19 Dezember 2001

BVerG: Blockadeaktionen und Demonstrationsrecht

Zu Blockadeaktionen durch Errichtung physischer Barrieren
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1. Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hat sich erneut mit
der Strafbarkeit wegen Nötigung auf Grund der Teilnahme an
Blockadeaktionen befasst. Dem Beschluss vom 24. Oktober 2001 liegt zum
einen eine im Jahr 1986 erfolgte Blockade des Baugeländes der
Wiederaufarbeitungsanlage (WAA) Wackersdorf zu Grunde, bei der die
Teilnehmer sich mit Metallketten untereinander und an den Bauzaun
angekettet hatten. Zum anderen geht es um eine mehrtägige Kfz-Blockade
der BAB 5 und des Grenzübergangs Weil am Rhein aus dem Jahre 1990,
deren Teilnehmer die Einreise in die Schweiz und ein Gespräch mit dem
UN-Flüchtlingskommissar erzwingen wollten.

2. Der Erste Senat hat die Verfassungsbeschwerden gegen die
Verurteilungen wegen Nötigung zurückgewiesen. Zur Begründung seines
Beschlusses führt der Senat im Wesentlichen aus:

a) Das Gebot der Bestimmtheit der Strafandrohung (Art. 103 Abs. 2 GG)
ist nicht verletzt, wenn die Strafgerichte das Tatbestandsmerkmal der
Gewalt in § 240 StGB auf solche Blockadeaktionen anwenden, bei denen
die Teilnehmer über die durch ihre körperliche Anwesenheit verursachte
psychische Einwirkung hinaus eine physische Barriere errichten. Dies
war vorliegend der Fall.

b) Die Blockadeaktionen in Wackersdorf waren rechtlich als
Versammlungen i.S.d. Art. 8 Abs. 1 GG zu bewerten. Abs. 2 sieht
allerdings ausdrücklich vor, dass Versammlungen unter freiem Himmel
durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden dürfen.
Aufgrund des Versammlungsgesetzes war die Versammlung rechtswidrig, so
dass die Polizei die angebrachten Ketten zerschneiden und die
Demonstranten aus der Zufahrt entfernen durfte. Eine andere Frage ist,
ob an das Verhalten der Beschwerdeführerinnen auch eine strafrechtliche
Sanktion nach Maßgabe des § 240 StGB geknüpft werden durfte. Bei der
Anwendung der Verwerflichkeitsklausel dieser Strafnorm ist der
wertsetzenden Bedeutung des Art. 8 GG ebenso Rechnung zu tragen wie dem
in Art. 2 Abs. 1 GG verankerten Gebot schuldangemessenen Strafens. Ob
eine Handlung als verwerfliche Nötigung zu bewerten ist, lässt sich
ohne Blick auf den mit ihr verfolgten Zweck nicht feststellen. Erfolgt
das Verhalten - wie im Fall der Beschwerdeführerinnen - im
Schutzbereich des Art. 8 GG, muss die Bestimmung des relevanten Zwecks
von der wertsetzenden Bedeutung dieses Grundrechts geleitet sein. Aus
dem Blickwinkel des Art. 8 GG ist hierbei der Kommunikationszweck der
Versammlung maßgebend. Insofern kommt es vorliegend zunächst nicht auf
die mit der demonstrativen Blockade bewirkte Verhinderung der Zufahrt
an. Die Beschwerdeführerinnen wollten mit ihrer Aktion vielmehr zu
einer die Öffentlichkeit angehenden, kontrovers diskutierten Frage -
der friedlichen Nutzung der Atomkraft - Stellung beziehen. Da vom
Selbstbestimmungsrecht der Grundrechtsträger jedoch nicht die
Entscheidung umfasst ist, welche Beeinträchtigungen die Träger der
kollidierenden Rechtsgüter hinzunehmen haben, werden die näheren
Umstände der Demonstration für die Verwerflichkeitsprüfung bedeutsam.

Wichtige Elemente der hiernach gebotenen Abwägung zwischen der
Versammlungsfreiheit und den Rechten Dritter sind unter anderem die
Dauer und Intensität der Aktion, deren vorherige Bekanntgabe,
Ausweichmöglichkeiten über andere Zufahrten, die Dringlichkeit des
blockierten Transports, aber auch der Sachbezug zwischen den in ihrer
Fortbewegungsfreiheit beeinträchtigten Personen und dem
Protestgegenstand.

Der Senat stellt fest, dass die mit den Verfassungsbeschwerden
angegriffenen Urteile diesen Maßstäben nicht gerecht werden. Die
Gerichte haben Art. 8 GG im Zuge der strafrechtlichen
Verwerflichkeitsprüfung zu Unrecht unbeachtet gelassen. Dieser Fehler
hat sich jedoch nicht auf das Ergebnis ausgewirkt. Es erscheint nämlich
ausgeschlossen, dass die Strafgerichte bei hinreichender
Berücksichtigung des Grundrechts eine für die Beschwerdeführerinnen
günstigere Entscheidung getroffen hätten, wie der Senat ausführt.

c) Demgegenüber erfolgte die Blockade des Grenzübergangs an der
Autobahn nicht im Rahmen einer Versammlung nach Art. 8 GG, da diese
Aktion nicht der Kundgebung einer Meinung oder der Erregung
öffentlicher Aufmerksamkeit für ein kommunikatives Anliegen diente. Die
Blockadeaktion zielte nach den Feststellungen der Gerichte vielmehr
darauf, ein Gespräch mit dem Hohen Flüchtlingskommissar in Genf zu
erreichen und dafür die Einreise zu erzwingen. Art. 8 GG schützt die
Teilhabe an der Meinungsbildung, nicht aber die zwangsweise oder sonst
wie selbsthilfeähnliche Durchsetzung eigener Forderungen.

3. Dem Senatsbeschluss sind zwei Sondervoten zu den Verurteilungen aus
Anlass der Blockade in Wackersdorf beigefügt. Die Richter Jaeger und
Bryde verneinen das Vorliegen des Tatbestandsmerkmals der Gewalt aus
§ 240 StGB, die Richterin Haas legt dar, dass die Blockade ihrer
Auffassung nach gar nicht vom Schutzbereich der Versammlungsfreiheit
erfasst war.

Beschluss vom 24. Oktober 2001 - Az. 1 BvR 1190/90 u.a. -

Karlsruhe, den 19. Dezember 2001

22 November 2001

BVerfG: NATO-Konzept 1999

Antrag der PDS in Sachen NATO-Konzept zurückgewiesen - Urteil vom 22. November 2001

Durch Urteil vom heutigen Tage hat der Zweite Senat desBundesverfassungsgerichts aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 19. Juni 2001 den Antrag der PDS-Bundestagsfraktion im Organstreitverfahren zurückgewiesen.
Der Hintergrund des Verfahrens ist in der Pressemitteilung Nr. 58/2001vom 5. Juni 2001 dargestellt, die auf der Homepage des Bundesverfassungsgerichts veröffentlicht ist.

Zur Begründung seines Urteils stellt das Bundesverfassungsgericht im Wesentlichen fest:

Der zulässige Antrag ist unbegründet. Die Bundesregierung hat nicht gegen Art. 59 Abs. 2 Satz 1, 24 Abs. 2 GG verstoßen, indem sie dem neuen Strategischen Konzept der NATO von 1999 (im folgenden: Konzept 1999) zugestimmt hat, ohne zuvor die Zustimmung des Bundestages einzuholen.
Das Konzept 1999 stellt keine Änderung des NATO-Vertrages dar (1.) .
Für die Fortentwicklung des Vertrages unterhalb der Schwelle der Vertragsänderung ist eine Zustimmung des Bundestages nicht erforderlich(2.).
Durch die Zustimmung zum Konzept 1999 sind auch weder die Grenzen des Zustimmungsgesetzes zum NATO-Vertrag noch die Zweckbestimmung der NATO als Bündnis der Friedenswahrung überschritten (3.).

1. Der Zweite Senat führt aus, dass ein Wille der Beteiligten, den NATO-Vertrag zu ändern, nicht zu erkennen ist. So ist schon das Fehlen einer Ratifikationsklausel als ein Indiz gegen den Vertragscharakter zuwerten. Zwar wollten alle Beteiligten die Zielsetzung der NATO insbesondere um die sogenannten Krisenreaktionseinsätze über Art. 5NATO-Vertrag hinaus erweitern. Auch aus diesem hochpolitischen Gegenstand kann jedoch nicht auf einen Vertrag geschlossen werden.
Insbesondere der Wortlaut der Vereinbarung spricht gegen die Vertragsnatur, denn der Text des Konzepts 1999 besteht weitgehend aus Lagebeschreibungen und -einschätzungen sowie allgemein gehaltenen Absichtserklärungen. Auch eine konkludente Vertragsänderung liegt nicht vor.
Fehlt es an Anhaltspunkten für einen subjektiven Vertragsänderungswillen bei den Beteiligten, muss ein deutlicher Widerspruch zu dem bereits bestehenden Vertrag vorliegen, um Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG auszulösen. Das ist hier nicht der Fall.
Insbesondere die Erweiterung auf Krisenreaktionseinsätze ist noch eine Fortentwicklung des bestehenden Vertrages. Das Konzept 1999 lässt die kollektive Verteidigungsfunktion des Bündnisses unberührt und schreibt den in der Präambel niedergelegten Sicherheits- und Friedensauftrag in Hinblick auf eine tiefgreifend neue Sicherheitslage fort. Das grundlegende Ziel bleibt die Abwehr und Abschreckung von Aggressionen dritter Staaten. Zwar enthält das Konzept 1999 die im Ursprungsvertrag nicht implizierte Erweiterung auf Krisenreaktionseinsätze außerhalb des Bündnisgebiets. Hier ist das Konzept 1999 gegenüber dem NATO-Konzeptvon 1991 wesentlich verändert worden. Die im NATO-Konzept 1991 noch dominierenden Absichtserklärungen als Ausdruck des politischen Willens der Mitglieder zur Fortentwicklung des Vertrages weichen einer nunmehr konkretisierten Planung.

Der Tatbestand der Krisenreaktionseinsätze verallgemeinert die seit 1994 entwickelten Verfahren innerhalb der Bündnispartner. Dennoch ist eine objektive Vertragsänderung nicht festzustellen, es handelt sich um eine Fortentwicklung und Konkretisierung der offen formulierten Bestimmungen des NATO-Vertrages:
Der Nordatlantikrat erklärt ausdrücklich, Zweck und Wesen desBündnisses blieben unverändert. Zudem sind die gegenseitigen Pflichten bei den sogenannten Krisenreaktionseinsätzen geringer als im Verteidigungsfall; die Mitglieder koordinieren ihre Maßnahmen von Fall zu Fall nach Konsultationen; eine Pflicht zur kollektiven Reaktion besteht nicht und das Primat der Politik sowie das Procedere gelten unverändert.
Insbesondere ist festgelegt, dass die Mitgliedstaaten dabei jeweils auf der Grundlage ihres Verfassungsrechts handeln, weshalb die Bundesregierung bei deutscher Beteiligung an Krisenreaktionseinsätzen die vorherige Zustimmung des Parlaments benötigt. Auch die Ausweitung des Sicherheitsbegriffs auf neue Bedrohungen für die Stabilität im euro-atlantischen Raum und globale Risiken wahrt den Abstand zu der Aufgabe der kollektiven Verteidigung

2. Für eine derartige Fortentwicklung, die keine Vertragsveränderungdarstellt, ist eine Zustimmung des Bundestages nicht erforderlich. Art.59 Abs. 2 Satz 1 GG kann nicht erweiternd ausgelegt werden.
Die Konkretisierung des Vertrages und seine Ausfüllung ist nach dem Grundgesetz Aufgabe der Regierung, die im Bereich der Außenpolitik einen weiten Spielraum hat. Zwar bleibt sie der parlamentarischen Kontrolle unterworfen und an das GG gebunden. Eine Zustimmungspflicht durch das Parlament bei nichtförmlicher Vertragsfortentwicklung würde jedoch nicht nur Rechtsunsicherheit hervorrufen, sondern auch die Handlungsfähigkeit der Regierung ungerechtfertigt beschneiden.
Der Gefahr einer allmählichen Inhaltsveränderung des Vertrages durch derartige nichtförmliche Weiterentwicklungen ist das Parlament dennoch nicht schutzlos ausgeliefert.
Nach dem Grundgesetz kontrolliert das Parlament die Regierung, diese muss nach Art. 43 Abs. 1 GG Rede und Antwort stehen.
In Hinblick auf das Budgetrecht des Parlaments und den Parlamentsvorbehalt für Einsätze der Bundeswehr wird sie für die Fortentwicklung der NATO werben müssen.

3. Das ursprüngliche Gesetz zum NATO-Vertrag ist durch die Zustimmungzum Konzept 1999 nicht überschritten; Art. 24 Abs. 2 GG ist nicht verletzt. Durch die Zustimmung zum NATO-Vertrag ist die Bundesregierung auch zu seiner Fortentwicklung ermächtigt worden. In Rechte des Bundestages greift die Bundesregierung erst ein, wenn sie sich außerhalb dieser ursprünglichen Ermächtigung bewegt. Das ist weder hinsichtlich des Einsatzes von Atomwaffen noch hinsichtlich der Regelungen über Krisenreaktionseinsätze der Fall.

Der NATO-Vertrag strebt eine umfassende regionale Friedenssicherung in Europa und Nordamerika an. Ändert sich das Erscheinungsbild der Bedrohungen, lässt er Spielraum für eine Fortentwicklung, solange nicht grundlegend neue Einsätze vereinbart werden.

Das Konzept 1999 hat die Bindung an die Ziele der NATO, aber auch an die durch die UN-Charta normierten Pflichten nicht aufgegeben, vielmehr ausdrücklich bekräftigt. Die vorgesehene Aufnahme neuer Mitglieder in Europa stellt eine Fortsetzung der Zusammenarbeit mit den Staaten Osteuropas zur Friedenssicherung seit 1994 dar. Die Zweckbestimmung der Friedenswahrung ist durch das Konzept 1999 nicht geändert worden.

Zwar ist im GG nicht ausdrücklich definiert, was unter Friedenswahrung zu verstehen ist. Aus Art. 24 Abs.2 GG folgt aber, dass die kollektive Sicherheit eine entscheidende Voraussetzung dafür ist. Ebenso lässt sich Art. 24 Abs. 2 GG entnehmen, dass Deutschland nicht an einem Bündnis teilnehmen darf, welches nicht dem Frieden dient.
Die Entwicklung eines bereits bestehenden Bündnissystems weg von der Friedenssicherung wäre von dem ursprünglichen Zustimmungsgesetz nicht mehr gedeckt. Das Konzept 1999 enthält aber keine Anhaltspunkte für eine derartige Entwicklung. Die Einsätze sollen nach wie vor ausschließlich in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht erfolgen.
Auf die Art. 42, 48, 53 der UN-Charta wird ausdrücklich weiter hingewiesen. Auch die Konkretisierung der Einsatzvoraussetzungen in und außerhalb des Bündnisgebietes lassen keine Friedensstörungsabsicht erkennen.

Urteil vom 22. November 2001 - Az. 2 BvE 6/99 -Karlsruhe, den 22. November 2001

18 Mai 2001

BGH: ambiente.de und DENIC

Der unter anderem für das Wettbewerbs- und Markenrecht zuständige I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat gestern in zwei Grundsatzurteilen Streitfragen über die Vergabe und Verwendung von Domain-Namen entschieden.
I.
Maßstäbe für Prüfungspflicht der DENIC festgelegt
Entscheidung im Streit um "ambiente.de"

In dem ersten Fall hatte sich die Messe Frankfurt AG, die unter der Bezeichnung "Ambiente" eine Messe für Tischkultur, Küche, Wohn- und Lichtkonzepte sowie Geschenkideen veranstaltet und Inhaberin der Marke "Messe Frankfurt Ambiente" ist, dagegen gewandt, daß sich ein Privatmann den Domain-Namen "ambiente.de" hatte registrieren lassen. Dieser Dritte hatte sich zwar bereit erklärt, diesen Domain-Namen nicht mehr zu benutzen, war aber zu einer Löschung der Registrierung nicht bereit. Darauf verklagte die Messe Frankfurt die DENIC, die Genossenschaft von Internet-Providern, von der die mit ".de" endenden Domain-Namen vergeben werden. Ziel der Klage war es, die Registrierung von "ambiente.de" aufzuheben und diese Bezeichnung für die Klägerin zu registrieren. Zwar sei nichts dagegen einzuwenden, daß DENIC den Domain-Namen "ambiente.de" registriert habe. Nachdem die DENIC inzwischen aber von den bestehenden älteren Rechten an der Bezeichnung "ambiente" wisse, sei sie verpflichtet, die ursprüngliche Registrierung aufzuheben und den Domain-Namen nunmehr für die Klägerin zu registrieren.
Das Landgericht Frankfurt a.M. hatte der Klage stattgegeben. Das Oberlandesgericht Frankfurt hatte dieses Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Der Bundesgerichtshof hat diese Entscheidung bestätigt und klargestellt, daß die DENIC, die die Aufgabe der Registrierung und Verwaltung von vielen Millionen Domain-Namen mit verhältnismäßig geringem Aufwand erledigt, grundsätzlich keine Verpflichtung trifft, bei der Registrierung zu prüfen, ob an der einzutragenden Bezeichnung Rechte Dritter bestehen. Aber auch wenn sie auf ein angeblich besseres Recht hingewiesen wird, kann die DENIC – so der BGH – den Anspruchsteller im allgemeinen auf den Inhaber des beanstandeten Domain-Namens verweisen, mit dem – notfalls gerichtlich – zu klären ist, wer die besseren Rechte an der Bezeichnung hat. Nur wenn der Rechtsverstoß offenkundig und für die DENIC ohne weiteres festzustellen sei, müsse sie die beanstandete Registrierung ohne weiteres aufheben. In anderen Fällen brauche sie erst tätig zu werden, wenn ein rechtskräftiges Urteil oder eine entsprechende Vereinbarung mit dem Inhaber der Registrierung die bessere Rechtsposition des Anspruchstellers bestätigt.
Im konkreten Fall war zwischen dem Inhaber der Registrierung "ambiente.de" und der Messe Frankfurt AG streitig, ob aufgrund der Erklärung des Inhabers von "ambiente.de", diesen Namen nicht mehr zu benutzen, ein entsprechender Vertrag zustande gekommen war. Ob der Messe Frankfurt AG bessere Rechte zustanden, war – so der BGH – für die DENIC nicht offenkundig.
Urteil des Bundesgerichtshofs vom 17. Mai 2001 – I ZR 251/99 –
II.
Gattungsbezeichnungen als Domain-Namen zugelassen
Entscheidung im Streit um "Mitwohnzentrale.de"
Im zweiten Fall hatte sich der beklagte Verband, in dem unter anderem 25 deutsche Mitwohnzentralen organisiert sind, den Domain-Namen "Mitwohnzentrale.de" registrieren lassen. Auf der Homepage sind die Mitglieder nach Städten geordnet mit Telefon- und Faxnummern sowie mit E-Mail-Adressen aufgeführt. Dagegen wandte sich ein konkurrierender Verband, in dem 40 Mitwohnzentralen organisiert sind und der im Internet unter "HomeCompany.de" auftritt. Gattungsbegriffe und Branchenbezeichnungen – so dieser klagende Verband – seien im Internet freizuhalten. Der Begriff "Mitwohnzentrale" habe sich als übliche Branchenbezeichnung für die Kurzzeitvermietung von Wohnraum durchgesetzt und dürfe nicht von einem Wettbewerber monopolisiert werden. Außerdem sei die Bezeichnung "Mitwohnzentrale.de" irreführend, weil sie den Eindruck erwecke, man finde dort das Angebot sämtlicher Mitwohnzentralen.
Vor dem Landgericht und Oberlandesgericht Hamburg hatte der Kläger Erfolg. Der beklagte Verband wurde verurteilt, die Verwendung des Domain-Namens "Mitwohnzentrale.de" ohne unterscheidende Zusätze zu unterlassen. Das OLG Hamburg stellte sich auf den Standpunkt, die Verwendung von Gattungsbezeichnungen als Domain-Namen sei unlauter und daher generell nach § 1 UWG verboten. Der Beklagte fange mit seinem Domain-Namen den Teil der Interessenten ab, die durch Eingabe eines Gattungsbegriffs als Internet-Adresse nach Angeboten suchten. Diese Kunden gelangten zufällig auf die Homepage der Beklagten mit der Folge, daß nach anderen Wettbewerbern aus Bequemlichkeit nicht mehr gesucht werde und ein Leistungsvergleich unterbleibe. Dies führe zu einer erheblichen Kanalisierung der Kundenströme in Richtung auf die Homepage der Beklagten und könne eine nachhaltige Beeinträchtigung des Wettbewerbs zur Folge haben.
Der Bundesgerichtshof ist dem nicht gefolgt. Vielmehr hat er mit seiner Entscheidung die verbreitete Übung, Gattungsbegriffe als Internet-Adresse zu verwenden, als rechtmäßig anerkannt. Das beanstandete Verhalten paßt – so der BGH – in keine der Fallgruppen, die die Rechtsprechung zur Konkretisierung des Verbots von "Handlungen, die gegen die guten Sitten verstoßen" (§ 1 UWG) entwickelt hat, und gibt auch keinen Anlaß zur Bildung einer neuen Fallgruppe. Allein mit dem Argument einer Kanalisierung der Kundenströme lasse sich eine Wettbewerbswidrigkeit nicht begründen. Ein Abfangen von Kunden sei nur dann unlauter, wenn sich der Werbende gewissermaßen zwischen den Mitbewerber und dessen Kunden stellt, um diesem eine Änderung des Kaufentschlusses aufzudrängen. So verhalte es sich hier aber nicht. Denn mit der Verwendung des Gattungsbegriffs habe der Beklagte nur einen sich bietenden Vorteil genutzt, ohne dabei in unlauterer Weise auf bereits dem Mitbewerber zuzurechnende Kunden einzuwirken. Das vom OLG Hamburg herangezogene Freihaltebedürfnis – Gattungsbegriffe dürfen nicht als Marke eingetragen werden – sei hier nicht berührt. Denn die Internetadresse des Beklagten führe anders als die Marke nicht zu einem Ausschließlichkeitsrecht. Der Kläger und andere Wettbewerber seien nicht gehindert, in ihrer Werbung oder in ihrem Namen den Begriff "Mitwohnzentrale" zu verwenden. Schließlich liege – abgesehen von einer möglichen Irreführung – auch keine unsachliche Beeinflussung der Internet-Nutzer vor. Ein Verbraucher, der den Einsatz von Suchmaschinen als lästig empfinde und statt dessen direkt einen Gattungsbegriff als Internet-Adresse eingebe, sei sich im allgemeinen über die Nachteile dieser Suchmethode, insbesondere über die Zufälligkeit des gefundenen Ergebnisses, im klaren.
Der Bundesgerichtshof hat jedoch klargestellt, daß die Zulässigkeit der Verwendung von beschreibenden Begriffen als Domain-Namen auch Grenzen habe. Zum einen könne sie mißbräuchlich sein, wenn der Verwender nicht nur die Gattungsbezeichnung unter einer Top-Level-Domain (hier ".de") nutzt, sondern gleichzeitig andere Schreibweisen oder die Verwendung derselben Bezeichnung unter anderen Top-Level-Domains blockiert. Zum anderen dürfe die Verwendung von Gattungsbezeichnungen nicht irreführend sein. Dieser zweite Gesichtspunkt führte hier dazu, daß die Sache an das Oberlandesgericht zurückverwiesen wurde. Der Kläger hatte nämlich auch beanstandet, daß die Verbraucher durch die Internet-Adresse des Beklagten irregeführt würden, weil der Eindruck entstehe, es handele sich beim Beklagten um den einzigen oder doch um den maßgeblichen Verband von Mitwohnzentralen. Das OLG muß nun diesem Vorwurf der unzutreffenden Alleinstellungbehauptung nachgehen. Sollte es eine Irreführung bejahen, wäre dem Beklagten zum Beispiel aufzugeben, "Mitwohnzentrale.de" nur zu benutzen, wenn auf der Homepage darauf hingewiesen wird, daß es noch andere Verbände von Mitwohnzentralen gibt.
Urteil des Bundesgerichtshofs vom 17. Mai 2001 – I ZR 216/99 –
Karlsruhe, den 18. Mai 2001
Pressestelle des Bundesgerichtshofs