugschule beibringen, wie man ein Passagierflugzeug führt. Damit will er sich die Fertigkeit erwerben, seinen Plan ins Werk zu setzen, ein gekapertes Passagierflugzeug in einen Büroturm zu steuern.
Strafbar macht sich nach dieser Tatalternative nur derjenige, der sich unterweisen lässt oder einen anderen unterweist, um eine terroristische Gewalttat zu begehen. Ein bloßes Erwerben von Fertigkeiten ohne die Absicht, damit eine terroristische Gewalttat zu verüben, bleibt straflos.
2. die Herstellung, das Sich-Verschaffen, Überlassen oder Verwahren von Waffen, bestimmten Stoffen (z. B. Viren, Gifte, radioaktive Stoffe, (Flüssig-)Sprengstoffe) oder besonderen zur Ausführung der vorbereiteten Tat erforderlichen Vorrichtungen (z. B. Zündern) sowie
3. das Sich-Verschaffen oder Verwahren von erforderlichen wesentlichen Gegenständen oder „Grundstoffen“, um diese Waffen, Stoffe oder Vorrichtungen herzustellen
Beispiel:
a. Die kürzlich im Sauerland festgenommenen Tatverdächtigen haben nach dem bisherigen Ergebnis der Ermittlungen unter anderem Anschläge auf US-amerikanische Einrichtungen geplant und sich zu diesem Zweck erhebliche Mengen Wasserstoffperoxid verschafft, um damit Bombenanschläge zu begehen.
b. Auch im Falle der versuchten Bombenanschläge auf Regionalzüge in Dortmund und Koblenz haben sich die Täter nach den Erkenntnissen der Ermittler die für die Kofferbomben erforderlichen Gegenstände zur Vorbereitung der geplanten Taten beschafft und in ihren Wohnungen bereits grundsätzlich funktionstüchtige Sprengsätze gebaut.
4. die Finanzierung eines terroristischen Anschlags
Die neue Vorschrift erfasst das Zur-Verfügung-Stellen von Geldmitteln in nicht unerheblicher Menge, um beispielsweise die zur Tat erforderlichen Sprengstoffe zu kaufen, Wohnungen anzumieten oder Flugtickets zu buchen. Erfasst wird auch das Sammeln vermeintlicher „Spenden“ zur Vorbereitung eines Anschlags.
II. Anleitung zu einer Gewalttat / § 91 StGB (neu)
Die Vorschriften über das Anleiten zu staatsschutzrelevanten Gewalttaten ergänzen die bestehenden allgemeinen Strafvorschriften. Mit dem neuen § 91 StGB wird vor allem das Verbreiten oder das Anpreisen von terroristischen „Anleitungen“ - beispielsweise im Internet – erfasst und mit bis zu drei Jahren Haft bestraft.
Das Internet als weltweiter Kommunikationsraum hat als Propagandamedium für Terroristen in erheblichem Umfang an Bedeutung gewonnen. Auf vielen dieser Seiten sind Anleitungen für die Herstellung von Sprengstoffen, den Bau von Sprengvorrichtungen oder die Ausbildung in terroristischen Trainingslagern auch ohne konkreten Tatbezug eingestellt. Solche Anleitungen stellen eine erhebliche Gefahr für den öffentlichen Frieden dar, da sie ohne weitere Zwischenschritte zur Vorbereitung von Gewalttaten verwendet werden können und nach den Erkenntnissen der Strafverfolgungsbehörden auch verwendet werden.
Trotz der von ihnen ausgehenden Gefahr werden solche Anleitungen von den bereits geltenden Strafvorschriften, die das Anleiten zu Straftaten ahnden (§§ 111, 130a StGB , sowie im Sprengstoff- und Waffenrecht), nicht hinreichend erfasst.
Diese Probleme der Praxis soll der neue § 91 StGB lösen. Entscheidende Neuerung ist, dass eine solche Anleitung vom Täter nicht mehr dazu „bestimmt“ sein muss, einen bestimmten Schaden eintreten zu lassen. Dieses Tatbestandsmerkmal hat den Strafverfolgern in der Vergangenheit die Arbeit wesentlich erschwert, da es wegen seines subjektiven Gehalts schwierig nachzuweisen ist. Statt dessen soll es künftig ausreichen, dass die jeweilige Anleitung nach den Umständen ihrer Verbreitung (z. B. im Rahmen einer islamistischen oder auch rechtsextremistischen Webseite) objektiv geeignet ist, die Bereitschaft anderer zu fördern oder zu wecken, eine Gewalttat mit einer staatsschutzrelevanten Zielsetzung zu begehen.
Ebenfalls bestraft werden soll, wer sich eine solche Anleitung (zum Beispiel durch Herunterladen aus dem Internet) zur Begehung einer solchen Gewalttat verschafft.
Beispiele:
a) Zur Vorbereitung der versuchten Anschläge auf Regionalzüge in Koblenz und Dortmund haben sich die Täter nach dem Ergebnis der Ermittlungen aus dem Internet Bombenbauanleitungen heruntergeladen und diese zur Herstellung ihrer grundsätzlich funktionstüchtigen Sprengsätze verwendet.
b) Eine bereits fest zur Begehung eines Selbstmordanschlags entschlossene allein agierende, islamistisch motivierte Person experimentiert nach der Auskundschaftung von geeigneten Tatobjekten in abgelegenen Wäldern mit Sprengstoffen. Die erforderlichen Bombenbauanleitungen hat sich der Betreffende zur Vorbereitung des Anschlags aus dem Internet heruntergeladen.
Ausgenommen von der Strafbarkeit sind solche Handlungen, die zwar den objektiven Tatbestand der Strafnorm erfüllen, die aber ausschließlich der Erfüllung rechtmäßiger beruflicher oder dienstlicher Pflichten oder der Forschung, Wissenschaft oder Lehre dienen.
Straflos sind etwa Recherchen der Polizei im Internet, bei der einschlägige Webseiten identifiziert und zu diesem Zweck auch aufgerufen werden müssen. Weiterhin bereits nicht vom Tatbestand erfasst sind beispielsweise auch Anleitungen in Chemiebaukästen oder Lehrbüchern.
III. Begleitregelungen
a. Verfahrensrecht
Ergänzt werden die beiden neuen Tatbestände im Strafgesetzbuch durch Begleitregelungen. So sollen die Strafverfolgungsbehörden die notwendigen Instrumentarien auch in diesem Bereich der Terrorismusbekämpfung erhalten. Deshalb gelten künftig jene strafprozessualen Vorschriften (z. B. die Durchsuchung, Beschlagnahme, Wohnraumüberwachung, Telefonüberwachung), die nach geltendem Recht bereits im Zusammenhang mit terroristisch motivierten Taten Anwendung finden, auch bei Ermittlungen wegen § 89a StGB.
Zudem wird durch die Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes für den Generalbundesanwalt die Möglichkeit eröffnet, bei einer besonderen Bedeutung des Falles bei Straftaten nach § 89a StGB die Strafverfolgung zu übernehmen.
b. AufenthaltsrechtSchließlich soll ein Ausländer, bei dem Tatsachen vorliegen, die die Annahme rechtfertigen, dass er die oben beschriebenen Tatbestände erfüllt, ausgewiesen oder an der Wiedereinreise nach Deutschland gehindert werden können. Die dafür notwendige aufenthaltsrechtliche Regelung wird das Bundesministerium des Innern im Rahmen der Ressortabstimmung des Gesetzentwurfs ergänzen.
IV. Weiteres Verfahren
Nach Abstimmung innerhalb der Bundesregierung wird der Referentenentwurf an Länder und Verbände zur Stellungnahme übersandt, mit dem Ziel, schnellstmöglich einen Regierungsentwurf durch das Bundeskabinett beschließen zu lassen.
12 September 2007
BGH zu Schönheitsreparaturen
Nr. 125/2007
Neue Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur Vornahme von Schönheitsreparaturen:
Unwirksamkeit von isolierten Endrenovierungsklauseln
Der unter anderem für das Wohnraummietrecht zuständige VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat heute entschieden, dass eine formularvertragliche Endrenovierungspflicht des Mieters auch ohne Verpflichtung zur Vornahme laufender Schönheitsreparaturen (isolierte Endrenovierungsklausel) in Wohnraummietverträgen unwirksam ist, weil sie den Mieter unangemessen benachteiligt (§ 307 Abs. 1 Satz 1 BGB).
Die Kläger sind Mieter, der Beklagte ist Vermieter einer Wohnung in Bremen. Der Mietvertrag vom 2. Mai 2005 enthält zu Schönheitsreparaturen nur folgende Regelung:
"Bei Auszug ist die Wohnung fachgerecht renoviert gem. Anlage zurückzugeben."
In der Anlage zum Mietvertrag heißt es unter Nr. 10:
"Zustand der Mieträume: Die Wohnung wird in einem einwandfrei renovierten Zustand übergeben. Bei Auszug ist die Wohnung fachgerecht renoviert zurückzugeben. Die Wände sind mit Rauhfaser tapeziert und weiß gestrichen. Die Türzargen, Fensterrahmen und Heizkörper sind weiß lackiert. Teppichboden ist fachmännisch zu reinigen."
Die Kläger haben unter anderem die Feststellung begehrt, dass Nr. 10 der Anlage zum Mietvertrag unwirksam sei mit der Folge, dass sie zur Vornahme von Schönheitsreparaturen nicht verpflichtet seien. Das Amtsgericht hat die Klage als unzulässig abgewiesen. Das Landgericht hat die Berufung der Kläger zurückgewiesen.
Die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Kläger hatte Erfolg. Der Bundesgerichtshof hat festgestellt, dass Nr. 10 der Anlage zum Mietvertrag unwirksam ist mit der Folge, dass die Kläger zur Vornahme von Schönheitsreparaturen in dieser Wohnung nicht verpflichtet sind.
Anders als das Berufungsgericht gemeint hat, folgt weder aus dem Mietvertrag noch aus Nr. 10 der Anlage dazu, dass der Vertrag dem Mieter Schönheitsreparaturen nur insoweit auferlegt, als nach dem Abnutzungszustand hierfür ein Bedürfnis besteht. Aus der maßgeblichen Sicht eines durchschnittlichen Mieters liegt ein Verständnis dahin näher, dass die Wohnung bei Auszug in jedem Fall frisch renoviert sein muss oder jedenfalls seit der letzten Renovierung keine Abnutzungsspuren aufweisen darf.
Als uneingeschränkte Endrenovierungsverpflichtung ist die Formularbestimmung unwirksam, weil sie den Mieter unangemessen benachteiligt (§ 307 Abs. 1 Satz 1 BGB). Der Bundesgerichtshof hat bereits wiederholt entschieden, dass eine Regelung in einem vom Vermieter verwandten Formularmietvertrag über Wohnraum unwirksam ist, wenn sie den Mieter verpflichtet, die Mieträume bei Beendigung des Mietverhältnisses unabhängig vom Zeitpunkt der Vornahme der letzten Schönheitsreparaturen renoviert zu übergeben. Danach benachteiligt eine Endrenovierungspflicht des Mieters, die unabhängig ist vom Zeitpunkt der letzten Renovierung sowie vom Zustand der Wohnung bei seinem Auszug, den Mieter auch dann unangemessen, wenn ihn während der Dauer des Mietverhältnisses keine Verpflichtung zur Vornahme von Schönheitsreparaturen trifft. Denn sie verpflichtet den Mieter, die Wohnung bei Beendigung des Mietverhältnisses auch dann zu renovieren, wenn er dort nur kurze Zeit gewohnt hat oder erst kurz zuvor (freiwillig) Schönheitsreparaturen vorgenommen hat, so dass bei einer Fortdauer des Mietverhältnisses für eine (erneute) Renovierung kein Bedarf bestünde.
Urteil vom 12. September 2007 - VIII ZR 316/06
AG Bremen - Urteil vom 21. Februar 2006 - 25 C 371/05 ./.
LG Bremen - Urteil vom 3. November 2006 - 4 S 112/06
Pressestelle des Bundesgerichtshofs 76125 KarlsruheTelefon (0721) 159-5013Telefax (0721) 159-5501
Neue Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur Vornahme von Schönheitsreparaturen:
Unwirksamkeit von isolierten Endrenovierungsklauseln
Der unter anderem für das Wohnraummietrecht zuständige VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat heute entschieden, dass eine formularvertragliche Endrenovierungspflicht des Mieters auch ohne Verpflichtung zur Vornahme laufender Schönheitsreparaturen (isolierte Endrenovierungsklausel) in Wohnraummietverträgen unwirksam ist, weil sie den Mieter unangemessen benachteiligt (§ 307 Abs. 1 Satz 1 BGB).
Die Kläger sind Mieter, der Beklagte ist Vermieter einer Wohnung in Bremen. Der Mietvertrag vom 2. Mai 2005 enthält zu Schönheitsreparaturen nur folgende Regelung:
"Bei Auszug ist die Wohnung fachgerecht renoviert gem. Anlage zurückzugeben."
In der Anlage zum Mietvertrag heißt es unter Nr. 10:
"Zustand der Mieträume: Die Wohnung wird in einem einwandfrei renovierten Zustand übergeben. Bei Auszug ist die Wohnung fachgerecht renoviert zurückzugeben. Die Wände sind mit Rauhfaser tapeziert und weiß gestrichen. Die Türzargen, Fensterrahmen und Heizkörper sind weiß lackiert. Teppichboden ist fachmännisch zu reinigen."
Die Kläger haben unter anderem die Feststellung begehrt, dass Nr. 10 der Anlage zum Mietvertrag unwirksam sei mit der Folge, dass sie zur Vornahme von Schönheitsreparaturen nicht verpflichtet seien. Das Amtsgericht hat die Klage als unzulässig abgewiesen. Das Landgericht hat die Berufung der Kläger zurückgewiesen.
Die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Kläger hatte Erfolg. Der Bundesgerichtshof hat festgestellt, dass Nr. 10 der Anlage zum Mietvertrag unwirksam ist mit der Folge, dass die Kläger zur Vornahme von Schönheitsreparaturen in dieser Wohnung nicht verpflichtet sind.
Anders als das Berufungsgericht gemeint hat, folgt weder aus dem Mietvertrag noch aus Nr. 10 der Anlage dazu, dass der Vertrag dem Mieter Schönheitsreparaturen nur insoweit auferlegt, als nach dem Abnutzungszustand hierfür ein Bedürfnis besteht. Aus der maßgeblichen Sicht eines durchschnittlichen Mieters liegt ein Verständnis dahin näher, dass die Wohnung bei Auszug in jedem Fall frisch renoviert sein muss oder jedenfalls seit der letzten Renovierung keine Abnutzungsspuren aufweisen darf.
Als uneingeschränkte Endrenovierungsverpflichtung ist die Formularbestimmung unwirksam, weil sie den Mieter unangemessen benachteiligt (§ 307 Abs. 1 Satz 1 BGB). Der Bundesgerichtshof hat bereits wiederholt entschieden, dass eine Regelung in einem vom Vermieter verwandten Formularmietvertrag über Wohnraum unwirksam ist, wenn sie den Mieter verpflichtet, die Mieträume bei Beendigung des Mietverhältnisses unabhängig vom Zeitpunkt der Vornahme der letzten Schönheitsreparaturen renoviert zu übergeben. Danach benachteiligt eine Endrenovierungspflicht des Mieters, die unabhängig ist vom Zeitpunkt der letzten Renovierung sowie vom Zustand der Wohnung bei seinem Auszug, den Mieter auch dann unangemessen, wenn ihn während der Dauer des Mietverhältnisses keine Verpflichtung zur Vornahme von Schönheitsreparaturen trifft. Denn sie verpflichtet den Mieter, die Wohnung bei Beendigung des Mietverhältnisses auch dann zu renovieren, wenn er dort nur kurze Zeit gewohnt hat oder erst kurz zuvor (freiwillig) Schönheitsreparaturen vorgenommen hat, so dass bei einer Fortdauer des Mietverhältnisses für eine (erneute) Renovierung kein Bedarf bestünde.
Urteil vom 12. September 2007 - VIII ZR 316/06
AG Bremen - Urteil vom 21. Februar 2006 - 25 C 371/05 ./.
LG Bremen - Urteil vom 3. November 2006 - 4 S 112/06
Pressestelle des Bundesgerichtshofs 76125 KarlsruheTelefon (0721) 159-5013Telefax (0721) 159-5501
27 Juli 2007
BVerfG zur Pressefreiheit (CICERO)
Durchsuchung und Beschlagnahme bei CICERO verletzen Pressefreiheit
Die Anordnung der Durchsuchung der Redaktionsräume von CICERO und die
Beschlagnahme der dort aufgefundenen Beweismittel stellen einen
verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigten Eingriff in die
Pressefreiheit des Beschwerdeführers dar. Die Gerichte haben dem
verfassungsrechtlich gebotenen Informantenschutz nicht hinreichend
Rechnung getragen. Die bloße Veröffentlichung eines Dienstgeheimnisses
in der Presse durch einen Journalisten reicht nicht aus, um einen zu
einer Durchsuchung und Beschlagnahme ermächtigenden Verdacht der
Beihilfe des Journalisten zum Geheimnisverrat zu begründen. Erforderlich
sind vielmehr spezifische tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen
einer von einem Geheimnisträger bezweckten Veröffentlichung des
Geheimnisses und damit einer beihilfefähigen Haupttat. Solche
Anhaltspunkte lagen im Fall der Durchsuchung der Redaktionsräume des
Politmagazins CICERO nicht vor. Dies entschied der Erste Senat des
Bundesverfassungsgerichts mit Urteil vom 27. Februar 2007. Damit war die
Verfassungsbeschwerde des Chefredakteurs von CICERO erfolgreich. Die
Entscheidung ist mit 7 : 1 Stimmen ergangen.
(Zum Sachverhalt vgl. Pressemitteilung Nr. 69/2006 vom 31. Juli 2006)
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:
I. Die Anordnung der Durchsuchung der Redaktion und die Beschlagnahme
der dort gefundenen Beweismittel verletzen den Beschwerdeführer in
seinem Grundrecht auf Pressefreiheit.
1. Die Durchsuchung der Presseräume stellt wegen der damit
verbundenen Störung der redaktionellen Arbeit eine
Beeinträchtigung der Pressefreiheit dar. Durch die Anordnung der
Beschlagnahme von Datenträgern zum Zwecke der Auswertung ist den
Ermittlungsbehörden darüber hinaus die Möglichkeit des Zugangs zu
redaktionellem Datenmaterial eröffnet worden. Dies greift in
besonderem Maße in die vom Grundrecht der Pressefreiheit umfasste
Vertraulichkeit der Redaktionsarbeit ein, aber auch in ein
etwaiges Vertrauensverhältnis zu Informanten.
2. Der Eingriff ist verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt. Die
Gerichte haben bei der Auslegung und Anwendung der zur
Durchsuchung und Beschlagnahme ermächtigenden Normen dem
verfassungsrechtlich gebotenen Informantenschutz nicht
hinreichend Rechnung getragen. Der den gerichtlichen Anordnungen
zugrunde liegende Tatverdacht gegen den Beschwerdeführer reichte
für eine Durchsuchung der Redaktionsräume und die Beschlagnahme
von Beweismitteln nicht aus.
a) § 353 b StGB stellt die unbefugte Offenbarung eines
Dienstgeheimnisses unter Strafe. Allein die Veröffentlichung
des Geheimnisses in der Presse deutet allerdings nicht
zwingend auf das Vorliegen einer derartigen Haupttat durch den
Geheimnisträger hin. Der Tatbestand des § 353 b StGB ist
beispielsweise nicht verwirklicht und eine Beihilfe daher
nicht möglich, wenn Schriftstücke oder Dateien mit
Dienstgeheimnissen versehentlich oder über eine nicht zur
Geheimhaltung verpflichtete Mittelsperson nach außen gelangen.
Will der Geheimnisträger dem Journalisten nur
Hintergrundinformationen liefern und erfolgt die
Veröffentlichung abredewidrig, ist die Tat mit der Offenbarung
des Geheimnisses bereits beendet; dann kann eine Beihilfe
durch die nachfolgende Veröffentlichung gar nicht mehr
geleistet werden. In solchen Fällen kann eine Durchsuchung und
Beschlagnahme nicht mit dem Ziel der Aufklärung einer
Beihilfehandlung des Journalisten angeordnet werden.
b) Durchsuchungen und Beschlagnahmen in einem
Ermittlungsverfahren gegen Presseangehörige sind
verfassungsrechtlich unzulässig, wenn sie ausschließlich oder
vorwiegend dem Zweck dienen, die Person des Informanten zu
ermitteln. Auch wenn die betreffenden Angehörigen von Presse
oder Rundfunk selbst Beschuldigte sind, dürfen in gegen sie
gerichteten Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts einer
Beihilfe zum Dienstgeheimnisverrat Durchsuchungen sowie
Beschlagnahmen zwar zur Aufklärung der ihnen zur Last gelegten
Straftat angeordnet werden, nicht aber zu dem Zweck,
Verdachtsgründe insbesondere gegen den Informanten zu finden.
Das Risiko einer Verletzung des verfassungsrechtlich gebotenen
Informantenschutzes ist besonders groß, wenn der Verdacht
einer Beihilfe allein darauf gestützt wird, dass das
Dienstgeheimnis in der Presse veröffentlicht worden ist und
das maßgebende Schriftstück allem Anschein nach unbefugt in
die Hände des Journalisten gelangt war. In einer solchen
Situation kann die Staatsanwaltschaft den betroffenen
Journalisten durch Einleitung eines gegen ihn gerichteten
Ermittlungsverfahrens zwar – verfassungsrechtlich zulässig –
zum Beschuldigten machen. Würde jedweder Verdacht aber auch
für die Anordnung von Durchsuchung und Beschlagnahme bei
Angehörigen von Presse und Rundfunk ausreichen, hätte die
Staatsanwaltschaft es in ihrer Hand, durch die Entscheidung
zur Einleitung des Ermittlungsverfahrens den besonderen
grundrechtlichen Schutz der Medienangehörigen zum Wegfall zu
bringen. Deshalb müssen die strafprozessualen Normen über die
Durchsuchung und Beschlagnahme dahingehend ausgelegt werden,
dass die bloße Veröffentlichung des Dienstgeheimnisses durch
einen Journalisten nicht ausreicht, um einen diesen
Vorschriften genügenden Verdacht der Beihilfe des Journalisten
zum Geheimnisverrat zu begründen. Zu fordern sind vielmehr
spezifische tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer
vom Geheimnisträger bezweckten Veröffentlichung des
Geheimnisses und damit einer beihilfefähigen Haupttat.
c) Nach diesen Maßstäben widersprach die vorliegend angeordnete
Durchsuchung und Beschlagnahme dem von der Pressefreiheit
gewährleisteten Schutz der Redaktionsarbeit unter Einschluss
des Informantenschutzes. Die Anordnung erfolgte in einer
Situation, in der es keine Anhaltspunkte außer der
Veröffentlichung des Berichts in der Zeitschrift dafür gegeben
hatte, dass ein Geheimnisverrat durch den Geheimnisträger
vorliegen könnte. Alle Ermittlungen in diese Richtung waren
zuvor erfolglos geblieben. Damit sollte die Durchsuchung
letztlich vorwiegend die Ermittlung des mutmaßlichen
Informanten aus dem Bundeskriminalamt ermöglichen.
II. Darüber hinaus verletzt der Beschluss des Landgerichts, in welchem
das Gericht die Erledigung der gegen die Beschlagnahmebestätigung
gerichteten Beschwerde festgestellt hat, den Beschwerdeführer in
seinem Recht auf Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes.
Angesichts der schwer wiegenden Beeinträchtigungen der
Pressefreiheit musste es dem Beschwerdeführer ermöglicht werden, die
Bestätigung der Beschlagnahme redaktionellen Materials einer
gerichtlichen Kontrolle zu unterziehen.
Bundesverfassungsgericht - Pressestelle -
Pressemitteilung Nr. 21/2007 vom 27. Februar 2007
Zum Urteil vom 27. Februar 2007 – 1 BvR 538/06; 1 BvR 2045/06 –
Die Anordnung der Durchsuchung der Redaktionsräume von CICERO und die
Beschlagnahme der dort aufgefundenen Beweismittel stellen einen
verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigten Eingriff in die
Pressefreiheit des Beschwerdeführers dar. Die Gerichte haben dem
verfassungsrechtlich gebotenen Informantenschutz nicht hinreichend
Rechnung getragen. Die bloße Veröffentlichung eines Dienstgeheimnisses
in der Presse durch einen Journalisten reicht nicht aus, um einen zu
einer Durchsuchung und Beschlagnahme ermächtigenden Verdacht der
Beihilfe des Journalisten zum Geheimnisverrat zu begründen. Erforderlich
sind vielmehr spezifische tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen
einer von einem Geheimnisträger bezweckten Veröffentlichung des
Geheimnisses und damit einer beihilfefähigen Haupttat. Solche
Anhaltspunkte lagen im Fall der Durchsuchung der Redaktionsräume des
Politmagazins CICERO nicht vor. Dies entschied der Erste Senat des
Bundesverfassungsgerichts mit Urteil vom 27. Februar 2007. Damit war die
Verfassungsbeschwerde des Chefredakteurs von CICERO erfolgreich. Die
Entscheidung ist mit 7 : 1 Stimmen ergangen.
(Zum Sachverhalt vgl. Pressemitteilung Nr. 69/2006 vom 31. Juli 2006)
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:
I. Die Anordnung der Durchsuchung der Redaktion und die Beschlagnahme
der dort gefundenen Beweismittel verletzen den Beschwerdeführer in
seinem Grundrecht auf Pressefreiheit.
1. Die Durchsuchung der Presseräume stellt wegen der damit
verbundenen Störung der redaktionellen Arbeit eine
Beeinträchtigung der Pressefreiheit dar. Durch die Anordnung der
Beschlagnahme von Datenträgern zum Zwecke der Auswertung ist den
Ermittlungsbehörden darüber hinaus die Möglichkeit des Zugangs zu
redaktionellem Datenmaterial eröffnet worden. Dies greift in
besonderem Maße in die vom Grundrecht der Pressefreiheit umfasste
Vertraulichkeit der Redaktionsarbeit ein, aber auch in ein
etwaiges Vertrauensverhältnis zu Informanten.
2. Der Eingriff ist verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt. Die
Gerichte haben bei der Auslegung und Anwendung der zur
Durchsuchung und Beschlagnahme ermächtigenden Normen dem
verfassungsrechtlich gebotenen Informantenschutz nicht
hinreichend Rechnung getragen. Der den gerichtlichen Anordnungen
zugrunde liegende Tatverdacht gegen den Beschwerdeführer reichte
für eine Durchsuchung der Redaktionsräume und die Beschlagnahme
von Beweismitteln nicht aus.
a) § 353 b StGB stellt die unbefugte Offenbarung eines
Dienstgeheimnisses unter Strafe. Allein die Veröffentlichung
des Geheimnisses in der Presse deutet allerdings nicht
zwingend auf das Vorliegen einer derartigen Haupttat durch den
Geheimnisträger hin. Der Tatbestand des § 353 b StGB ist
beispielsweise nicht verwirklicht und eine Beihilfe daher
nicht möglich, wenn Schriftstücke oder Dateien mit
Dienstgeheimnissen versehentlich oder über eine nicht zur
Geheimhaltung verpflichtete Mittelsperson nach außen gelangen.
Will der Geheimnisträger dem Journalisten nur
Hintergrundinformationen liefern und erfolgt die
Veröffentlichung abredewidrig, ist die Tat mit der Offenbarung
des Geheimnisses bereits beendet; dann kann eine Beihilfe
durch die nachfolgende Veröffentlichung gar nicht mehr
geleistet werden. In solchen Fällen kann eine Durchsuchung und
Beschlagnahme nicht mit dem Ziel der Aufklärung einer
Beihilfehandlung des Journalisten angeordnet werden.
b) Durchsuchungen und Beschlagnahmen in einem
Ermittlungsverfahren gegen Presseangehörige sind
verfassungsrechtlich unzulässig, wenn sie ausschließlich oder
vorwiegend dem Zweck dienen, die Person des Informanten zu
ermitteln. Auch wenn die betreffenden Angehörigen von Presse
oder Rundfunk selbst Beschuldigte sind, dürfen in gegen sie
gerichteten Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts einer
Beihilfe zum Dienstgeheimnisverrat Durchsuchungen sowie
Beschlagnahmen zwar zur Aufklärung der ihnen zur Last gelegten
Straftat angeordnet werden, nicht aber zu dem Zweck,
Verdachtsgründe insbesondere gegen den Informanten zu finden.
Das Risiko einer Verletzung des verfassungsrechtlich gebotenen
Informantenschutzes ist besonders groß, wenn der Verdacht
einer Beihilfe allein darauf gestützt wird, dass das
Dienstgeheimnis in der Presse veröffentlicht worden ist und
das maßgebende Schriftstück allem Anschein nach unbefugt in
die Hände des Journalisten gelangt war. In einer solchen
Situation kann die Staatsanwaltschaft den betroffenen
Journalisten durch Einleitung eines gegen ihn gerichteten
Ermittlungsverfahrens zwar – verfassungsrechtlich zulässig –
zum Beschuldigten machen. Würde jedweder Verdacht aber auch
für die Anordnung von Durchsuchung und Beschlagnahme bei
Angehörigen von Presse und Rundfunk ausreichen, hätte die
Staatsanwaltschaft es in ihrer Hand, durch die Entscheidung
zur Einleitung des Ermittlungsverfahrens den besonderen
grundrechtlichen Schutz der Medienangehörigen zum Wegfall zu
bringen. Deshalb müssen die strafprozessualen Normen über die
Durchsuchung und Beschlagnahme dahingehend ausgelegt werden,
dass die bloße Veröffentlichung des Dienstgeheimnisses durch
einen Journalisten nicht ausreicht, um einen diesen
Vorschriften genügenden Verdacht der Beihilfe des Journalisten
zum Geheimnisverrat zu begründen. Zu fordern sind vielmehr
spezifische tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer
vom Geheimnisträger bezweckten Veröffentlichung des
Geheimnisses und damit einer beihilfefähigen Haupttat.
c) Nach diesen Maßstäben widersprach die vorliegend angeordnete
Durchsuchung und Beschlagnahme dem von der Pressefreiheit
gewährleisteten Schutz der Redaktionsarbeit unter Einschluss
des Informantenschutzes. Die Anordnung erfolgte in einer
Situation, in der es keine Anhaltspunkte außer der
Veröffentlichung des Berichts in der Zeitschrift dafür gegeben
hatte, dass ein Geheimnisverrat durch den Geheimnisträger
vorliegen könnte. Alle Ermittlungen in diese Richtung waren
zuvor erfolglos geblieben. Damit sollte die Durchsuchung
letztlich vorwiegend die Ermittlung des mutmaßlichen
Informanten aus dem Bundeskriminalamt ermöglichen.
II. Darüber hinaus verletzt der Beschluss des Landgerichts, in welchem
das Gericht die Erledigung der gegen die Beschlagnahmebestätigung
gerichteten Beschwerde festgestellt hat, den Beschwerdeführer in
seinem Recht auf Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes.
Angesichts der schwer wiegenden Beeinträchtigungen der
Pressefreiheit musste es dem Beschwerdeführer ermöglicht werden, die
Bestätigung der Beschlagnahme redaktionellen Materials einer
gerichtlichen Kontrolle zu unterziehen.
Bundesverfassungsgericht - Pressestelle -
Pressemitteilung Nr. 21/2007 vom 27. Februar 2007
Zum Urteil vom 27. Februar 2007 – 1 BvR 538/06; 1 BvR 2045/06 –
23 Mai 2007
BGH: Mietflächen-Abweichung 10%
Urteil des Bundesgerichtshofs zur Mieterhöhung, wenn die vermietete Wohnung tatsächlich größer ist als vertraglich vereinbart
Gemäß § 558 BGB kann der Vermieter vom Mieter unter bestimmten Voraussetzungen Zustimmung zu einer Erhöhung der Miete bis zu örtlichen Vergleichsmiete verlangen. Maßgebend hierfür ist insbesondere die Größe der Wohnung (§ 558 Abs. 2 Satz 1 BGB). Der unter anderem für das Wohnraummietrecht zuständige VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hatte über die Frage zu entscheiden, ob es für die Berechnung einer zulässigen Mieterhöhung auf die tatsächliche oder auf die im Vertrag angegebene Wohnfläche ankommt, wenn die tatsächliche Wohnungsgröße die im Vertrag angegebene überschreitet.
Im vorliegenden Fall war die Wohnfläche im Mietvertrag mit 121,49 m² angegeben. Tatsächlich beträgt sie 131,80 m². Durch Schreiben vom 31. Mai 2005 verlangte der Vermieter – auf der Grundlage der tatsächlichen Wohnungsgröße – die Zustimmung der Mieterin zu einer Erhöhung der Bruttokaltmiete von 494,24 € auf 521,80 €. Die Mieterin lehnte dies ab; nach ihrer Ansicht soll es auf die im Mietvertrag angegebene Wohnungsgröße ankommen.
Das Amtsgericht hat der auf Zustimmung zur Mieterhöhung gerichteten Klage des Vermieters stattgegeben. Die Berufung der beklagten Mieterin ist ohne Erfolg geblieben.
Auf die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Beklagten hat der Bundesgerichtshof die Klage abgewiesen. Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass es grundsätzlich auf die vertraglich vereinbarte Wohnfläche ankommt. Die Angabe der Wohnfläche von 121,49 m² im Mietvertrag der Parteien war - anders als das Berufungsgericht gemeint hat - keine unverbindliche Objektbeschreibung, sondern eine rechtsverbindliche Vereinbarung über die Beschaffenheit der Wohnung. Die davon abweichende tatsächliche Wohnungsgröße ist jedenfalls dann nicht maßgebend, wenn die Wohnflächenabweichung nicht mehr als 10% beträgt. Dies hat der Bundesgerichtshof bereits für den umgekehrten Fall eines Mieterhöhungsverlangens, bei dem die tatsächliche Wohnfläche geringer war als angegeben, entschieden (Urteil vom 7. Juli 2004 - VIII ZR 192/03, NJW 2004, 3115), und Gleiches gilt auch hier. Erst bei einer Flächenabweichung von mehr als 10 % kann es dem Vermieter unter bestimmten Voraussetzungen nicht mehr zugemutet werden, an der vertraglichen Vereinbarung über die Wohnungsgröße festgehalten zu werden. Diese Grenze war im vorliegenden Fall jedoch nicht überschritten, so dass die zulässige Mieterhöhung nach der im Vertrag angegebenen Wohnfläche zu berechnen war.
Urteil vom 23. Mai 2007 - VIII ZR 138/06
AG Berlin-Tempelhof-Kreuzberg - Urteil vom 18. November 2005 – 9 C 335/05
LG Berlin – Urteil vom 20. April 2006 - 62 S 11/06
Karlsruhe, den 20. Juni 2007
Gemäß § 558 BGB kann der Vermieter vom Mieter unter bestimmten Voraussetzungen Zustimmung zu einer Erhöhung der Miete bis zu örtlichen Vergleichsmiete verlangen. Maßgebend hierfür ist insbesondere die Größe der Wohnung (§ 558 Abs. 2 Satz 1 BGB). Der unter anderem für das Wohnraummietrecht zuständige VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hatte über die Frage zu entscheiden, ob es für die Berechnung einer zulässigen Mieterhöhung auf die tatsächliche oder auf die im Vertrag angegebene Wohnfläche ankommt, wenn die tatsächliche Wohnungsgröße die im Vertrag angegebene überschreitet.
Im vorliegenden Fall war die Wohnfläche im Mietvertrag mit 121,49 m² angegeben. Tatsächlich beträgt sie 131,80 m². Durch Schreiben vom 31. Mai 2005 verlangte der Vermieter – auf der Grundlage der tatsächlichen Wohnungsgröße – die Zustimmung der Mieterin zu einer Erhöhung der Bruttokaltmiete von 494,24 € auf 521,80 €. Die Mieterin lehnte dies ab; nach ihrer Ansicht soll es auf die im Mietvertrag angegebene Wohnungsgröße ankommen.
Das Amtsgericht hat der auf Zustimmung zur Mieterhöhung gerichteten Klage des Vermieters stattgegeben. Die Berufung der beklagten Mieterin ist ohne Erfolg geblieben.
Auf die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Beklagten hat der Bundesgerichtshof die Klage abgewiesen. Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass es grundsätzlich auf die vertraglich vereinbarte Wohnfläche ankommt. Die Angabe der Wohnfläche von 121,49 m² im Mietvertrag der Parteien war - anders als das Berufungsgericht gemeint hat - keine unverbindliche Objektbeschreibung, sondern eine rechtsverbindliche Vereinbarung über die Beschaffenheit der Wohnung. Die davon abweichende tatsächliche Wohnungsgröße ist jedenfalls dann nicht maßgebend, wenn die Wohnflächenabweichung nicht mehr als 10% beträgt. Dies hat der Bundesgerichtshof bereits für den umgekehrten Fall eines Mieterhöhungsverlangens, bei dem die tatsächliche Wohnfläche geringer war als angegeben, entschieden (Urteil vom 7. Juli 2004 - VIII ZR 192/03, NJW 2004, 3115), und Gleiches gilt auch hier. Erst bei einer Flächenabweichung von mehr als 10 % kann es dem Vermieter unter bestimmten Voraussetzungen nicht mehr zugemutet werden, an der vertraglichen Vereinbarung über die Wohnungsgröße festgehalten zu werden. Diese Grenze war im vorliegenden Fall jedoch nicht überschritten, so dass die zulässige Mieterhöhung nach der im Vertrag angegebenen Wohnfläche zu berechnen war.
Urteil vom 23. Mai 2007 - VIII ZR 138/06
AG Berlin-Tempelhof-Kreuzberg - Urteil vom 18. November 2005 – 9 C 335/05
LG Berlin – Urteil vom 20. April 2006 - 62 S 11/06
Karlsruhe, den 20. Juni 2007
20 März 2007
BVerfG zur Videoüberwachung öffentl. Plätze
Städtische Videoüberwachung eines Kunstwerks in Regensburg entbehrt gesetzlicher Grundlage
Die Stadt Regensburg ließ 2005 über den Resten der ehemaligen
mittelalterlichen Synagoge auf dem Neupfarrplatz ein Bodenrelief
herstellen, das den Grundriss der ehemaligen Synagoge andeutet. Das
Kunstwerk ist als Begegnungsstätte für die Bevölkerung konzipiert. In
der Vergangenheit kam es im Bereich des Kunstwerks zu mehreren
Vorfällen, aufgrund derer die Stadt Regensburg eine Videoüberwachung des
Ortes mit vier Überwachungskameras für erforderlich hielt. Die Stadt
beabsichtigt, die Überwachung in eigener Zuständigkeit auf der Grundlage
des Bayerischen Datenschutzgesetzes durchzuführen. Gegen die geplante
Videoüberwachung der Begegnungsstätte erhob der Beschwerdeführer Klage.
Das Verwaltungsgericht wies die Klage ab. Hiergegen gerichtete
Rechtsmittel blieben vor dem BayerischenVerwaltungsgerichtshof ohne
Erfolg.
Die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat die
angegriffenen Entscheidungen aufgehoben, da es für die geplante
Videoüberwachung mit Aufzeichnung des gewonnenen Bildmaterials an einer
hinreichenden gesetzlichen Ermächtigung fehle.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:
Die geplante Videoüberwachung des Bodenkunstwerks mit Aufzeichnung des
gewonnenen Bildmaterials stellt einen Eingriff von erheblichem Gewicht
in das allgemeine Persönlichkeitsrecht in seiner Ausprägung als Recht
der informationellen Selbstbestimmung dar. Das durch die
Videoüberwachung gewonnene Bildmaterial kann und soll dazu genutzt
werden, belastende hoheitliche Maßnahmen gegen Personen vorzubereiten,
die in dem von der Überwachung erfassten Bereich bestimmte unerwünschte
Verhaltensweisen zeigen. Die offene Videoüberwachung eines öffentlichen
Ortes kann und soll zugleich abschreckend wirken und insofern das
Verhalten der Betroffenen lenken. Das Gewicht dieser Maßnahme wird
dadurch erhöht, dass infolge der Aufzeichnung das gewonnene Bildmaterial
in vielfältiger Weise ausgewertet, bearbeitet und mit anderen
Informationen verknüpft werden kann. Von den Personen, die die
Begegnungsstätte betreten, dürfte nur eine Minderheit gegen die
Benutzungssatzung oder andere rechtliche Vorgaben, die sich aus der
allgemeinen Rechtsordnung für die Benutzung der Begegnungsstätte
ergeben, verstoßen. Die Videoüberwachung und die Aufzeichnung des
gewonnenen Bildmaterials erfassen daher überwiegend Personen, die selbst
keinen Anlass schaffen, dessentwegen die Überwachung vorgenommen wird.
Angesichts des erheblichen Gewichts der Grundrechtsbeeinträchtigung kann
die geplante Videoüberwachung nicht auf Art. 16 Abs. 1 und Art. 17 Abs.
1 Bayerisches Datenschutzgesetz gestützt werden. Diese Normen enthalten
keine hinreichenden Vorgaben für Anlass und Grenzen der erfassten
datenbezogenen Maßnahmen, um als Ermächtigungsgrundlage für den
beabsichtigten Grundrechtseingriff in Betracht zu kommen. Sie begrenzen
die Datenerhebung lediglich durch das Gebot der Erforderlichkeit. Dies
allein kann die behördliche Praxis aber nicht hinreichend anleiten oder
Kontrollmaßstäbe bereitstellen.
Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass eine Videoüberwachung
öffentlicher Einrichtungen mit Aufzeichnung des gewonnenen Bildmaterials
auf der Grundlage einer hinreichend bestimmten und normenklaren
Ermächtigungsgrundlage materiell verfassungsgemäß sein kann, wenn für
sie ein hinreichender Anlass besteht und Überwachung sowie Aufzeichnung
insbesondere in räumlicher und zeitlicher Hinsicht und im Hinblick auf
die Möglichkeit der Auswertung der Daten das Übermaßverbot wahren.
Pressemitteilung Nr. 31/2007 vom 20. März 2007
Zum Beschluss vom 23. Februar 2007 – 1 BvR 2368/06 –
Die Stadt Regensburg ließ 2005 über den Resten der ehemaligen
mittelalterlichen Synagoge auf dem Neupfarrplatz ein Bodenrelief
herstellen, das den Grundriss der ehemaligen Synagoge andeutet. Das
Kunstwerk ist als Begegnungsstätte für die Bevölkerung konzipiert. In
der Vergangenheit kam es im Bereich des Kunstwerks zu mehreren
Vorfällen, aufgrund derer die Stadt Regensburg eine Videoüberwachung des
Ortes mit vier Überwachungskameras für erforderlich hielt. Die Stadt
beabsichtigt, die Überwachung in eigener Zuständigkeit auf der Grundlage
des Bayerischen Datenschutzgesetzes durchzuführen. Gegen die geplante
Videoüberwachung der Begegnungsstätte erhob der Beschwerdeführer Klage.
Das Verwaltungsgericht wies die Klage ab. Hiergegen gerichtete
Rechtsmittel blieben vor dem BayerischenVerwaltungsgerichtshof ohne
Erfolg.
Die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat die
angegriffenen Entscheidungen aufgehoben, da es für die geplante
Videoüberwachung mit Aufzeichnung des gewonnenen Bildmaterials an einer
hinreichenden gesetzlichen Ermächtigung fehle.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:
Die geplante Videoüberwachung des Bodenkunstwerks mit Aufzeichnung des
gewonnenen Bildmaterials stellt einen Eingriff von erheblichem Gewicht
in das allgemeine Persönlichkeitsrecht in seiner Ausprägung als Recht
der informationellen Selbstbestimmung dar. Das durch die
Videoüberwachung gewonnene Bildmaterial kann und soll dazu genutzt
werden, belastende hoheitliche Maßnahmen gegen Personen vorzubereiten,
die in dem von der Überwachung erfassten Bereich bestimmte unerwünschte
Verhaltensweisen zeigen. Die offene Videoüberwachung eines öffentlichen
Ortes kann und soll zugleich abschreckend wirken und insofern das
Verhalten der Betroffenen lenken. Das Gewicht dieser Maßnahme wird
dadurch erhöht, dass infolge der Aufzeichnung das gewonnene Bildmaterial
in vielfältiger Weise ausgewertet, bearbeitet und mit anderen
Informationen verknüpft werden kann. Von den Personen, die die
Begegnungsstätte betreten, dürfte nur eine Minderheit gegen die
Benutzungssatzung oder andere rechtliche Vorgaben, die sich aus der
allgemeinen Rechtsordnung für die Benutzung der Begegnungsstätte
ergeben, verstoßen. Die Videoüberwachung und die Aufzeichnung des
gewonnenen Bildmaterials erfassen daher überwiegend Personen, die selbst
keinen Anlass schaffen, dessentwegen die Überwachung vorgenommen wird.
Angesichts des erheblichen Gewichts der Grundrechtsbeeinträchtigung kann
die geplante Videoüberwachung nicht auf Art. 16 Abs. 1 und Art. 17 Abs.
1 Bayerisches Datenschutzgesetz gestützt werden. Diese Normen enthalten
keine hinreichenden Vorgaben für Anlass und Grenzen der erfassten
datenbezogenen Maßnahmen, um als Ermächtigungsgrundlage für den
beabsichtigten Grundrechtseingriff in Betracht zu kommen. Sie begrenzen
die Datenerhebung lediglich durch das Gebot der Erforderlichkeit. Dies
allein kann die behördliche Praxis aber nicht hinreichend anleiten oder
Kontrollmaßstäbe bereitstellen.
Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass eine Videoüberwachung
öffentlicher Einrichtungen mit Aufzeichnung des gewonnenen Bildmaterials
auf der Grundlage einer hinreichend bestimmten und normenklaren
Ermächtigungsgrundlage materiell verfassungsgemäß sein kann, wenn für
sie ein hinreichender Anlass besteht und Überwachung sowie Aufzeichnung
insbesondere in räumlicher und zeitlicher Hinsicht und im Hinblick auf
die Möglichkeit der Auswertung der Daten das Übermaßverbot wahren.
Pressemitteilung Nr. 31/2007 vom 20. März 2007
Zum Beschluss vom 23. Februar 2007 – 1 BvR 2368/06 –
16 März 2007
BVerfG zur TV-Gerichtsberichtserstattung
Eilantrag des ZDF gegen Film-Verbot weitgehend erfolgreich
Am 19. März 2007 beginnt vor dem Landgericht Münster die auf mehrere
Tage angesetzte Verhandlung gegen 18 Bundeswehrausbilder, die ihre
Untergebenen in einer Kaserne im westfälischen Coesfeld misshandelt
haben sollen. Im Vorfeld der Verhandlung ordnete das Gericht den
Ausschluss von Foto- und Fernsehteams aus dem Sitzungssaal für einen
Zeitraum von 15 Minuten vor Prozessbeginn und 10 Minuten nach
Prozessende an. Hiergegen richtet sich die Verfassungsbeschwerde des
ZDF, das eine Fernsehberichterstattung über das Strafverfahren
beabsichtigt. Zugleich hat das ZDF den Antrag gestellt, im Wege des
vorläufigen Rechtsschutzes seinem dreiköpfigen Fernsehteam die
Anfertigung von Filmaufnahmen bis zum Einzug des Gerichts in den
Sitzungssaal zu ermöglichen.
Der Eilantrag des ZDF war weitgehend erfolgreich. Die 1. Kammer des
Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat den Vorsitzenden der 8.
Strafkammer des Landgerichts Münster angewiesen, dem Fernsehteam des ZDF
zu ermöglichen, vor Beginn und am Ende der Verhandlungen Filmaufnahmen
der im Sitzungssaal anwesenden Verfahrensbeteiligten einschließlich der
Angeklagten zu fertigen, und hierbei die Anwesenheit der Richter und
Schöffen der Strafkammer im Sitzungssaal zu gewährleisten. Die
Fernsehbilder dürfen jedoch nur nach Anonymisierung der Gesichter der
Angeklagten weitergegeben und veröffentlicht werden.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde:
Bei der gebotenen Abwägung kommt den Belangen der Antragstellerin
Vorrang zu. Die besonderen Umstände der Straftat sowie die über diese
konkrete Straftat hinausreichende aktuelle öffentliche Diskussion über
das Verhalten von Militärangehörigen begründen ein gewichtiges
Informationsinteresse der Öffentlichkeit. Mit dem angeordneten
umfassenden Verbot der Anfertigung von Filmaufnahmen würde die
Antragstellerin unwiederbringlich gehindert, dem gegenwärtig besonders
lebhaften Interesse der Öffentlichkeit auch an einer
Bildberichterstattung über die beteiligten Personen Rechnung zu tragen.
Demgegenüber sind Beeinträchtigungen des allgemeinen
Persönlichkeitsrechts der Richter und Schöffen aus einer Anfertigung und
Verbreitung von Filmaufnahmen von diesen hinzunehmen, da sie kraft des
ihnen übertragenen Amtes anlässlich einer öffentlichen Verhandlung
ohnedies im Blickfeld der Öffentlichkeit unter Einschluss der
Medienöffentlichkeit stehen. Eine Beeinträchtigung von Belangen der
Wahrheitsfindung aus der Zulassung von Filmaufnahmen der Angeklagten und
ihrer Verteidiger steht gleichfalls nicht mit hinreichender
Wahrscheinlichkeit zu erwarten. Die Rechtsanwälte haben in ihrer
Funktion als Organ der Rechtspflege grundsätzlich Aufnahmen hinzunehmen,
soweit sie als Beteiligte in einem Verfahren mitwirken, an dessen
bildlicher Darstellung ein öffentliches Informationsinteresse besteht.
Bei den Angeklagten handelt es sich um Unteroffiziere der Bundeswehr und
damit um einen Personenkreis, bei dem die Fähigkeit vorausgesetzt werden
darf, sich der öffentlichen Aufmerksamkeit auch in ungewohnten
Situationen gewachsen zu zeigen. Werden Filmaufnahmen der Angeklagten
vor der Weitergabe und Veröffentlichung anonymisiert, wiegen die aus den
verbleibenden Möglichkeiten ihrer Identifizierung zu erwartenden
Nachteile gering.
Pressemitteilung Nr. 30/2007 vom 16. März 2007
Zum Beschluss vom 15. März 2007 – 1 BvR 620/07 –
Am 19. März 2007 beginnt vor dem Landgericht Münster die auf mehrere
Tage angesetzte Verhandlung gegen 18 Bundeswehrausbilder, die ihre
Untergebenen in einer Kaserne im westfälischen Coesfeld misshandelt
haben sollen. Im Vorfeld der Verhandlung ordnete das Gericht den
Ausschluss von Foto- und Fernsehteams aus dem Sitzungssaal für einen
Zeitraum von 15 Minuten vor Prozessbeginn und 10 Minuten nach
Prozessende an. Hiergegen richtet sich die Verfassungsbeschwerde des
ZDF, das eine Fernsehberichterstattung über das Strafverfahren
beabsichtigt. Zugleich hat das ZDF den Antrag gestellt, im Wege des
vorläufigen Rechtsschutzes seinem dreiköpfigen Fernsehteam die
Anfertigung von Filmaufnahmen bis zum Einzug des Gerichts in den
Sitzungssaal zu ermöglichen.
Der Eilantrag des ZDF war weitgehend erfolgreich. Die 1. Kammer des
Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat den Vorsitzenden der 8.
Strafkammer des Landgerichts Münster angewiesen, dem Fernsehteam des ZDF
zu ermöglichen, vor Beginn und am Ende der Verhandlungen Filmaufnahmen
der im Sitzungssaal anwesenden Verfahrensbeteiligten einschließlich der
Angeklagten zu fertigen, und hierbei die Anwesenheit der Richter und
Schöffen der Strafkammer im Sitzungssaal zu gewährleisten. Die
Fernsehbilder dürfen jedoch nur nach Anonymisierung der Gesichter der
Angeklagten weitergegeben und veröffentlicht werden.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde:
Bei der gebotenen Abwägung kommt den Belangen der Antragstellerin
Vorrang zu. Die besonderen Umstände der Straftat sowie die über diese
konkrete Straftat hinausreichende aktuelle öffentliche Diskussion über
das Verhalten von Militärangehörigen begründen ein gewichtiges
Informationsinteresse der Öffentlichkeit. Mit dem angeordneten
umfassenden Verbot der Anfertigung von Filmaufnahmen würde die
Antragstellerin unwiederbringlich gehindert, dem gegenwärtig besonders
lebhaften Interesse der Öffentlichkeit auch an einer
Bildberichterstattung über die beteiligten Personen Rechnung zu tragen.
Demgegenüber sind Beeinträchtigungen des allgemeinen
Persönlichkeitsrechts der Richter und Schöffen aus einer Anfertigung und
Verbreitung von Filmaufnahmen von diesen hinzunehmen, da sie kraft des
ihnen übertragenen Amtes anlässlich einer öffentlichen Verhandlung
ohnedies im Blickfeld der Öffentlichkeit unter Einschluss der
Medienöffentlichkeit stehen. Eine Beeinträchtigung von Belangen der
Wahrheitsfindung aus der Zulassung von Filmaufnahmen der Angeklagten und
ihrer Verteidiger steht gleichfalls nicht mit hinreichender
Wahrscheinlichkeit zu erwarten. Die Rechtsanwälte haben in ihrer
Funktion als Organ der Rechtspflege grundsätzlich Aufnahmen hinzunehmen,
soweit sie als Beteiligte in einem Verfahren mitwirken, an dessen
bildlicher Darstellung ein öffentliches Informationsinteresse besteht.
Bei den Angeklagten handelt es sich um Unteroffiziere der Bundeswehr und
damit um einen Personenkreis, bei dem die Fähigkeit vorausgesetzt werden
darf, sich der öffentlichen Aufmerksamkeit auch in ungewohnten
Situationen gewachsen zu zeigen. Werden Filmaufnahmen der Angeklagten
vor der Weitergabe und Veröffentlichung anonymisiert, wiegen die aus den
verbleibenden Möglichkeiten ihrer Identifizierung zu erwartenden
Nachteile gering.
Pressemitteilung Nr. 30/2007 vom 16. März 2007
Zum Beschluss vom 15. März 2007 – 1 BvR 620/07 –
12 März 2007
BVerfG zum Tornado-Einsatz in Afghanistan
Eilantrag gegen Tornado-Einsatz abgelehnt
Am 9. März 2007 stimmte der Deutsche Bundestag dem Antrag der
Bundesregierung zur Entsendung von Aufklärungsflugzeugen des Typs
Tornado nach Afghanistan zu. Hiergegen richtet sich die Organklage
zweier Bundestagsabgeordneter, verbunden mit dem Antrag auf Erlass einer
einstweiligen Anordnung. Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts
hat den Eilantrag mit Beschluss vom heutigen Tage abgelehnt. Für eine
einstweilige Anordnung ist kein Raum, da die in der Hauptsache
gestellten Anträge unzulässig sind. Soweit die Antragsteller mit ihrer
Klage Rechte des Bundestages geltend machen, sind sie hierzu nicht
befugt. Soweit sie die Verletzung eigener Rechte rügen, haben sie eine
Verletzung oder Gefährdung ihrer Statusrechte als Abgeordnete nicht
dargetan.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:
Soweit die Antragsteller geltend machen, die Bundesregierung habe Rechte
des Bundestages aus Art. 59 Abs. 2 und Art. 20 Abs. 2 GG verletzt, indem
sie es unterlassen habe, einem „das Zustimmungsgesetz zum NATO-Vertrag
überschreitenden stillen Bedeutungswandel von Art. 1 NATO-Vertrag
entgegenzuwirken“, und sich „aktiv an diesem Bedeutungswandel beteiligt“
habe, setzt die Zulässigkeit des Antrags voraus, dass die Antragsteller
befugt sind, Rechte des Bundestages im Wege der Prozessstandschaft
geltend zu machen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
ist der einzelne Abgeordnete aber nicht befugt, solche Rechte im
Organstreit als Prozessstandschafter geltend zu machen.
Soweit die Antragsteller eine Verletzung eigener Rechte durch Maßnahmen
oder Unterlassungen der Bundesregierung geltend machen, fehlt es bereits
an der schlüssigen Darlegung eines die Antragsteller und die
Bundesregierung umschließenden Verfassungsrechtsverhältnisses. Der
Vortrag der Antragsteller, die Bundesregierung verletze sie in ihren
Rechten, indem sie an einer Änderung des NATO-Vertrages ohne formelle,
gemäß Art. 59 Abs. 2 GG einen Gesetzesbeschluss des Bundestages
erfordernde Vertragsänderung mitwirke, ist nicht geeignet, ein
derartiges Rechtsverhältnis darzulegen. Die Frage nach dem
verfassungsrechtlichen Erfordernis eines Zustimmungsgesetzes nach Art.
59 Abs. 2 GG betrifft die Abgrenzung der Kompetenzen von Bundestag und
Bundesregierung und berührt nicht den Status des einzelnen Abgeordneten.
Mit ihrer Rüge, der Bundestag habe durch seinen Beschluss vom 9. März
2007 über den Antrag der Bundesregierung einen Militäreinsatz
ermöglicht, der nur nach Änderung des NATO-Vertrages unter
parlamentarischer Beteiligung in Form eines Zustimmungsgesetzes hätte
ermöglicht werden dürfen, haben die Antragsteller eine mögliche
Verletzung oder Gefährdung eigener Statusrechte ebenfalls nicht
dargetan. Der Status der Antragsteller wird nicht von der Frage berührt,
ob ein Beschluss des Bundestages rechtswirksam ist oder nicht. Das
Organstreitverfahren dient dem Schutz der Rechte der Staatsorgane im
Verhältnis zueinander, nicht einer allgemeinen Verfassungsaufsicht.
Pressemitteilung Nr. 29/2007 vom 12. März 2007
Zum Beschluss vom 12. März 2007 – 2 BvE 1/07 –
Am 9. März 2007 stimmte der Deutsche Bundestag dem Antrag der
Bundesregierung zur Entsendung von Aufklärungsflugzeugen des Typs
Tornado nach Afghanistan zu. Hiergegen richtet sich die Organklage
zweier Bundestagsabgeordneter, verbunden mit dem Antrag auf Erlass einer
einstweiligen Anordnung. Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts
hat den Eilantrag mit Beschluss vom heutigen Tage abgelehnt. Für eine
einstweilige Anordnung ist kein Raum, da die in der Hauptsache
gestellten Anträge unzulässig sind. Soweit die Antragsteller mit ihrer
Klage Rechte des Bundestages geltend machen, sind sie hierzu nicht
befugt. Soweit sie die Verletzung eigener Rechte rügen, haben sie eine
Verletzung oder Gefährdung ihrer Statusrechte als Abgeordnete nicht
dargetan.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:
Soweit die Antragsteller geltend machen, die Bundesregierung habe Rechte
des Bundestages aus Art. 59 Abs. 2 und Art. 20 Abs. 2 GG verletzt, indem
sie es unterlassen habe, einem „das Zustimmungsgesetz zum NATO-Vertrag
überschreitenden stillen Bedeutungswandel von Art. 1 NATO-Vertrag
entgegenzuwirken“, und sich „aktiv an diesem Bedeutungswandel beteiligt“
habe, setzt die Zulässigkeit des Antrags voraus, dass die Antragsteller
befugt sind, Rechte des Bundestages im Wege der Prozessstandschaft
geltend zu machen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
ist der einzelne Abgeordnete aber nicht befugt, solche Rechte im
Organstreit als Prozessstandschafter geltend zu machen.
Soweit die Antragsteller eine Verletzung eigener Rechte durch Maßnahmen
oder Unterlassungen der Bundesregierung geltend machen, fehlt es bereits
an der schlüssigen Darlegung eines die Antragsteller und die
Bundesregierung umschließenden Verfassungsrechtsverhältnisses. Der
Vortrag der Antragsteller, die Bundesregierung verletze sie in ihren
Rechten, indem sie an einer Änderung des NATO-Vertrages ohne formelle,
gemäß Art. 59 Abs. 2 GG einen Gesetzesbeschluss des Bundestages
erfordernde Vertragsänderung mitwirke, ist nicht geeignet, ein
derartiges Rechtsverhältnis darzulegen. Die Frage nach dem
verfassungsrechtlichen Erfordernis eines Zustimmungsgesetzes nach Art.
59 Abs. 2 GG betrifft die Abgrenzung der Kompetenzen von Bundestag und
Bundesregierung und berührt nicht den Status des einzelnen Abgeordneten.
Mit ihrer Rüge, der Bundestag habe durch seinen Beschluss vom 9. März
2007 über den Antrag der Bundesregierung einen Militäreinsatz
ermöglicht, der nur nach Änderung des NATO-Vertrages unter
parlamentarischer Beteiligung in Form eines Zustimmungsgesetzes hätte
ermöglicht werden dürfen, haben die Antragsteller eine mögliche
Verletzung oder Gefährdung eigener Statusrechte ebenfalls nicht
dargetan. Der Status der Antragsteller wird nicht von der Frage berührt,
ob ein Beschluss des Bundestages rechtswirksam ist oder nicht. Das
Organstreitverfahren dient dem Schutz der Rechte der Staatsorgane im
Verhältnis zueinander, nicht einer allgemeinen Verfassungsaufsicht.
Pressemitteilung Nr. 29/2007 vom 12. März 2007
Zum Beschluss vom 12. März 2007 – 2 BvE 1/07 –
08 März 2007
BVerfG zum Schlichtungsrecht
Die im Gütestellen- und Schlichtungsgesetz des Landes Nordrhein-
Westfalen vorgesehene Verpflichtung zur Durchführung eines
außergerichtlichen Schlichtungsverfahrens vor einer Inanspruchnahme der
staatlichen Gerichte ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
Insbesondere verstößt die Regelung nicht gegen den allgemeinen
Justizgewährungsanspruch. Mit dieser Begründung hat die 1. Kammer des
Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts die Verfassungsbeschwerde
eines Beschwerdeführers nicht zur Entscheidung angenommen, dessen
Schadenersatzklage über 310 DM vom Amtsgericht wegen Nichtdurchführung
eines Schlichtungsverfahrens abgewiesen worden war.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:
Die Regelung über die obligatorische Streitschlichtung, die der
einverständlichen Konfliktbewältigung und damit der Entlastung der
Ziviljustiz dient, belastet den Rechtsuchenden nicht unangemessen. Ihm
wird in keinem Fall der Zugang zu den staatlichen Gerichten versperrt.
Die Regelung erschwert ihn zwar und führt bei einem Scheitern des
Einigungsversuchs zu Verzögerungen und höheren Kosten. Dieser möglichen
Beeinträchtigung stehen aber hinreichende Vorteile für den
Rechtsuchenden gegenüber. Im Erfolgsfalle führt die außergerichtliche
Streitschlichtung dazu, dass eine Inanspruchnahme der staatlichen
Gerichte wegen der schon erreichten Einigung entbehrlich ist, so dass
die Streitschlichtung für die Betroffenen kostengünstiger und vielfach
wohl auch schneller erfolgen kann als eine gerichtliche
Auseinandersetzung.
Der Gesetzgeber durfte auch davon ausgehen, dass die gesetzlichen
Eignungskriterien, die für die als Gütestellen handelnden Personen
maßgeblich sind, nicht voll mit denen identisch sein müssen, die für den
Einsatz rechtsberatender Berufe kennzeichnend sind. Der Erfolg eines auf
eine einverständliche Konfliktbewältigung zielenden Verfahrens kann auch
davon abhängen, dass nicht nur die rechtliche Prägung eines Konflikts
beachtet wird, sondern auch andere Gesichtspunkte einbezogen werden,
etwa die Beziehung der Parteien belastende und in der Folge den Konflikt
prägende Elemente.
Eine restriktive Auslegung der Regelung dahingehend, dass bei
erkennbarer Aussichtslosigkeit die Durchführung des
Schlichtungsverfahrens entbehrlich wird, ist verfassungsrechtlich nicht
geboten. Der Gesetzgeber durfte typisierend davon ausgehen, dass der
erfolglose Verlauf vorprozessualer Gespräche zwischen den Parteien nicht
zwingend auf die Aussichtslosigkeit eines Schlichtungsverfahrens
hindeutet.
Pressemitteilung Nr. 28/2007 vom 8. März 2007
Zum Beschluss vom 14. Februar 2007 – 1 BvR 1351/01 –
Westfalen vorgesehene Verpflichtung zur Durchführung eines
außergerichtlichen Schlichtungsverfahrens vor einer Inanspruchnahme der
staatlichen Gerichte ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
Insbesondere verstößt die Regelung nicht gegen den allgemeinen
Justizgewährungsanspruch. Mit dieser Begründung hat die 1. Kammer des
Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts die Verfassungsbeschwerde
eines Beschwerdeführers nicht zur Entscheidung angenommen, dessen
Schadenersatzklage über 310 DM vom Amtsgericht wegen Nichtdurchführung
eines Schlichtungsverfahrens abgewiesen worden war.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:
Die Regelung über die obligatorische Streitschlichtung, die der
einverständlichen Konfliktbewältigung und damit der Entlastung der
Ziviljustiz dient, belastet den Rechtsuchenden nicht unangemessen. Ihm
wird in keinem Fall der Zugang zu den staatlichen Gerichten versperrt.
Die Regelung erschwert ihn zwar und führt bei einem Scheitern des
Einigungsversuchs zu Verzögerungen und höheren Kosten. Dieser möglichen
Beeinträchtigung stehen aber hinreichende Vorteile für den
Rechtsuchenden gegenüber. Im Erfolgsfalle führt die außergerichtliche
Streitschlichtung dazu, dass eine Inanspruchnahme der staatlichen
Gerichte wegen der schon erreichten Einigung entbehrlich ist, so dass
die Streitschlichtung für die Betroffenen kostengünstiger und vielfach
wohl auch schneller erfolgen kann als eine gerichtliche
Auseinandersetzung.
Der Gesetzgeber durfte auch davon ausgehen, dass die gesetzlichen
Eignungskriterien, die für die als Gütestellen handelnden Personen
maßgeblich sind, nicht voll mit denen identisch sein müssen, die für den
Einsatz rechtsberatender Berufe kennzeichnend sind. Der Erfolg eines auf
eine einverständliche Konfliktbewältigung zielenden Verfahrens kann auch
davon abhängen, dass nicht nur die rechtliche Prägung eines Konflikts
beachtet wird, sondern auch andere Gesichtspunkte einbezogen werden,
etwa die Beziehung der Parteien belastende und in der Folge den Konflikt
prägende Elemente.
Eine restriktive Auslegung der Regelung dahingehend, dass bei
erkennbarer Aussichtslosigkeit die Durchführung des
Schlichtungsverfahrens entbehrlich wird, ist verfassungsrechtlich nicht
geboten. Der Gesetzgeber durfte typisierend davon ausgehen, dass der
erfolglose Verlauf vorprozessualer Gespräche zwischen den Parteien nicht
zwingend auf die Aussichtslosigkeit eines Schlichtungsverfahrens
hindeutet.
Pressemitteilung Nr. 28/2007 vom 8. März 2007
Zum Beschluss vom 14. Februar 2007 – 1 BvR 1351/01 –
07 März 2007
BVerfG zu anwaltlichen Erfolgshonoraren
Gesetzliches Verbot anwaltlicher Erfolgshonorare muss Ausnahmetatbestand zulassen
Die Bundesrechtsanwaltsordnung untersagt Rechtsanwälten Vereinbarungen,
durch die eine Vergütung oder ihre Höhe vom Ausgang der Sache oder vom
Erfolg der anwaltlichen Tätigkeit abhängig gemacht wird oder nach denen
der Rechtsanwalt einen Teil des erstrittenen Betrages als Honorar
erhält. Vergleichbare Regelungen bestehen für Patentanwälte, für
Steuerberater und Steuerbevollmächtigte sowie für Wirtschaftsprüfer. Im
vorliegenden Fall macht eine Rechtsanwältin die Verfassungswidrigkeit
des Verbots anwaltlicher Erfolgshonorare geltend. Sie war 1990 von zwei
in den USA lebenden Mandanten beauftragt worden, deren Ansprüche wegen
eines in Dresden gelegenen Grundstücks durchzusetzen, das dem Großvater
der Mandanten gehört hatte und von den nationalsozialistischen
Machthabern enteignet worden war. Der Rechtsanwältin wurde angeboten,
dass sie als Honorar ein Drittel des erstrittenen Betrages erhalten
sollte. In der Folgezeit erwirkte die Beschwerdeführerin zugunsten ihrer
Mandanten eine Entschädigung in Höhe von insgesamt 312.000 DM. Hiervon
erhielt sie absprachegemäß 104.000 DM. Das Anwaltsgericht bewertete die
Streitanteilsvergütung als Verstoß gegen die Grundpflichten eines
Rechtsanwalts und erteilte der Beschwerdeführerin deswegen einen Verweis
und verurteilte sie zur Zahlung einer Geldbuße in Höhe von 25.000 €, die
der Anwaltsgerichtshof auf 5.000 € herabsetzte.
Die Verfassungsbeschwerde der Rechtsanwältin, mit der diese die
Verfassungswidrigkeit des gesetzlichen Verbots anwaltlicher
Erfolgshonorare geltend machte, war teilweise erfolgreich. Der Erste
Senat des Bundesverfassungsgerichts stellte fest, dass das gesetzliche
Verbot mit dem Grundrecht auf freie Berufsausübung insoweit nicht
vereinbar ist, als das Gesetz keine Ausnahmen vorsieht und damit das
Verbot selbst dann zu beachten ist, wenn der Rechtsanwalt mit der
Vereinbarung eines Erfolgshonorars besonderen Umständen in der Person
des Auftraggebers Rechnung trägt, die diesen sonst davon abhielten,
seine Rechte zu verfolgen. Der Gesetzgeber hat bis zum 30. Juni 2008
eine Neuregelung zu treffen. Bis dahin bleibt das gesetzliche Verbot
anwaltlicher Erfolgshonorare jedoch anwendbar; deshalb hat das
Bundesverfassungsgericht die im vorliegenden Fall ausgesprochene
berufsgerichtliche Verurteilung der Beschwerdeführerin
verfassungsrechtlich nicht beanstandet.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:
Mit dem Verbot anwaltlicher Erfolgshonorare verfolgt der Gesetzgeber
Gemeinwohlziele, die auf vernünftigen Erwägungen beruhen und daher die
Beschränkung der Berufsausübung der Rechtsanwälte legitimieren können.
Das Verbot dient zum einen dem Schutz der anwaltlichen Unabhängigkeit,
die unverzichtbare Voraussetzung für eine funktionierende Rechtspflege
ist. Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass der
Gesetzgeber die anwaltliche Unabhängigkeit bei Vereinbarung eines
Erfolgshonorars gefährdet sieht. So kann die zur Wahrung der
Unabhängigkeit gebotene kritische Distanz des Rechtsanwalts zum Anliegen
des Auftraggebers Schaden nehmen, wenn sich ein Rechtsanwalt auf eine
Teilhabe am Erfolgsrisiko einer Rechtsangelegenheit eingelassen hat. Vor
allem aber liegt die Befürchtung nicht völlig fern, dass mit der
Vereinbarung einer erfolgsbasierten Vergütung für unredliche
Berufsträger ein zusätzlicher Anreiz geschaffen werden kann, den Erfolg
„um jeden Preis“ auch durch Einsatz unlauterer Mittel anzustreben. Ein
weiterer legitimer Zweck des Verbots von Erfolgshonoraren ist in dem
Schutz der Rechtsuchenden vor einer Übervorteilung durch überhöhte
Vergütungssätze zu sehen. Einem unredlichen Rechtsanwalt ist es möglich,
den Mandanten durch unzutreffende Darstellung der Erfolgsaussichten oder
übertriebene Schilderung des zu erwartenden Arbeitsaufwandes zur
Vereinbarung einer unangemessen hohen Vergütung zu bewegen. Schließlich
ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn der Gesetzgeber
die Zulässigkeit eines Erfolgshonorars als Gefährdung der prozessualen
Waffengleichheit einschätzt, weil der Beklagte – im Gegensatz zum Kläger
– nicht über die Möglichkeit verfügt, sein Kostenrisiko auf
vergleichbare Art zu verlagern. Zur Verfolgung dieser Gemeinwohlziele
kann das Verbot anwaltlicher Erfolgshonorare auch als geeignet und
erforderlich angesehen werden.
Das Verbot von Erfolgshonoraren ist jedoch insoweit unangemessen, als es
keine Ausnahmen zulässt und damit selbst dann zu beachten ist, wenn der
Rechtsanwalt mit der Vereinbarung einer erfolgsbasierten Vergütung
besonderen Umständen in der Person des Auftraggebers Rechnung trägt, die
diesen sonst davon abhielten, seine Rechte zu verfolgen. Bei der
Entscheidung der Rechtsuchenden über die Inanspruchnahme anwaltlicher
Hilfe ist die Kostenfrage von maßgebender Bedeutung. Auch Rechtsuchende,
die auf Grund ihrer Einkommens- und Vermögensverhältnisse keine
Prozesskostenhilfe oder Beratungshilfe beanspruchen können, können vor
der Entscheidung stehen, ob es ihnen die eigene wirtschaftliche Lage
vernünftigerweise erlaubt, die finanziellen Risiken einzugehen, die
angesichts des unsicheren Ausgangs der Angelegenheit mit der
Inanspruchnahme qualifizierter rechtlicher Betreuung und Unterstützung
verbunden sind. Nicht wenige Betroffene werden das Kostenrisiko auf
Grund verständiger Erwägungen scheuen und daher von der Verfolgung ihrer
Rechte absehen. Für diese Rechtsuchenden ist das Bedürfnis anzuerkennen,
das geschilderte Risiko durch Vereinbarung einer erfolgsbasierten
Vergütung zumindest teilweise auf den vertretenden Rechtsanwalt zu
verlagern. In solchen Fällen fördert die Unzulässigkeit anwaltlicher
Erfolgshonorare nicht die Rechtsschutzgewährung, sondern erschwert den
Weg zu ihr.
Der Gesetzgeber kann dieses Regelungsdefizit dadurch beseitigen, dass er
zwar an dem Verbot grundsätzlich festhält, jedoch für die oben genannte
Fallgruppe einen Ausnahmetatbestand eröffnet. Zum Schutz der
Vermögensinteressen der Rechtsuchenden und zum Schutz des Vertrauens in
die Anwaltschaft kann außerdem die Wirksamkeit der Vereinbarung eines
Erfolgshonorars von der Erfüllung vergütungsbezogener
Informationspflichten des Rechtsanwalts gegenüber dem Mandanten abhängig
gemacht werden. Schließlich ist der Gesetzgeber nicht gehindert, dem
verfassungswidrigen Regelungsdefizit dadurch die Grundlage zu entziehen,
dass das Verbot anwaltlicher Erfolgshonorare völlig aufgegeben oder an
ihm nur noch unter engen Voraussetzungen, wie etwa im Fall
unzulänglicher Aufklärung des Mandanten, festgehalten wird.
Pressemitteilung Nr. 27/2007 vom 7. März 2007
Zum Beschluss vom 12. Dezember 2006 – 1 BvR 2576/04 –
Die Bundesrechtsanwaltsordnung untersagt Rechtsanwälten Vereinbarungen,
durch die eine Vergütung oder ihre Höhe vom Ausgang der Sache oder vom
Erfolg der anwaltlichen Tätigkeit abhängig gemacht wird oder nach denen
der Rechtsanwalt einen Teil des erstrittenen Betrages als Honorar
erhält. Vergleichbare Regelungen bestehen für Patentanwälte, für
Steuerberater und Steuerbevollmächtigte sowie für Wirtschaftsprüfer. Im
vorliegenden Fall macht eine Rechtsanwältin die Verfassungswidrigkeit
des Verbots anwaltlicher Erfolgshonorare geltend. Sie war 1990 von zwei
in den USA lebenden Mandanten beauftragt worden, deren Ansprüche wegen
eines in Dresden gelegenen Grundstücks durchzusetzen, das dem Großvater
der Mandanten gehört hatte und von den nationalsozialistischen
Machthabern enteignet worden war. Der Rechtsanwältin wurde angeboten,
dass sie als Honorar ein Drittel des erstrittenen Betrages erhalten
sollte. In der Folgezeit erwirkte die Beschwerdeführerin zugunsten ihrer
Mandanten eine Entschädigung in Höhe von insgesamt 312.000 DM. Hiervon
erhielt sie absprachegemäß 104.000 DM. Das Anwaltsgericht bewertete die
Streitanteilsvergütung als Verstoß gegen die Grundpflichten eines
Rechtsanwalts und erteilte der Beschwerdeführerin deswegen einen Verweis
und verurteilte sie zur Zahlung einer Geldbuße in Höhe von 25.000 €, die
der Anwaltsgerichtshof auf 5.000 € herabsetzte.
Die Verfassungsbeschwerde der Rechtsanwältin, mit der diese die
Verfassungswidrigkeit des gesetzlichen Verbots anwaltlicher
Erfolgshonorare geltend machte, war teilweise erfolgreich. Der Erste
Senat des Bundesverfassungsgerichts stellte fest, dass das gesetzliche
Verbot mit dem Grundrecht auf freie Berufsausübung insoweit nicht
vereinbar ist, als das Gesetz keine Ausnahmen vorsieht und damit das
Verbot selbst dann zu beachten ist, wenn der Rechtsanwalt mit der
Vereinbarung eines Erfolgshonorars besonderen Umständen in der Person
des Auftraggebers Rechnung trägt, die diesen sonst davon abhielten,
seine Rechte zu verfolgen. Der Gesetzgeber hat bis zum 30. Juni 2008
eine Neuregelung zu treffen. Bis dahin bleibt das gesetzliche Verbot
anwaltlicher Erfolgshonorare jedoch anwendbar; deshalb hat das
Bundesverfassungsgericht die im vorliegenden Fall ausgesprochene
berufsgerichtliche Verurteilung der Beschwerdeführerin
verfassungsrechtlich nicht beanstandet.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:
Mit dem Verbot anwaltlicher Erfolgshonorare verfolgt der Gesetzgeber
Gemeinwohlziele, die auf vernünftigen Erwägungen beruhen und daher die
Beschränkung der Berufsausübung der Rechtsanwälte legitimieren können.
Das Verbot dient zum einen dem Schutz der anwaltlichen Unabhängigkeit,
die unverzichtbare Voraussetzung für eine funktionierende Rechtspflege
ist. Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass der
Gesetzgeber die anwaltliche Unabhängigkeit bei Vereinbarung eines
Erfolgshonorars gefährdet sieht. So kann die zur Wahrung der
Unabhängigkeit gebotene kritische Distanz des Rechtsanwalts zum Anliegen
des Auftraggebers Schaden nehmen, wenn sich ein Rechtsanwalt auf eine
Teilhabe am Erfolgsrisiko einer Rechtsangelegenheit eingelassen hat. Vor
allem aber liegt die Befürchtung nicht völlig fern, dass mit der
Vereinbarung einer erfolgsbasierten Vergütung für unredliche
Berufsträger ein zusätzlicher Anreiz geschaffen werden kann, den Erfolg
„um jeden Preis“ auch durch Einsatz unlauterer Mittel anzustreben. Ein
weiterer legitimer Zweck des Verbots von Erfolgshonoraren ist in dem
Schutz der Rechtsuchenden vor einer Übervorteilung durch überhöhte
Vergütungssätze zu sehen. Einem unredlichen Rechtsanwalt ist es möglich,
den Mandanten durch unzutreffende Darstellung der Erfolgsaussichten oder
übertriebene Schilderung des zu erwartenden Arbeitsaufwandes zur
Vereinbarung einer unangemessen hohen Vergütung zu bewegen. Schließlich
ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn der Gesetzgeber
die Zulässigkeit eines Erfolgshonorars als Gefährdung der prozessualen
Waffengleichheit einschätzt, weil der Beklagte – im Gegensatz zum Kläger
– nicht über die Möglichkeit verfügt, sein Kostenrisiko auf
vergleichbare Art zu verlagern. Zur Verfolgung dieser Gemeinwohlziele
kann das Verbot anwaltlicher Erfolgshonorare auch als geeignet und
erforderlich angesehen werden.
Das Verbot von Erfolgshonoraren ist jedoch insoweit unangemessen, als es
keine Ausnahmen zulässt und damit selbst dann zu beachten ist, wenn der
Rechtsanwalt mit der Vereinbarung einer erfolgsbasierten Vergütung
besonderen Umständen in der Person des Auftraggebers Rechnung trägt, die
diesen sonst davon abhielten, seine Rechte zu verfolgen. Bei der
Entscheidung der Rechtsuchenden über die Inanspruchnahme anwaltlicher
Hilfe ist die Kostenfrage von maßgebender Bedeutung. Auch Rechtsuchende,
die auf Grund ihrer Einkommens- und Vermögensverhältnisse keine
Prozesskostenhilfe oder Beratungshilfe beanspruchen können, können vor
der Entscheidung stehen, ob es ihnen die eigene wirtschaftliche Lage
vernünftigerweise erlaubt, die finanziellen Risiken einzugehen, die
angesichts des unsicheren Ausgangs der Angelegenheit mit der
Inanspruchnahme qualifizierter rechtlicher Betreuung und Unterstützung
verbunden sind. Nicht wenige Betroffene werden das Kostenrisiko auf
Grund verständiger Erwägungen scheuen und daher von der Verfolgung ihrer
Rechte absehen. Für diese Rechtsuchenden ist das Bedürfnis anzuerkennen,
das geschilderte Risiko durch Vereinbarung einer erfolgsbasierten
Vergütung zumindest teilweise auf den vertretenden Rechtsanwalt zu
verlagern. In solchen Fällen fördert die Unzulässigkeit anwaltlicher
Erfolgshonorare nicht die Rechtsschutzgewährung, sondern erschwert den
Weg zu ihr.
Der Gesetzgeber kann dieses Regelungsdefizit dadurch beseitigen, dass er
zwar an dem Verbot grundsätzlich festhält, jedoch für die oben genannte
Fallgruppe einen Ausnahmetatbestand eröffnet. Zum Schutz der
Vermögensinteressen der Rechtsuchenden und zum Schutz des Vertrauens in
die Anwaltschaft kann außerdem die Wirksamkeit der Vereinbarung eines
Erfolgshonorars von der Erfüllung vergütungsbezogener
Informationspflichten des Rechtsanwalts gegenüber dem Mandanten abhängig
gemacht werden. Schließlich ist der Gesetzgeber nicht gehindert, dem
verfassungswidrigen Regelungsdefizit dadurch die Grundlage zu entziehen,
dass das Verbot anwaltlicher Erfolgshonorare völlig aufgegeben oder an
ihm nur noch unter engen Voraussetzungen, wie etwa im Fall
unzulänglicher Aufklärung des Mandanten, festgehalten wird.
Pressemitteilung Nr. 27/2007 vom 7. März 2007
Zum Beschluss vom 12. Dezember 2006 – 1 BvR 2576/04 –
02 März 2007
Halbe: Beschwerde der Rechten erfolglos
Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat heute die Beschwerde des Veranstalters der Versammlung unter dem Motto “Die Treue ist das Mark der Ehre“ gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Cottbus vom gestrigen Tage zurückgewiesen. Die Versammlung sollte auf dem Vorplatz des Waldfriedhofs Halbe stattfinden. Der 1. Senat des Oberverwaltungsgerichts hat die Auffassung des Verwaltungsgerichts bestätigt, wonach dem Veranstalter der Versammlung kein Anspruch auf eine Ausnahmegenehmigung nach dem im Oktober 2006 in Kraft getretenen Gräberstätten-Versammlungsgesetz des Landes Brandenburg zustehe, um eine solche Versammlung in dem durch das Gesetz geschützten Bereich in unmittelbarer Nähe zur Gräberstätte abzuhalten. Auch nach Auffassung des Oberverwaltungsgerichts ist nämlich durch den äußeren Ablauf und den Gegenstand der Versammlung konkret zu befürchten, dass mit dem Aufzug an Formen oder Inhalte nationalsozialistischen Heldengedenkens angeknüpft wird. In einem solchen Fall darf nach dem Gesetz eine Ausnahmegenehmigung nicht erteilt werden (§ 1 Abs. 2 Nr. 1 des Gräberstätten-Versammlungsgesetzes). Das Oberverwaltungsgericht hat bei seiner Bewertung nicht nur das Motto der Versammlung und den zeitlichen Zusammenhang mit Heldengedenkveranstaltungen des NS-Regimes berücksichtigt, sondern auch den Inhalt von Internetaufrufen eines „Freundeskreises Halbe“, die der Veranstalter sich für die Einschätzung des Inhalts seiner Versammlung zurechnen lassen muss.
Beschluss vom 2. März 2007 - OVG 1 S 24.07 -
Pressemitteilung Berlin, den 02.03.2007 - 10/2007
Beschluss vom 2. März 2007 - OVG 1 S 24.07 -
Pressemitteilung Berlin, den 02.03.2007 - 10/2007
28 Februar 2007
BVerfG zur Kostentragung künstlicher Befruchtung
Gesetzgeber darf die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung
für künstliche Befruchtung auf Ehepaare beschränken
Es ist mit dem Grundgesetz vereinbar, dass der Gesetzgeber die
Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen für eine künstliche
Befruchtung auf Personen beschränkt, die miteinander verheiratet sind.
Dies entschied der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts mit Urteil
vom 28. Februar 2007 auf eine Vorlage des Sozialgerichts Leipzig. (Zum
Sachverhalt vgl. Pressemitteilung Nr. 76 vom 29. August 2006)
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:
1. Ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz liegt nicht vor.
Zwar schließt das Gesetz die gesetzlich versicherten Partner einer
nichtehelichen Lebensgemeinschaft von der Sachleistung einer
medizinischen Maßnahme zur Herbeiführung einer Schwangerschaft aus.
Sie werden dadurch im Verhältnis zu Ehepaaren finanziell
benachteiligt und müssen, wenn sie die gewünschte künstliche
Befruchtung vornehmen wollen, die gesamten Kosten dafür selbst
tragen.
Die Ungleichbehandlung wäre im System der gesetzlichen
Krankenversicherung nicht zu rechtfertigen, würde die künstliche
Befruchtung der Beseitigung einer Krankheit dienen. Dann hätte die
Vorschrift, würde sie eine solche Leistung der gesetzlichen
Krankenkasse nur Verheirateten, nicht aber unverheirateten Personen
zugute kommen lassen, vor dem allgemeinen Gleichheitssatz keinen
Bestand. Der Gesetzgeber hat jedoch medizinische Maßnahmen zur
Herbeiführung einer Schwangerschaft nicht als Behandlung einer
Krankheit angesehen. Dies ist verfassungsrechtlich nicht zu
beanstanden. Es liegt im Rahmen der grundsätzlichen Freiheit des
Gesetzgebers, die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen
der gesetzlichen Krankenversicherung näher zu bestimmen, auch in
einem Grenzbereich zwischen Krankheit und solchen körperlichen und
seelischen Beeinträchtigungen eines Menschen, deren Beseitigung oder
Besserung durch Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung nicht
von vornherein veranlasst ist.
Der Gesetzgeber hatte hinreichende sachliche Gründe, die Gewährung
von Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung zur Herbeiführung
einer Schwangerschaft auf Ehepaare zu beschränken. Er durfte daran
anknüpfen, dass das Bürgerliche Gesetzbuch in Ehegatten Partner einer
auf Lebenszeit angelegten Gemeinschaft sieht und sie gesetzlich
anhält, füreinander Verantwortung zu tragen. In der nichtehelichen
Lebensgemeinschaft kann diese Verantwortung nur freiwillig
wahrgenommen werden. Es liegt im Einschätzungsermessen des
Gesetzgebers, dass er die eheliche Partnerschaft als besonders
geeignet ansieht, die mit den in Frage stehenden medizinischen
Maßnahmen verbundenen Belastungen und Risiken gemeinsam zu
bewältigen. Der Gesetzgeber durfte die Ehe auch wegen ihres
besonderen rechtlichen Rahmens als eine Lebensbasis für ein Kind
ansehen, die den Kindeswohlbelangen mehr Rechnung trägt als eine
nichteheliche Partnerschaft. So ist die Ehe auf Lebenszeit angelegt
und nur unter den Voraussetzungen der Aufhebung oder Scheidung wieder
auflösbar, während nichteheliche Partnerschaften jederzeit beendet
werden können. Die ehelichen Bindungen bieten einem Kind
grundsätzlich mehr rechtliche Sicherheit, von beiden Elternteilen
betreut zu werden. Auch sind Ehegatten einander gesetzlich
verpflichtet, durch ihre Arbeit und mit ihrem Vermögen die Familie zu
unterhalten. Dieser Unterhalt ist mit auf die Bedürfnisse der
gemeinsamen Kinder ausgerichtet, begünstigt auch sie und bestimmt
maßgeblich ihre wirtschaftliche und soziale Situation. Eine solche
Verpflichtung besteht bei Partnern einer nichtehelichen
Lebensgemeinschaft nicht.
2. Ein Verstoß gegen den verfassungsrechtlich garantierten Schutz von
Ehe und Familie liegt ebenfalls nicht vor. Art. 6 Abs. 1 GG kann
keine Verpflichtung des Gesetzgebers entnommen werden, die Entstehung
einer Familie durch medizinische Maßnahmen der künstlichen
Befruchtung mit den Mitteln der gesetzlichen Krankenversicherung zu
fördern. Es wäre dem Gesetzgeber allerdings verfassungsrechtlich
nicht verwehrt, auch nichtehelichen Partnern den Weg einer
Finanzierung der künstlichen Befruchtung durch die gesetzliche
Krankenversicherung zu öffnen.
Bundesverfassungsgericht - Pressestelle -
Pressemitteilung Nr. 22/2007 vom 28. Februar 2007
Zum Urteil vom 28. Februar 2007 – 1 BvL 5/03 –
für künstliche Befruchtung auf Ehepaare beschränken
Es ist mit dem Grundgesetz vereinbar, dass der Gesetzgeber die
Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen für eine künstliche
Befruchtung auf Personen beschränkt, die miteinander verheiratet sind.
Dies entschied der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts mit Urteil
vom 28. Februar 2007 auf eine Vorlage des Sozialgerichts Leipzig. (Zum
Sachverhalt vgl. Pressemitteilung Nr. 76 vom 29. August 2006)
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:
1. Ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz liegt nicht vor.
Zwar schließt das Gesetz die gesetzlich versicherten Partner einer
nichtehelichen Lebensgemeinschaft von der Sachleistung einer
medizinischen Maßnahme zur Herbeiführung einer Schwangerschaft aus.
Sie werden dadurch im Verhältnis zu Ehepaaren finanziell
benachteiligt und müssen, wenn sie die gewünschte künstliche
Befruchtung vornehmen wollen, die gesamten Kosten dafür selbst
tragen.
Die Ungleichbehandlung wäre im System der gesetzlichen
Krankenversicherung nicht zu rechtfertigen, würde die künstliche
Befruchtung der Beseitigung einer Krankheit dienen. Dann hätte die
Vorschrift, würde sie eine solche Leistung der gesetzlichen
Krankenkasse nur Verheirateten, nicht aber unverheirateten Personen
zugute kommen lassen, vor dem allgemeinen Gleichheitssatz keinen
Bestand. Der Gesetzgeber hat jedoch medizinische Maßnahmen zur
Herbeiführung einer Schwangerschaft nicht als Behandlung einer
Krankheit angesehen. Dies ist verfassungsrechtlich nicht zu
beanstanden. Es liegt im Rahmen der grundsätzlichen Freiheit des
Gesetzgebers, die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen
der gesetzlichen Krankenversicherung näher zu bestimmen, auch in
einem Grenzbereich zwischen Krankheit und solchen körperlichen und
seelischen Beeinträchtigungen eines Menschen, deren Beseitigung oder
Besserung durch Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung nicht
von vornherein veranlasst ist.
Der Gesetzgeber hatte hinreichende sachliche Gründe, die Gewährung
von Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung zur Herbeiführung
einer Schwangerschaft auf Ehepaare zu beschränken. Er durfte daran
anknüpfen, dass das Bürgerliche Gesetzbuch in Ehegatten Partner einer
auf Lebenszeit angelegten Gemeinschaft sieht und sie gesetzlich
anhält, füreinander Verantwortung zu tragen. In der nichtehelichen
Lebensgemeinschaft kann diese Verantwortung nur freiwillig
wahrgenommen werden. Es liegt im Einschätzungsermessen des
Gesetzgebers, dass er die eheliche Partnerschaft als besonders
geeignet ansieht, die mit den in Frage stehenden medizinischen
Maßnahmen verbundenen Belastungen und Risiken gemeinsam zu
bewältigen. Der Gesetzgeber durfte die Ehe auch wegen ihres
besonderen rechtlichen Rahmens als eine Lebensbasis für ein Kind
ansehen, die den Kindeswohlbelangen mehr Rechnung trägt als eine
nichteheliche Partnerschaft. So ist die Ehe auf Lebenszeit angelegt
und nur unter den Voraussetzungen der Aufhebung oder Scheidung wieder
auflösbar, während nichteheliche Partnerschaften jederzeit beendet
werden können. Die ehelichen Bindungen bieten einem Kind
grundsätzlich mehr rechtliche Sicherheit, von beiden Elternteilen
betreut zu werden. Auch sind Ehegatten einander gesetzlich
verpflichtet, durch ihre Arbeit und mit ihrem Vermögen die Familie zu
unterhalten. Dieser Unterhalt ist mit auf die Bedürfnisse der
gemeinsamen Kinder ausgerichtet, begünstigt auch sie und bestimmt
maßgeblich ihre wirtschaftliche und soziale Situation. Eine solche
Verpflichtung besteht bei Partnern einer nichtehelichen
Lebensgemeinschaft nicht.
2. Ein Verstoß gegen den verfassungsrechtlich garantierten Schutz von
Ehe und Familie liegt ebenfalls nicht vor. Art. 6 Abs. 1 GG kann
keine Verpflichtung des Gesetzgebers entnommen werden, die Entstehung
einer Familie durch medizinische Maßnahmen der künstlichen
Befruchtung mit den Mitteln der gesetzlichen Krankenversicherung zu
fördern. Es wäre dem Gesetzgeber allerdings verfassungsrechtlich
nicht verwehrt, auch nichtehelichen Partnern den Weg einer
Finanzierung der künstlichen Befruchtung durch die gesetzliche
Krankenversicherung zu öffnen.
Bundesverfassungsgericht - Pressestelle -
Pressemitteilung Nr. 22/2007 vom 28. Februar 2007
Zum Urteil vom 28. Februar 2007 – 1 BvL 5/03 –
23 Februar 2007
BVerfG zur Unterschriftensammlung der Polizei
Die Beschwerdeführerin, eine Polizeigewerkschaft, veranstaltete in
Nordrhein-Westfalen im Herbst 2002 eine landesweite
Unterschriftenaktion. Mit einem Flugblatt warb sie unter Hinweis auf
mehr als sieben Millionen geleisteter Überstunden für die Einstellung
von 5.000 neuen Polizeibediensteten. Sie legte Flugblätter und
Unterschriftenlisten auch im öffentlich zugänglichen Bereich von
Polizeidienststellen aus. In der Folgezeit untersagte das
Innenministerium des Landes Nordrhein-Westfalen das Auslegen derartiger
Listen in Polizeidienstgebäuden. Die hiergegen gerichtete Klage der
Polizeigewerkschaft vor den Arbeitsgerichten war in allen Instanzen
erfolglos.
Die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat die
Verfassungsbeschwerde der Polizeigewerkschaft nicht zur Entscheidung
angenommen. Eine Verletzung des Grundrechts der Koalitionsfreiheit (Art.
9 Abs. 3 GG) liegt nicht vor. Die Fachgerichte sind zu Recht davon
ausgegangen, dass die staatliche Neutralität und das öffentliche
Vertrauen in die Objektivität und gemeinwohlorientierte Ausführung der
Amtsgeschäfte beeinträchtigt werden können, wenn sich eine Gewerkschaft
den – hier sogar räumlich zu verstehenden – Bereich staatlicher
Aufgabenerfüllung zur Durchsetzung ihrer politischen Forderungen zu
Nutze zu machen versucht. Das staatliche Anliegen, jeden Anschein einer
Billigung oder Unterstützung interessengeleiteter Forderungen durch
seine Bediensteten, Dienststellen und Behörden zu vermeiden, ist
geeignet, politisch motivierter Betätigung von Interessengruppen
innerhalb von Dienstgebäuden auch im Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG
Grenzen zu setzen.
Pressemitteilung Nr. 19/2007 vom 23. Februar 2007
Zum Beschluss vom 6. Februar 2007 – 1 BvR 978/05 –
Nordrhein-Westfalen im Herbst 2002 eine landesweite
Unterschriftenaktion. Mit einem Flugblatt warb sie unter Hinweis auf
mehr als sieben Millionen geleisteter Überstunden für die Einstellung
von 5.000 neuen Polizeibediensteten. Sie legte Flugblätter und
Unterschriftenlisten auch im öffentlich zugänglichen Bereich von
Polizeidienststellen aus. In der Folgezeit untersagte das
Innenministerium des Landes Nordrhein-Westfalen das Auslegen derartiger
Listen in Polizeidienstgebäuden. Die hiergegen gerichtete Klage der
Polizeigewerkschaft vor den Arbeitsgerichten war in allen Instanzen
erfolglos.
Die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat die
Verfassungsbeschwerde der Polizeigewerkschaft nicht zur Entscheidung
angenommen. Eine Verletzung des Grundrechts der Koalitionsfreiheit (Art.
9 Abs. 3 GG) liegt nicht vor. Die Fachgerichte sind zu Recht davon
ausgegangen, dass die staatliche Neutralität und das öffentliche
Vertrauen in die Objektivität und gemeinwohlorientierte Ausführung der
Amtsgeschäfte beeinträchtigt werden können, wenn sich eine Gewerkschaft
den – hier sogar räumlich zu verstehenden – Bereich staatlicher
Aufgabenerfüllung zur Durchsetzung ihrer politischen Forderungen zu
Nutze zu machen versucht. Das staatliche Anliegen, jeden Anschein einer
Billigung oder Unterstützung interessengeleiteter Forderungen durch
seine Bediensteten, Dienststellen und Behörden zu vermeiden, ist
geeignet, politisch motivierter Betätigung von Interessengruppen
innerhalb von Dienstgebäuden auch im Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG
Grenzen zu setzen.
Pressemitteilung Nr. 19/2007 vom 23. Februar 2007
Zum Beschluss vom 6. Februar 2007 – 1 BvR 978/05 –
31 Januar 2007
BVerfG zum Erbschaftssteuerrecht
Erbschaftsteuerrecht in seiner derzeitigen Ausgestaltung verfassungswidrig
Die durch § 19 Abs. 1 ErbStG angeordnete Erhebung der Erbschaftsteuer
mit einheitlichen Steuersätzen auf den Wert des Erwerbs ist mit dem
Grundgesetz unvereinbar. Denn sie knüpft an Werte an, deren Ermittlung
bei wesentlichen Gruppen von Vermögensgegenständen (Betriebsvermögen,
Grundvermögen, Anteilen an Kapitalgesellschaften und land- und
forstwirtschaftlichen Betrieben) den Anforderungen des Gleichheitssatzes
nicht genügt. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, spätestens bis zum 31.
Dezember 2008 eine Neuregelung zu treffen. Bis zu der Neuregelung ist
das bisherige Recht weiter anwendbar. Dies entschied der Erste Senat des
Bundesverfassungsgerichts mit Beschluss vom 7. November 2006 (Tag der
Beschlussfassung des Senats, nicht der Abfassung der schriftlichen
Gründe).
Rechtlicher Hintergrund:
In § 19 Abs. 1 ErbStG ist unabhängig davon, aus welchen Vermögensarten
sich Nachlass oder Schenkung zusammensetzen, für alle steuerpflichtigen
Erwerbe einheitlich ein nach dem Wert des Erwerbs progressiver, in drei
nach Verwandtschaftsgraden abgestuften Steuerklassen unterteilter
Prozentsatz des Erwerbs als der Steuertarif bestimmt. Um mittels dieses
Tarifs zu einem in Geld zu entrichtenden Steuerbetrag zu gelangen,
müssen die dem steuerpflichtigen Erwerb unterfallenden
Vermögensgegenstände in einem Geldbetrag ausgewiesen werden. Bei nicht
als Geldsumme vorliegenden Steuerobjekten ist deshalb die Umrechnung in
einen Geldwert mittels einer Bewertungsmethode erforderlich, um eine
Bemessungsgrundlage für die Steuerschuld zu erhalten. Das
Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz bestimmt, dass sich die
Bewertung nach den Vorschriften des Bewertungsgesetzes (BewG) richtet.
Die Werte der einzelnen Vermögensgegenstände werden danach nicht
einheitlich, sondern auf unterschiedliche Art und Weise ermittelt. Das
Gesetz nennt als Regelfall den gemeinen Wert, also den Verkehrswert. Bei
der Bewertung inländischen Grundbesitzes kommt in wichtigen
Teilbereichen ein Ertragswertverfahren zur Ermittlung des
Grundbesitzwerts zur Anwendung. Der Wert des Betriebsteils von land- und
forstwirtschaftlichem Vermögen bemisst sich nach seinem Ertragswert.
Darüber hinaus bedient sich das Erbschaftsteuerrecht bei der Bewertung
von Betriebsvermögen des Steuerbilanzwerts.
Die Vorlage durch den Bundesfinanzhof betrifft die Frage, ob die
Anwendung des einheitlichen Steuertarifs gemäß § 19 Abs. 1 ErbStG auf
alle Erwerbsvorgänge wegen gleichheitswidriger Ausgestaltung der
Ermittlung der Steuerbemessungsgrundlage bei den unterschiedlichen
Vermögensarten verfassungswidrig ist.
Der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts liegen im Wesentlichen
folgende Erwägungen zugrunde:
I. Dem geltenden Erbschaftsteuerrecht liegt die Belastungsentscheidung
des Gesetzgebers zugrunde, den beim jeweiligen Empfänger mit dem
Erbfall oder der Schenkung anfallenden Vermögenszuwachs zu
besteuern. Diese Belastungsentscheidung hat mit Blick auf den
Gleichheitssatz Auswirkungen auf die Bewertung des anfallenden
Vermögens als den ersten Schritt bei der Ermittlung der
erbschaftsteuerlichen Bemessungsgrundlage. Die gleichmäßige
Belastung der Steuerpflichtigen hängt davon ab, dass für die
einzelnen zu einer Erbschaft gehörenden wirtschaftlichen Einheiten
und Wirtschaftsgüter Bemessungsgrundlagen gefunden werden, die
deren Werte in ihrer Relation realitätsgerecht abbilden. Eine
diesem Gebot genügende Erbschafts- und Schenkungsbesteuerung ist
nur dann gewährleistet, wenn sich das Gesetz auf der
Bewertungsebene einheitlich am gemeinen Wert als dem maßgeblichen
Bewertungsziel orientiert. Nur dieser bildet den durch den
Substanzerwerb vermittelten Zuwachs an Leistungsfähigkeit
zutreffend ab und ermöglicht eine gleichheitsgerechte Ausgestaltung
der Belastungsentscheidung. In der Wahl der Wertermittlungsmethode
ist der Gesetzgeber grundsätzlich frei. Die Bewertungsmethoden
müssen aber gewährleisten, dass alle Vermögensgegenstände in einem
Annäherungswert an den gemeinen Wert erfasst werden. Stellt der
Gesetzgeber schon bei der Bewertung auf andere Bewertungsmaßstäbe
ab, so löst er sich von seiner Belastungsgrundentscheidung und legt
damit strukturell Brüche und Wertungswidersprüche des gesamten
Regelungssystems an.
Bei den weiteren, sich an die Bewertung anschließenden Schritten
zur Bestimmung der Steuerbelastung darf der Gesetzgeber auf den so
ermittelten Wert der Bereicherung aufbauen und Lenkungszwecke, etwa
in Form zielgenauer und normenklarer steuerlicher
Verschonungsregelungen, ausgestalten. Die Bewertungsebene dagegen
ist aus verfassungsrechtlichen Gründen bereits vom Ansatz her
ungeeignet zur Verfolgung außerfiskalischer Förderungs- und
Lenkungsziele im Erbschaftsteuerrecht.
II. Das geltende Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht genügt diesen
verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht. Die erbschaftsteuerlichen
Bewertungsvorschriften führen bei wesentlichen Gruppen von
Vermögensgegenständen nicht zu dem gemeinen Wert angenäherten
Steuerwerten. Sie sind nicht ausreichend belastungsgleich und
folgerichtig ausgestaltet.
1. Beim Betriebsvermögen verhindert die weitgehende Übernahme der
Steuerbilanzwerte strukturell die Annäherung an den gemeinen
Wert. Dies führt zu Besteuerungsergebnissen, die mit dem
Gleichheitssatz nicht vereinbar sind:
Nach der gesetzlichen Regelung (§ 109 Abs. 1 BewG) werden die
zum Betriebsvermögen gehörenden Wirtschaftsgüter mit ihrem
Steuerbilanzwert angesetzt. Dieser stimmt aber nur in
Ausnahmefällen mit dem jeweiligen Verkehrswert des
Wirtschaftsguts (Teilwert) überein. So können durch
bilanzpolitische Maßnahmen wie zum Beispiel die Wahl von
degressiver oder linearer Abschreibung, Sofortabschreibungen
oder erhöhten Absetzungen und Sonderabschreibungen sowie auch
durch spätere Wertsteigerungen so genannte stille Reserven –
also vereinfacht ausgedrückt Differenzen zwischen dem
Verkehrswert eines Wirtschaftsguts und seinem niedrigeren
Buchwert – gebildet werden, die bei der Bewertung des
Betriebsvermögens nicht berücksichtigt werden. Zudem fließen
immaterielle Wirtschaftsgüter wie etwa der Geschäfts- oder
Firmenwert eines Unternehmens in die erbschaftsteuerliche
Bewertung nicht ein. Das hat regelmäßig zur Folge, dass der
Steuerwert gerade von ertragstarken Unternehmen weit hinter dem
gemeinen Wert zurückbleibt, weil der den Wert bestimmende Faktor
des Ertrags keine Berücksichtigung findet. Die Übernahme der
Steuerbilanzwerte bewirkt mithin für Betriebsvermögen mit hoher
Wahrscheinlichkeit – wenn auch nicht stets – einen deutlich
unter dem gemeinen Wert liegenden Steuerwert.
Darüber hinaus bewirkt die durch den Steuerbilanzwertansatz
erzielte Begünstigungswirkung keine zielgerichtete und
gleichmäßig wirkende Steuerentlastung, sondern tritt völlig
ungleichmäßig und damit willkürlich ein. Durch den
Steuerbilanzwertansatz ist die erbschaftsteuerliche
Bemessungsgrundlage davon abhängig, ob und in welchem Umfang der
Erblasser oder Schenker bilanzpolitische Maßnahmen ergriffen
hat. Die vielfältigen Möglichkeiten, über die Bilanzpolitik
Einfluss auf den erbschaftsteuerlichen Wertansatz zu nehmen,
eröffnen sich den Inhabern von Betriebsvermögen in stark
differierendem Ausmaß. Die Regelung kommt den Erwerbern von
Betriebsvermögen folglich in ganz unterschiedlichem Umfang
zugute.
Zudem fehlt es der Regelung mit Blick auf die vom Gesetzgeber
genannten Lenkungsziele an einer ausreichend zielgerichteten
Ausgestaltung. Mit der Übernahme der Steuerbilanzwerte wollte
der Gesetzgeber insbesondere mittelständische
Personenunternehmen von der Erbschaft- und Schenkungsteuer
entlasten. Tendenziell wird aber gerade der Übergang des
Betriebsvermögens von solchen Unternehmen gefördert, die der
Entlastung am wenigsten bedürfen. Denn begünstigt wird besonders
der Erwerb ertragstarker Unternehmen, bei denen Entnahmen zur
Begleichung der Erbschaftsteuerschuld am ehesten möglich sein
dürften. Das Fehlen eines Nachversteuerungsvorbehalts führt
zusätzlich dazu, dass auch Erwerber eines Betriebsvermögens in
den Genuss der Steuerbegünstigung kommen, die eine Fortführung
des Unternehmens nicht beabsichtigen.
2. Auch beim Grundvermögen genügt die erbschaftsteuerliche
Ermittlung der Bemessungsgrundlage schon auf der Bewertungsebene
nicht den Anforderungen des Gleichheitssatzes und führt deshalb
zu Besteuerungsergebnissen, die mit dem Gleichheitssatz nicht zu
vereinbaren sind.
a) Bei bebauten Grundstücken wird durch das gesetzlich
angeordnete (§ 146 Abs. 2 Satz 1 BewG) vereinfachte
Ertragswertverfahren mit einem starren
Einheitsvervielfältiger von 12,5 eine Bewertung mit dem
gemeinen Wert regelmäßig verfehlt. Mit dem vereinfachten
Ertragswertverfahren wollte der Gesetzgeber ausweislich der
Gesetzesmaterialien eine Bewertung mit durchschnittlich ca.
50 % des Kaufpreises – also des gemeinen Werts – erreichen
und durch diese niedrige Erbschaftsbesteuerung
Investitionsanreize für Grundvermögen schaffen sowie die Bau-
und Wohnungswirtschaft positiv beeinflussen. Dieser
gesetzgeberische Versuch einer steuerlichen Lenkung auf der
Bewertungsebene steht aber in unauflösbarem Widerspruch zu
den aus dem Gleichheitssatz folgenden verfassungsrechtlichen
Vorgaben. Die Bewertungsmethode führt im rechnerischen
Durchschnitt nicht nur zu Grundbesitzwerten, die etwa 50 %
des gemeinen Werts erreichen, so dass eine Annäherung an den
gemeinen Wert nicht erfolgt. Vielmehr differieren die
Einzelergebnisse auch in erheblicher Anzahl zwischen weniger
als 20 % und über 100 % des gemeinen Werts. Es ist
offensichtlich, dass ein einheitlicher Vervielfältiger für
bebaute Grundstücke ohne Berücksichtigung der Grundstücksart
und der Lage zu erheblichen Bewertungsunterschieden im
Verhältnis zum gemeinen Wert führen muss und der Bewertung
daher Zufälliges und Willkürliches anhaftet.
Keiner abschließenden Prüfung und Entscheidung bedarf deshalb
die Frage, ob der Gesetzgeber das auf der Bewertungsebene
verfolgte Ziel, den Erwerb bebauter Grundstücke nur auf der
Basis hälftiger Verkehrswerte mit Erbschaftsteuer zu
belasten, verfassungsrechtlich zulässig auf der zweiten Ebene
der Bemessungsgrundlagenermittlung – etwa im Wege einer
eindeutigen Verschonungsbestimmung, nach der bebaute
Grundstücke nur mit 50 % ihres gemeinen Werts zum Ansatz
kommen – hätte erreichen können. Mit den Belangen der Bau-
und insbesondere Wohnungswirtschaft hat der Gesetzgeber
gewichtige Gemeinwohlgründe angeführt, die grundsätzlich
geeignet erscheinen, Verschonungsnormen zu rechtfertigen, die
den Erwerb von Grundvermögen aufgrund Erbschaft oder
Schenkung steuerlich begünstigen. Die Frage, in welchem
Umfang eine auf sie gestützte Entlastung verfassungsrechtlich
zulässig wäre, kann aber hier offen bleiben.
b) Die in § 148 BewG – seiner bis zum 31. Dezember 2006
geltenden Fassung – geregelte Bewertung von Erbbaurechten und
mit Erbbaurechten belasteten Grundstücken ist ebenfalls mit
dem Erfordernis einer Bewertung, die die Wertverhältnisse in
ihrer Relation realitätsgerecht abbildet, nicht vereinbar.
Der Grundbesitzwert des belasteten Grundstücks wird
schematisch starr durch einheitliche Vervielfältigung des
nach den vertraglichen Bestimmungen im Besteuerungszeitpunkt
zu entrichtenden jährlichen Erbbauzinses mit dem Faktor 18,6
bestimmt, ohne dass die Restlaufzeit des Erbbaurechts oder
das Fehlen einer Heimfallentschädigung berücksichtigt oder
die Höhe des Erbbauzinses hinterfragt werden. Das führt dazu,
dass in einer Vielzahl von Fällen sowohl bei der Bewertung
des Grundstücks als auch der des Erbbaurechts teils zugunsten
des Erwerbers, teils zu seinen Lasten erheblich vom gemeinen
Wert abgewichen wird. Zu dieser Erkenntnis ist auch der
Gesetzgeber gelangt. Denn im Entwurf für das
Jahressteuergesetz 2007 wird ausgeführt, die jetzige Regelung
führe insbesondere bei kurzen Restlaufzeiten zu nicht
vertretbaren Bewertungsergebnissen.
c) Schließlich entspricht auch die Wertermittlung für unbebaute
Grundstücke (§ 145 BewG) der Anforderung, die
Wertverhältnisse in ihrer Relation realitätsgerecht
abzubilden, jedenfalls inzwischen nicht mehr. Grund hierfür
ist die gesetzlich angeordnete, bis Ende 2006 geltende
Festschreibung der Wertverhältnisse auf den 1. Januar 1996.
Die Preisentwicklung auf dem Grundstücksmarkt führt dazu,
dass die vergangenheitsbezogenen Werte sowohl die
Wertverhältnisse innerhalb der Gruppe der unbebauten
Grundstücke nicht mehr in ihrer Relation realitätsgerecht
abbilden als auch nicht mehr den Gegenwartswerten anderer
Vermögensgegenstände entsprechen. Damit führt die
Wertbemessung nach dem bis zum 31. Dezember 2006 geltenden
Recht zu verfassungswidrigen Besteuerungsergebnissen.
3. Auch die Erbschaftsbesteuerung der Erwerber von Anteilen an
Kapitalgesellschaften ist in nicht mit dem Gleichheitssatz
vereinbarer Weise ausgestaltet. Bei den zu schätzenden, nicht
börsennotierten Anteilen führt der vom Gesetzgeber angeordnete
Steuerbilanzwertansatz zu Steuerwerten, die im Regelfall
deutlich hinter der Teilbewertung zurückbleiben. Zwar sind nach
den gesetzlichen Vorgaben – anders als beim Betriebsvermögen –
die Ertragsaussichten des Unternehmens zu berücksichtigen.
Gleichwohl werden durch den vom Gesetzgeber angeordneten
Steuerbilanzwertansatz auch für die zu schätzenden Anteile an
Kapitalgesellschaften Steuerwerte erzielt, die im Durchschnitt
deutlich unter dem gemeinen Wert liegen. Darüber hinaus wirkt
sich die Übernahme der Steuerbilanzwerte – wiederum parallel zum
Betriebsvermögen – für die Anteile an Kapitalgesellschaften in
ganz unterschiedlicher Weise aus. Die Gesellschaften sind in
höchst unterschiedlichem Maße in der Lage, von den
Bilanzierungsmöglichkeiten Gebrauch zu machen. Das bewirkt
zwingend eine große Streubreite der Steuerwerte im Verhältnis zu
den Verkehrswerten. Darüber hinaus führt die für die zu
schätzenden Anteile an Kapitalgesellschaften angeordnete
Übernahme der Steuerbilanzwerte auch zu einer großen Kluft
gegenüber den übrigen Anteilen an Kapitalgesellschaften, deren
Bewertung anhand des Kurswerts beziehungsweise aus zeitnahen
Verkäufen abgeleitet erfolgt und darum im Regelfall zu deutlich
höheren Werten führt.
4. Schließlich verstößt auch die Bewertung von land- und
forstwirtschaftlichem Vermögen gegen die aus dem Gleichheitssatz
folgenden Anforderungen und führt deshalb zu
Besteuerungsergebnissen, die mit dem Gleichheitssatz nicht zu
vereinbaren sind. Für den Betriebsteil ist der Ertragswert als
Bewertungsziel vorgegeben. Damit wird bereits strukturell eine
Erfassung der im Vermögenszuwachs liegenden Steigerung der
Leistungsfähigkeit des Erben oder Beschenkten verfehlt, die sich
aufgrund der der Erbschaftsteuer zugrunde liegenden
gesetzgeberischen Konzeption gerade nach dem bei einer
Veräußerung unter objektivierten Bedingungen erzielbaren Preis,
nicht aber allein nach dem vermittels der Vermögenssubstanz
erzielbaren Ertrag bemisst. Die Bewertung von Wohnteil und
Betriebswohnungen orientiert sich am gemeinen Wert als
Wertkategorie. Insoweit gilt das zum Grundvermögen Gesagte
entsprechend. Die dort festgestellten verfassungsrechtlichen
Mängel führen auch hier schon auf der Bewertungsebene zu
Verstößen gegen den Gleichheitssatz.
III. Trotz Unvereinbarkeitserklärung mit dem Gleichheitssatz ist es im
vorliegenden Fall geboten, ausnahmsweise die weitere Anwendung des
geltenden Erbschaftsteuerrechts bis zur gesetzlichen Neuregelung
zuzulassen. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, eine Neuregelung
spätestens bis zum 31. Dezember 2008 zu treffen. Dabei ist er
verfassungsrechtlich gehalten, sich auf der Bewertungsebene
einheitlich am gemeinen Wert als dem maßgeblichen Bewertungsziel zu
orientieren. Dem Gesetzgeber ist es unbenommen, bei Vorliegen
ausreichender Gemeinwohlgründe in einem zweiten Schritt der
Bemessungsgrundlagenermittlung mittels Verschonungsregelungen den
Erwerb bestimmter Vermögensgegenstände zu begünstigen. Die
Begünstigungswirkungen müssen ausreichend zielgenau und innerhalb
des Begünstigtenkreises möglichst gleichmäßig eintreten.
Schließlich kann der Gesetzgeber auch mittels Differenzierungen
beim Steuersatz eine steuerliche Lenkung verfolgen.
Bundesverfassungsgericht - Pressestelle -
Pressemitteilung Nr. 11/2007 vom 31. Januar 2007
Zum Beschluss vom 7. November 2006 – 1 BvL 10/02 –
Die durch § 19 Abs. 1 ErbStG angeordnete Erhebung der Erbschaftsteuer
mit einheitlichen Steuersätzen auf den Wert des Erwerbs ist mit dem
Grundgesetz unvereinbar. Denn sie knüpft an Werte an, deren Ermittlung
bei wesentlichen Gruppen von Vermögensgegenständen (Betriebsvermögen,
Grundvermögen, Anteilen an Kapitalgesellschaften und land- und
forstwirtschaftlichen Betrieben) den Anforderungen des Gleichheitssatzes
nicht genügt. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, spätestens bis zum 31.
Dezember 2008 eine Neuregelung zu treffen. Bis zu der Neuregelung ist
das bisherige Recht weiter anwendbar. Dies entschied der Erste Senat des
Bundesverfassungsgerichts mit Beschluss vom 7. November 2006 (Tag der
Beschlussfassung des Senats, nicht der Abfassung der schriftlichen
Gründe).
Rechtlicher Hintergrund:
In § 19 Abs. 1 ErbStG ist unabhängig davon, aus welchen Vermögensarten
sich Nachlass oder Schenkung zusammensetzen, für alle steuerpflichtigen
Erwerbe einheitlich ein nach dem Wert des Erwerbs progressiver, in drei
nach Verwandtschaftsgraden abgestuften Steuerklassen unterteilter
Prozentsatz des Erwerbs als der Steuertarif bestimmt. Um mittels dieses
Tarifs zu einem in Geld zu entrichtenden Steuerbetrag zu gelangen,
müssen die dem steuerpflichtigen Erwerb unterfallenden
Vermögensgegenstände in einem Geldbetrag ausgewiesen werden. Bei nicht
als Geldsumme vorliegenden Steuerobjekten ist deshalb die Umrechnung in
einen Geldwert mittels einer Bewertungsmethode erforderlich, um eine
Bemessungsgrundlage für die Steuerschuld zu erhalten. Das
Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz bestimmt, dass sich die
Bewertung nach den Vorschriften des Bewertungsgesetzes (BewG) richtet.
Die Werte der einzelnen Vermögensgegenstände werden danach nicht
einheitlich, sondern auf unterschiedliche Art und Weise ermittelt. Das
Gesetz nennt als Regelfall den gemeinen Wert, also den Verkehrswert. Bei
der Bewertung inländischen Grundbesitzes kommt in wichtigen
Teilbereichen ein Ertragswertverfahren zur Ermittlung des
Grundbesitzwerts zur Anwendung. Der Wert des Betriebsteils von land- und
forstwirtschaftlichem Vermögen bemisst sich nach seinem Ertragswert.
Darüber hinaus bedient sich das Erbschaftsteuerrecht bei der Bewertung
von Betriebsvermögen des Steuerbilanzwerts.
Die Vorlage durch den Bundesfinanzhof betrifft die Frage, ob die
Anwendung des einheitlichen Steuertarifs gemäß § 19 Abs. 1 ErbStG auf
alle Erwerbsvorgänge wegen gleichheitswidriger Ausgestaltung der
Ermittlung der Steuerbemessungsgrundlage bei den unterschiedlichen
Vermögensarten verfassungswidrig ist.
Der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts liegen im Wesentlichen
folgende Erwägungen zugrunde:
I. Dem geltenden Erbschaftsteuerrecht liegt die Belastungsentscheidung
des Gesetzgebers zugrunde, den beim jeweiligen Empfänger mit dem
Erbfall oder der Schenkung anfallenden Vermögenszuwachs zu
besteuern. Diese Belastungsentscheidung hat mit Blick auf den
Gleichheitssatz Auswirkungen auf die Bewertung des anfallenden
Vermögens als den ersten Schritt bei der Ermittlung der
erbschaftsteuerlichen Bemessungsgrundlage. Die gleichmäßige
Belastung der Steuerpflichtigen hängt davon ab, dass für die
einzelnen zu einer Erbschaft gehörenden wirtschaftlichen Einheiten
und Wirtschaftsgüter Bemessungsgrundlagen gefunden werden, die
deren Werte in ihrer Relation realitätsgerecht abbilden. Eine
diesem Gebot genügende Erbschafts- und Schenkungsbesteuerung ist
nur dann gewährleistet, wenn sich das Gesetz auf der
Bewertungsebene einheitlich am gemeinen Wert als dem maßgeblichen
Bewertungsziel orientiert. Nur dieser bildet den durch den
Substanzerwerb vermittelten Zuwachs an Leistungsfähigkeit
zutreffend ab und ermöglicht eine gleichheitsgerechte Ausgestaltung
der Belastungsentscheidung. In der Wahl der Wertermittlungsmethode
ist der Gesetzgeber grundsätzlich frei. Die Bewertungsmethoden
müssen aber gewährleisten, dass alle Vermögensgegenstände in einem
Annäherungswert an den gemeinen Wert erfasst werden. Stellt der
Gesetzgeber schon bei der Bewertung auf andere Bewertungsmaßstäbe
ab, so löst er sich von seiner Belastungsgrundentscheidung und legt
damit strukturell Brüche und Wertungswidersprüche des gesamten
Regelungssystems an.
Bei den weiteren, sich an die Bewertung anschließenden Schritten
zur Bestimmung der Steuerbelastung darf der Gesetzgeber auf den so
ermittelten Wert der Bereicherung aufbauen und Lenkungszwecke, etwa
in Form zielgenauer und normenklarer steuerlicher
Verschonungsregelungen, ausgestalten. Die Bewertungsebene dagegen
ist aus verfassungsrechtlichen Gründen bereits vom Ansatz her
ungeeignet zur Verfolgung außerfiskalischer Förderungs- und
Lenkungsziele im Erbschaftsteuerrecht.
II. Das geltende Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht genügt diesen
verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht. Die erbschaftsteuerlichen
Bewertungsvorschriften führen bei wesentlichen Gruppen von
Vermögensgegenständen nicht zu dem gemeinen Wert angenäherten
Steuerwerten. Sie sind nicht ausreichend belastungsgleich und
folgerichtig ausgestaltet.
1. Beim Betriebsvermögen verhindert die weitgehende Übernahme der
Steuerbilanzwerte strukturell die Annäherung an den gemeinen
Wert. Dies führt zu Besteuerungsergebnissen, die mit dem
Gleichheitssatz nicht vereinbar sind:
Nach der gesetzlichen Regelung (§ 109 Abs. 1 BewG) werden die
zum Betriebsvermögen gehörenden Wirtschaftsgüter mit ihrem
Steuerbilanzwert angesetzt. Dieser stimmt aber nur in
Ausnahmefällen mit dem jeweiligen Verkehrswert des
Wirtschaftsguts (Teilwert) überein. So können durch
bilanzpolitische Maßnahmen wie zum Beispiel die Wahl von
degressiver oder linearer Abschreibung, Sofortabschreibungen
oder erhöhten Absetzungen und Sonderabschreibungen sowie auch
durch spätere Wertsteigerungen so genannte stille Reserven –
also vereinfacht ausgedrückt Differenzen zwischen dem
Verkehrswert eines Wirtschaftsguts und seinem niedrigeren
Buchwert – gebildet werden, die bei der Bewertung des
Betriebsvermögens nicht berücksichtigt werden. Zudem fließen
immaterielle Wirtschaftsgüter wie etwa der Geschäfts- oder
Firmenwert eines Unternehmens in die erbschaftsteuerliche
Bewertung nicht ein. Das hat regelmäßig zur Folge, dass der
Steuerwert gerade von ertragstarken Unternehmen weit hinter dem
gemeinen Wert zurückbleibt, weil der den Wert bestimmende Faktor
des Ertrags keine Berücksichtigung findet. Die Übernahme der
Steuerbilanzwerte bewirkt mithin für Betriebsvermögen mit hoher
Wahrscheinlichkeit – wenn auch nicht stets – einen deutlich
unter dem gemeinen Wert liegenden Steuerwert.
Darüber hinaus bewirkt die durch den Steuerbilanzwertansatz
erzielte Begünstigungswirkung keine zielgerichtete und
gleichmäßig wirkende Steuerentlastung, sondern tritt völlig
ungleichmäßig und damit willkürlich ein. Durch den
Steuerbilanzwertansatz ist die erbschaftsteuerliche
Bemessungsgrundlage davon abhängig, ob und in welchem Umfang der
Erblasser oder Schenker bilanzpolitische Maßnahmen ergriffen
hat. Die vielfältigen Möglichkeiten, über die Bilanzpolitik
Einfluss auf den erbschaftsteuerlichen Wertansatz zu nehmen,
eröffnen sich den Inhabern von Betriebsvermögen in stark
differierendem Ausmaß. Die Regelung kommt den Erwerbern von
Betriebsvermögen folglich in ganz unterschiedlichem Umfang
zugute.
Zudem fehlt es der Regelung mit Blick auf die vom Gesetzgeber
genannten Lenkungsziele an einer ausreichend zielgerichteten
Ausgestaltung. Mit der Übernahme der Steuerbilanzwerte wollte
der Gesetzgeber insbesondere mittelständische
Personenunternehmen von der Erbschaft- und Schenkungsteuer
entlasten. Tendenziell wird aber gerade der Übergang des
Betriebsvermögens von solchen Unternehmen gefördert, die der
Entlastung am wenigsten bedürfen. Denn begünstigt wird besonders
der Erwerb ertragstarker Unternehmen, bei denen Entnahmen zur
Begleichung der Erbschaftsteuerschuld am ehesten möglich sein
dürften. Das Fehlen eines Nachversteuerungsvorbehalts führt
zusätzlich dazu, dass auch Erwerber eines Betriebsvermögens in
den Genuss der Steuerbegünstigung kommen, die eine Fortführung
des Unternehmens nicht beabsichtigen.
2. Auch beim Grundvermögen genügt die erbschaftsteuerliche
Ermittlung der Bemessungsgrundlage schon auf der Bewertungsebene
nicht den Anforderungen des Gleichheitssatzes und führt deshalb
zu Besteuerungsergebnissen, die mit dem Gleichheitssatz nicht zu
vereinbaren sind.
a) Bei bebauten Grundstücken wird durch das gesetzlich
angeordnete (§ 146 Abs. 2 Satz 1 BewG) vereinfachte
Ertragswertverfahren mit einem starren
Einheitsvervielfältiger von 12,5 eine Bewertung mit dem
gemeinen Wert regelmäßig verfehlt. Mit dem vereinfachten
Ertragswertverfahren wollte der Gesetzgeber ausweislich der
Gesetzesmaterialien eine Bewertung mit durchschnittlich ca.
50 % des Kaufpreises – also des gemeinen Werts – erreichen
und durch diese niedrige Erbschaftsbesteuerung
Investitionsanreize für Grundvermögen schaffen sowie die Bau-
und Wohnungswirtschaft positiv beeinflussen. Dieser
gesetzgeberische Versuch einer steuerlichen Lenkung auf der
Bewertungsebene steht aber in unauflösbarem Widerspruch zu
den aus dem Gleichheitssatz folgenden verfassungsrechtlichen
Vorgaben. Die Bewertungsmethode führt im rechnerischen
Durchschnitt nicht nur zu Grundbesitzwerten, die etwa 50 %
des gemeinen Werts erreichen, so dass eine Annäherung an den
gemeinen Wert nicht erfolgt. Vielmehr differieren die
Einzelergebnisse auch in erheblicher Anzahl zwischen weniger
als 20 % und über 100 % des gemeinen Werts. Es ist
offensichtlich, dass ein einheitlicher Vervielfältiger für
bebaute Grundstücke ohne Berücksichtigung der Grundstücksart
und der Lage zu erheblichen Bewertungsunterschieden im
Verhältnis zum gemeinen Wert führen muss und der Bewertung
daher Zufälliges und Willkürliches anhaftet.
Keiner abschließenden Prüfung und Entscheidung bedarf deshalb
die Frage, ob der Gesetzgeber das auf der Bewertungsebene
verfolgte Ziel, den Erwerb bebauter Grundstücke nur auf der
Basis hälftiger Verkehrswerte mit Erbschaftsteuer zu
belasten, verfassungsrechtlich zulässig auf der zweiten Ebene
der Bemessungsgrundlagenermittlung – etwa im Wege einer
eindeutigen Verschonungsbestimmung, nach der bebaute
Grundstücke nur mit 50 % ihres gemeinen Werts zum Ansatz
kommen – hätte erreichen können. Mit den Belangen der Bau-
und insbesondere Wohnungswirtschaft hat der Gesetzgeber
gewichtige Gemeinwohlgründe angeführt, die grundsätzlich
geeignet erscheinen, Verschonungsnormen zu rechtfertigen, die
den Erwerb von Grundvermögen aufgrund Erbschaft oder
Schenkung steuerlich begünstigen. Die Frage, in welchem
Umfang eine auf sie gestützte Entlastung verfassungsrechtlich
zulässig wäre, kann aber hier offen bleiben.
b) Die in § 148 BewG – seiner bis zum 31. Dezember 2006
geltenden Fassung – geregelte Bewertung von Erbbaurechten und
mit Erbbaurechten belasteten Grundstücken ist ebenfalls mit
dem Erfordernis einer Bewertung, die die Wertverhältnisse in
ihrer Relation realitätsgerecht abbildet, nicht vereinbar.
Der Grundbesitzwert des belasteten Grundstücks wird
schematisch starr durch einheitliche Vervielfältigung des
nach den vertraglichen Bestimmungen im Besteuerungszeitpunkt
zu entrichtenden jährlichen Erbbauzinses mit dem Faktor 18,6
bestimmt, ohne dass die Restlaufzeit des Erbbaurechts oder
das Fehlen einer Heimfallentschädigung berücksichtigt oder
die Höhe des Erbbauzinses hinterfragt werden. Das führt dazu,
dass in einer Vielzahl von Fällen sowohl bei der Bewertung
des Grundstücks als auch der des Erbbaurechts teils zugunsten
des Erwerbers, teils zu seinen Lasten erheblich vom gemeinen
Wert abgewichen wird. Zu dieser Erkenntnis ist auch der
Gesetzgeber gelangt. Denn im Entwurf für das
Jahressteuergesetz 2007 wird ausgeführt, die jetzige Regelung
führe insbesondere bei kurzen Restlaufzeiten zu nicht
vertretbaren Bewertungsergebnissen.
c) Schließlich entspricht auch die Wertermittlung für unbebaute
Grundstücke (§ 145 BewG) der Anforderung, die
Wertverhältnisse in ihrer Relation realitätsgerecht
abzubilden, jedenfalls inzwischen nicht mehr. Grund hierfür
ist die gesetzlich angeordnete, bis Ende 2006 geltende
Festschreibung der Wertverhältnisse auf den 1. Januar 1996.
Die Preisentwicklung auf dem Grundstücksmarkt führt dazu,
dass die vergangenheitsbezogenen Werte sowohl die
Wertverhältnisse innerhalb der Gruppe der unbebauten
Grundstücke nicht mehr in ihrer Relation realitätsgerecht
abbilden als auch nicht mehr den Gegenwartswerten anderer
Vermögensgegenstände entsprechen. Damit führt die
Wertbemessung nach dem bis zum 31. Dezember 2006 geltenden
Recht zu verfassungswidrigen Besteuerungsergebnissen.
3. Auch die Erbschaftsbesteuerung der Erwerber von Anteilen an
Kapitalgesellschaften ist in nicht mit dem Gleichheitssatz
vereinbarer Weise ausgestaltet. Bei den zu schätzenden, nicht
börsennotierten Anteilen führt der vom Gesetzgeber angeordnete
Steuerbilanzwertansatz zu Steuerwerten, die im Regelfall
deutlich hinter der Teilbewertung zurückbleiben. Zwar sind nach
den gesetzlichen Vorgaben – anders als beim Betriebsvermögen –
die Ertragsaussichten des Unternehmens zu berücksichtigen.
Gleichwohl werden durch den vom Gesetzgeber angeordneten
Steuerbilanzwertansatz auch für die zu schätzenden Anteile an
Kapitalgesellschaften Steuerwerte erzielt, die im Durchschnitt
deutlich unter dem gemeinen Wert liegen. Darüber hinaus wirkt
sich die Übernahme der Steuerbilanzwerte – wiederum parallel zum
Betriebsvermögen – für die Anteile an Kapitalgesellschaften in
ganz unterschiedlicher Weise aus. Die Gesellschaften sind in
höchst unterschiedlichem Maße in der Lage, von den
Bilanzierungsmöglichkeiten Gebrauch zu machen. Das bewirkt
zwingend eine große Streubreite der Steuerwerte im Verhältnis zu
den Verkehrswerten. Darüber hinaus führt die für die zu
schätzenden Anteile an Kapitalgesellschaften angeordnete
Übernahme der Steuerbilanzwerte auch zu einer großen Kluft
gegenüber den übrigen Anteilen an Kapitalgesellschaften, deren
Bewertung anhand des Kurswerts beziehungsweise aus zeitnahen
Verkäufen abgeleitet erfolgt und darum im Regelfall zu deutlich
höheren Werten führt.
4. Schließlich verstößt auch die Bewertung von land- und
forstwirtschaftlichem Vermögen gegen die aus dem Gleichheitssatz
folgenden Anforderungen und führt deshalb zu
Besteuerungsergebnissen, die mit dem Gleichheitssatz nicht zu
vereinbaren sind. Für den Betriebsteil ist der Ertragswert als
Bewertungsziel vorgegeben. Damit wird bereits strukturell eine
Erfassung der im Vermögenszuwachs liegenden Steigerung der
Leistungsfähigkeit des Erben oder Beschenkten verfehlt, die sich
aufgrund der der Erbschaftsteuer zugrunde liegenden
gesetzgeberischen Konzeption gerade nach dem bei einer
Veräußerung unter objektivierten Bedingungen erzielbaren Preis,
nicht aber allein nach dem vermittels der Vermögenssubstanz
erzielbaren Ertrag bemisst. Die Bewertung von Wohnteil und
Betriebswohnungen orientiert sich am gemeinen Wert als
Wertkategorie. Insoweit gilt das zum Grundvermögen Gesagte
entsprechend. Die dort festgestellten verfassungsrechtlichen
Mängel führen auch hier schon auf der Bewertungsebene zu
Verstößen gegen den Gleichheitssatz.
III. Trotz Unvereinbarkeitserklärung mit dem Gleichheitssatz ist es im
vorliegenden Fall geboten, ausnahmsweise die weitere Anwendung des
geltenden Erbschaftsteuerrechts bis zur gesetzlichen Neuregelung
zuzulassen. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, eine Neuregelung
spätestens bis zum 31. Dezember 2008 zu treffen. Dabei ist er
verfassungsrechtlich gehalten, sich auf der Bewertungsebene
einheitlich am gemeinen Wert als dem maßgeblichen Bewertungsziel zu
orientieren. Dem Gesetzgeber ist es unbenommen, bei Vorliegen
ausreichender Gemeinwohlgründe in einem zweiten Schritt der
Bemessungsgrundlagenermittlung mittels Verschonungsregelungen den
Erwerb bestimmter Vermögensgegenstände zu begünstigen. Die
Begünstigungswirkungen müssen ausreichend zielgenau und innerhalb
des Begünstigtenkreises möglichst gleichmäßig eintreten.
Schließlich kann der Gesetzgeber auch mittels Differenzierungen
beim Steuersatz eine steuerliche Lenkung verfolgen.
Bundesverfassungsgericht - Pressestelle -
Pressemitteilung Nr. 11/2007 vom 31. Januar 2007
Zum Beschluss vom 7. November 2006 – 1 BvL 10/02 –
29 Januar 2007
BVerfG zur seelsorgerischen Schweigepflicht
Verfassungsbeschwerde eines Gefängnisseelsorgers
gegen Beugehaft erfolglos
In einem vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf anhängigen Strafverfahren
wird gegen mehrere Angeklagte verhandelt. Ihnen wird vorgeworfen, in
großem Umfang Betrugstaten zum Nachteil deutscher
Lebensversicherungsgesellschaften begangen zu haben, um hohe
Versicherungssummen zu erhalten und diese zur Finanzierung des
Terrornetzwerks Al Qaeda weiterzuleiten. In der Hauptverhandlung wurde
der Beschwerdeführer, ein – nicht zum Priester geweihter – katholischer
Gemeindereferent, als Zeuge vernommen. Dieser ist hauptamtlich als
Seelsorger in einer Haftanstalt tätig und hatte in dieser Funktion
Gespräche mit einem der Angeklagten geführt. Bei seiner Vernehmung vor
dem Oberlandesgericht lehnte er es unter Berufung auf sein
Zeugnisverweigerungsrecht als Seelsorger ab, die Frage zu beantworten,
ob er für den Angeklagten im Internet Adressen von Versicherungen
recherchiert habe. Daraufhin ordnete das Gericht gegen den Seelsorger
Beugehaft zur Erzwingung der Aussage an. Die Beschwerde des Seelsorgers
verwarf der Bundesgerichtshof als unbegründet. Die 1. Kammer des Zweiten
Senats des Bundesverfassungsgerichts hat die hiergegen gerichtete
Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen. Die Auferlegung
der Zeugnispflicht, deren Erfüllung die Anordnung der Beugehaft
erzwingen soll, sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:
§ 53 Abs. 1 Nr. 1 Strafprozessordnung gewährt Geistlichen ein
Zeugnisverweigerungsrecht hinsichtlich solcher Tatsachen, die ihnen in
ihrer Eigenschaft als Seelsorger anvertraut worden oder bekannt geworden
sind. Ob Geistliche im Sinne der Vorschrift auch Seelsorger sind, die
keine Priesterweihe erhalten haben, ist hier nicht generell zu
entscheiden. Jedenfalls bei einer hauptamtlichen Beauftragung nach den
durch das kirchliche Dienstrecht vorgesehenen Voraussetzungen – wie dies
vorliegend der Fall ist – ist der Anwendungsbereich der Vorschrift
eröffnet. Die Frage, ob einem Geistlichen Tatsachen in seiner
Eigenschaft als Seelsorger anvertraut oder bekannt geworden sind, ist
objektiv und in Zweifelsfällen unter Berücksichtigung der
Gewissensentscheidung des Geistlichen zu beurteilen. Die Einschätzung
der Fachgerichte, der Austausch über das Recherchieren von
Versicherungsadressen zähle objektiv nicht zur Seelsorge, ist
verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
Ein Zeugnisverweigerungsrecht des Beschwerdeführers lässt sich auch
nicht unmittelbar aus der Verfassung ableiten. Die aus der Beantwortung
der an den Beschwerdeführer gestellten Frage zu erwartenden Erkenntnisse
sind nicht dem Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzurechen, in den
einzugreifen dem Staat verwehrt ist. Die Frage, deren Beantwortung hier
in Rede steht, zielt nicht auf das Erlangen von Kenntnissen über ein
seelsorgerisches Gespräch, sondern über eine Tätigkeit – das
Recherchieren von Versicherungsadressen –, die der Beschwerdeführer nur
außerhalb eines solchen Gesprächs wahrgenommen haben könnte. Auch eine
Abwägung mit den Belangen der Berufsausübungsfreiheit begründet kein
Zeugnisverweigerungsrecht des Beschwerdeführers. Durch die Preisgabe von
Wissen über eine dem betreuten Gefangenen erwiesene Gefälligkeit kann
zwar das Vertrauensverhältnis zu diesem und zu anderen Gefangenen
beeinträchtigt werden – mit Folgewirkungen auf die Möglichkeit zur
Wahrnehmung der seelsorgerischen Aufgabe. Die Belange der
Strafrechtspflege überwiegen jedoch das Interesse des Beschwerdeführers
an der Vermeidung einer Beeinträchtigung der seelsorgerischen
Vertrauensstellung. Dass ein Gefangener von der vertraulichen Behandlung
einer an seinen Seelsorger gerichteten Bitte ausgeht, die ersichtlich
nicht den seelsorgerischen Bereich betrifft, sondern darauf abzielt,
Beweisgegenstände zu verfälschen, und für den Seelsorger sogar die
Gefahr eigener Strafbarkeit begründet, ist eher fern liegend. Bei der
Bewertung einer möglichen Vertrauenseinbuße ist auch zu berücksichtigen,
dass der Beschwerdeführer entsprechendes Wissen nicht eigenmächtig
offenbaren würde, sondern aufgrund der ihm obliegenden, mit
Zwangsmitteln durchsetzbaren Zeugenpflicht.
Bundesverfassungsgericht - Pressestelle -
Pressemitteilung Nr. 9/2007 vom 29. Januar 2007
Zum Beschluss vom 25. Januar 2007 – 2 BvR 26/07 –
gegen Beugehaft erfolglos
In einem vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf anhängigen Strafverfahren
wird gegen mehrere Angeklagte verhandelt. Ihnen wird vorgeworfen, in
großem Umfang Betrugstaten zum Nachteil deutscher
Lebensversicherungsgesellschaften begangen zu haben, um hohe
Versicherungssummen zu erhalten und diese zur Finanzierung des
Terrornetzwerks Al Qaeda weiterzuleiten. In der Hauptverhandlung wurde
der Beschwerdeführer, ein – nicht zum Priester geweihter – katholischer
Gemeindereferent, als Zeuge vernommen. Dieser ist hauptamtlich als
Seelsorger in einer Haftanstalt tätig und hatte in dieser Funktion
Gespräche mit einem der Angeklagten geführt. Bei seiner Vernehmung vor
dem Oberlandesgericht lehnte er es unter Berufung auf sein
Zeugnisverweigerungsrecht als Seelsorger ab, die Frage zu beantworten,
ob er für den Angeklagten im Internet Adressen von Versicherungen
recherchiert habe. Daraufhin ordnete das Gericht gegen den Seelsorger
Beugehaft zur Erzwingung der Aussage an. Die Beschwerde des Seelsorgers
verwarf der Bundesgerichtshof als unbegründet. Die 1. Kammer des Zweiten
Senats des Bundesverfassungsgerichts hat die hiergegen gerichtete
Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen. Die Auferlegung
der Zeugnispflicht, deren Erfüllung die Anordnung der Beugehaft
erzwingen soll, sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:
§ 53 Abs. 1 Nr. 1 Strafprozessordnung gewährt Geistlichen ein
Zeugnisverweigerungsrecht hinsichtlich solcher Tatsachen, die ihnen in
ihrer Eigenschaft als Seelsorger anvertraut worden oder bekannt geworden
sind. Ob Geistliche im Sinne der Vorschrift auch Seelsorger sind, die
keine Priesterweihe erhalten haben, ist hier nicht generell zu
entscheiden. Jedenfalls bei einer hauptamtlichen Beauftragung nach den
durch das kirchliche Dienstrecht vorgesehenen Voraussetzungen – wie dies
vorliegend der Fall ist – ist der Anwendungsbereich der Vorschrift
eröffnet. Die Frage, ob einem Geistlichen Tatsachen in seiner
Eigenschaft als Seelsorger anvertraut oder bekannt geworden sind, ist
objektiv und in Zweifelsfällen unter Berücksichtigung der
Gewissensentscheidung des Geistlichen zu beurteilen. Die Einschätzung
der Fachgerichte, der Austausch über das Recherchieren von
Versicherungsadressen zähle objektiv nicht zur Seelsorge, ist
verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
Ein Zeugnisverweigerungsrecht des Beschwerdeführers lässt sich auch
nicht unmittelbar aus der Verfassung ableiten. Die aus der Beantwortung
der an den Beschwerdeführer gestellten Frage zu erwartenden Erkenntnisse
sind nicht dem Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzurechen, in den
einzugreifen dem Staat verwehrt ist. Die Frage, deren Beantwortung hier
in Rede steht, zielt nicht auf das Erlangen von Kenntnissen über ein
seelsorgerisches Gespräch, sondern über eine Tätigkeit – das
Recherchieren von Versicherungsadressen –, die der Beschwerdeführer nur
außerhalb eines solchen Gesprächs wahrgenommen haben könnte. Auch eine
Abwägung mit den Belangen der Berufsausübungsfreiheit begründet kein
Zeugnisverweigerungsrecht des Beschwerdeführers. Durch die Preisgabe von
Wissen über eine dem betreuten Gefangenen erwiesene Gefälligkeit kann
zwar das Vertrauensverhältnis zu diesem und zu anderen Gefangenen
beeinträchtigt werden – mit Folgewirkungen auf die Möglichkeit zur
Wahrnehmung der seelsorgerischen Aufgabe. Die Belange der
Strafrechtspflege überwiegen jedoch das Interesse des Beschwerdeführers
an der Vermeidung einer Beeinträchtigung der seelsorgerischen
Vertrauensstellung. Dass ein Gefangener von der vertraulichen Behandlung
einer an seinen Seelsorger gerichteten Bitte ausgeht, die ersichtlich
nicht den seelsorgerischen Bereich betrifft, sondern darauf abzielt,
Beweisgegenstände zu verfälschen, und für den Seelsorger sogar die
Gefahr eigener Strafbarkeit begründet, ist eher fern liegend. Bei der
Bewertung einer möglichen Vertrauenseinbuße ist auch zu berücksichtigen,
dass der Beschwerdeführer entsprechendes Wissen nicht eigenmächtig
offenbaren würde, sondern aufgrund der ihm obliegenden, mit
Zwangsmitteln durchsetzbaren Zeugenpflicht.
Bundesverfassungsgericht - Pressestelle -
Pressemitteilung Nr. 9/2007 vom 29. Januar 2007
Zum Beschluss vom 25. Januar 2007 – 2 BvR 26/07 –
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