28 März 2008

BVerfG: Anspruchsgrenzen Datenauskunft

Grenzen des Anspruchs auf Auskunft über eine behördliche Datensammlung

In der Informationszentrale für steuerliche Auslandsbeziehungen sammelt
das Bundeszentralamt für Steuern - unter anderem auf der Grundlage des
§ 88a Abgabenordnung - steuerlich bedeutsame Angaben über
steuerrechtlich relevante Beziehungen von im Inland ansässigen Firmen
und Personen zum Ausland und umgekehrt. Die Datensammlung dient der
zentralen Erfassung des behördlichen Wissens, um insbesondere den
Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten zu verhindern, durch
den Steuern rechtswidrig verkürzt werden sollen. Insbesondere sammelt
das Bundeszentralamt Hinweise darauf, ob es sich bei ausländischen
Gesellschaften um sogenannte Domizilgesellschaften handelt, die im
Ausland ihren Sitz haben, ohne dort geschäftliche oder kommerzielle
Tätigkeiten auszuüben. Solche Gesellschaften können dazu genutzt
werden, Steuern rechtswidrig zu verkürzen, indem beispielsweise
Geschäfte mit einer solchen Gesellschaft vorgetäuscht werden, um
Zahlungen an die Gesellschaft als Betriebsausgaben steuerlich absetzen
zu können, die tatsächlich an den Steuerpflichtigen zurückgeleitet
werden. Der Datenbestand des Bundesamtes setzt sich zusammen aus
Meldungen des Steuerpflichtigen selbst, aus Mitteilungen deutscher und
ausländischer Finanzbehörden und aus Informationen, die aus allgemein
zugänglichen Quellen (z.B. Handelsregister, Nachschlagewerke) entnommen
werden. Bei Bedarf werden die Daten an inländische Finanzbehörden
übermittelt.

Der Beschwerdeführer verlangte vom Bundesamt Auskunft über die ihn
betreffenden Daten. Dem Bundesamt lagen dreizehn umfangreiche
Aktenordner vor, in denen der Name des Beschwerdeführers im
Zusammenhang mit mittelbaren und unmittelbaren Beziehungen zu
ausländischen Gesellschaften vorkam. Der Beschwerdeführer stützte
seinen Anspruch auf § 19 Bundesdatenschutzgesetz, wonach dem
Betroffenen grundsätzlich Auskunft über die zu seiner Person
gespeicherten Daten zu erteilen ist. Das Bundesamt lehnte die Auskunft
unter Hinweis darauf ab, dass die gesammelten Informationen durch eine
Auskunftserteilung wertlos würden. Der Betroffene könnte sich etwa aus
Domizilgesellschaften zurückziehen, die bereits erfasst seien oder in
Domizilgesellschaften tätig werden, die dem Amt noch nicht bekannt
seien. Durch die Auskunftserteilung werde die ordnungsgemäße Erfüllung
der Aufgaben des Amtes gefährdet. Die gegen die Ablehnung gerichtete
Klage des Beschwerdeführers blieb vor den Finanzgerichten erfolglos.
Nach Auffassung der Gerichte ist der Auskunftsanspruch nach § 19 Abs. 4
Nr. 1 Bundesdatenschutzgesetz ausgeschlossen. Danach unterbleibt die
Auskunftserteilung, soweit die Auskunft die ordnungsgemäße Erfüllung
der in der Zuständigkeit der verantwortlichen Stelle liegenden Aufgaben
gefährden würde.

Auch die Verfassungsbeschwerde hatte keinen Erfolg. Dies entschied der
Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:

I. Das Interesse des Beschwerdeführers, von den ihn betreffenden
informationsbezogenen Maßnahmen des Staates Kenntnis zu erlangen,
wird durch sein Grundrecht auf Schutz der Persönlichkeit in der
Ausprägung als Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung
geschützt. Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung
gewährt allerdings keinen Anspruch auf eine bestimmte Art der
Informationserlangung. Bei der Ausgestaltung des Zugangs zu
Informationen hat der Gesetzgeber zu berücksichtigen, welche
Bedeutung ihm für den Grundrechtsschutz des Betroffenen zukommt.
Hierfür sind insbesondere die Art und die Eingriffsintensität der
jeweiligen informationsbezogenen Maßnahme von Bedeutung, über die
oder über deren Ergebnisse der Betroffene informiert werden will.

Gegenüber einer Datensammlung wie der hier umstrittenen ist ein
Informationsrecht des Betroffenen auf eigene Initiative ein
zentraler Baustein einer staatlichen Informationsordnung, die den
grundrechtlichen Vorgaben genügt. Der Gesetzgeber ist folglich
verpflichtet, ein solches Informationsrecht zu schaffen. Für ein
behördliches Ermessen bei der Entscheidung über die
Auskunftserteilung ist in derartigen Fällen verfassungsrechtlich
kein Raum. Soweit gegenläufige Geheimhaltungsinteressen des Staates
oder Dritter der Information entgegenstehen können, ist es Aufgabe
des Gesetzgebers, geeignete Ausschlusstatbestände zu schaffen, die
den einander gegenüberstehenden Interessen Rechnung tragen.

Diesen Anforderungen trägt § 19 Bundesdatenschutzgesetz in
verfassungsmäßiger Weise Rechnung. Die Norm sieht grundsätzlich
einen weit reichenden Anspruch des Betroffenen auf Auskunft vor.
Die in der Norm enthaltene Abwägungsklausel stellt sicher, dass
eine Auskunft nur dann unterbleiben darf, wenn das Interesse an der
ordnungsgemäßen Aufgabenerfüllung dem Informationsinteresse des
Betroffenen vorgeht.

II. Die Annahme der Gerichte, dass im vorliegenden Fall das
Auskunftsinteresse des Beschwerdeführers hinter dem Interesse des
Bundesamts an einer ordnungsgemäßen Aufgabenerfüllung zurückstehen
musste, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

1. Die datensammelnde Tätigkeit des Bundesamts ist mit dem
Grundgesetz vereinbar. Die Speicherung von Informationen in der
Datensammlung kann zwar in das Grundrecht des Betroffenen auf
informationelle Selbstbestimmung eingreifen. Für derartige
Eingriffe enthält jedoch § 88a AO eine hinreichende
verfassungsgemäße gesetzliche Grundlage. Insbesondere ist die
Norm angesichts des von ihr verfolgten Ziels der gleichmäßigen
Festsetzung und Erhebung von Steuern mit dem Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit vereinbar.

2. Die Gerichte haben bei der Anwendung des in § 19
Bundesdatenschutzgesetz geregelten Ausschlusstatbestands das
grundrechtlich geschützte Auskunftsinteresse des
Beschwerdeführers mit dem gegenläufigen öffentlichen Interesse
an der Aufgabenerfüllung des Bundesamts in verfassungsrechtlich
nicht zu beanstandender Weise abgewogen. In den angegriffenen
Urteilen wird im Einzelnen herausgearbeitet, weswegen die
Aufgabenerfüllung des Bundesamts durch eine Auskunftserteilung
über die gesammelten Daten gefährdet werden kann. Der Zweck der
Aufgabe, Informationen über Domizilgesellschaften zu sammeln,
würde vereitelt. Eine Auskunftserteilung würde dem Betroffenen
offenbaren, über welche seiner unterschiedlichen Funktionen im
Ausland das Bundesamt bereits informiert sei. Der Betroffene
könnte sein Verhalten dementsprechend auf den Kenntnisstand des
Bundesamtes einstellen. Das öffentliche Interesse an der
Aufgabenerfüllung gehe dem Informationsinteresse desjenigen,
über den Daten gesammelt worden sind, vor, da die gesammelten
Daten nach einer Auskunftserteilung weitgehend wertlos würden.
Die Einschätzung der Gerichte, das Informationsinteresse des
Beschwerdeführers wiege gegenüber dem mit der Geheimhaltung
verfolgten Ziel der gleichmäßigen Festsetzung und Erhebung von
Steuern vergleichsweise geringer, ist verfassungsrechtlich nicht
zu beanstanden.

3. Dem Umstand, dass der Beschwerdeführer infolge des Ausschlusses
seines Auskunftsanspruchs derzeit die Richtigkeit der
gesammelten Daten und die Rechtmäßigkeit ihrer fortdauernden
Speicherung nicht wirkungsvoll überprüfen lassen kann, ist
Rechnung zu tragen, wenn die Daten in einem konkreten
steuerbehördlichen Verfahren zum Nachteil des Beschwerdeführers
herangezogen werden. Dabei ist sicherzustellen, dass dem
Beschwerdeführer keine Nachteile aus der zeitlichen Verlagerung
des Rechtsschutzes erwachsen.

Bundesverfassungsgericht - Pressestelle -

Pressemitteilung Nr. 42/2008 vom 28. März 2008

Zum Beschluss vom 10. März 2008 – 1 BvR 2388/03 –

20 März 2008

BVerfG zur Veröffentlichungspflicht der Krankenkassen

Pflicht zur Veröffentlichung von Vorstandsvergütungen der gesetzlichen
Krankenkassen verfassungsgemäß


Die gesetzliche Pflicht der Krankenkassenkassen, die Höhe der
jährlichen Vergütung ihrer Vorstandsmitglieder im Bundesanzeiger und in
ihrer Mitgliederzeitschrift zu veröffentlichen (§ 35a Abs. 6 Satz 2 SGB
IV), ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Mit dieser
Begründung hat die 1. Kammer des Ersten Senats des
Bundesverfassungsgerichts die Verfassungsbeschwerde mehrerer
Vorstandsmitglieder einer gesetzlichen Krankenversicherung, die sich
gegen die Veröffentlichung der Vorstandsvergütungen wandten, nicht zur
Entscheidung angenommen.

Die Regelung verfolgt einen legitimen Zweck. Mit der Verpflichtung zur
Veröffentlichung der Vorstandsvergütungen soll Transparenz geschaffen
werden, um dem Informationsbedürfnis der Beitragszahler und der
Öffentlichkeit an dem Einsatz öffentlicher Mittel, die auf gesetzlicher
Grundlage erhoben werden, Rechnung zu tragen. Die Regelung ist zur
Erreichung dieses Zwecks auch geeignet und erforderlich.

Auch die Grenzen der Verhältnismäßigkeit sind gewahrt. Das allgemeine
Bekanntwerden von Informationen über ihre Vergütungen als
Vorstandsmitglieder stellt für die Beschwerdeführer zwar einen Eingriff
von nicht unerheblichem Gewicht dar, da die Veröffentlichung
Rückschlüsse über ihre wirtschaftlichen Verhältnisse ermöglicht. Bei
der Gewichtung des Eingriffs ist aber zu berücksichtigen, dass die
Informationen nicht die engere Privatsphäre der Beschwerdeführer,
sondern ihren beruflichen Bereich betreffen. Veröffentlicht werden
nicht die für die persönliche Lebensgestaltung entscheidenden Einkünfte
der Beschwerdeführer, zu denen auch Zuflüsse aus anderen Quellen zählen
können, sondern lediglich die von Seiten der Krankenkasse gezahlten
Vergütungen und Versorgungsleistungen. Rückschlüsse auf Einkommen oder
gar Vermögen der Beschwerdeführer sind daher nicht umfassend möglich.
Auf der anderen Seite dient die Regelung einem öffentlichen Belang von
erheblichem Gewicht. Sie soll dem Informationsbedürfnis der
Beitragszahler und der Öffentlichkeit Rechnung tragen und gleichzeitig
die Möglichkeit für einen Vergleich schaffen. Die Angaben über die
Vorstandsvergütungen können Rückschlüsse auf Finanzgebaren und
gegebenenfalls Einsparpotenziale der Krankenkasse ermöglichen, die für
den Vergleich der Kassen untereinander von Interesse sein können.
Darüber hinaus soll die Veröffentlichung der Vorstandsbezüge für die
Allgemeinheit die Transparenz im Umgang mit öffentlichen Mitteln -
hier: im Gesundheitswesen - erhöhen. Werden auch Vergütungen des
Führungspersonals im öffentlichen Bereich, hier speziell die der
Krankenkassenvorstände, offen gelegt, kann sich dies nicht nur auf die
allgemeine öffentliche Diskussion über deren Angemessenheit auswirken,
sondern auch den Beitragszahlern aufschlussreiche Informationen
vermitteln.

Bundesverfassungsgericht - Pressestelle -

Pressemitteilung Nr. 39/2008 vom 20. März 2008

Beschluss vom 25. Februar 2008 – 1 BvR 3255/07 –

BGH zum Urheberrecht in Kirchenarchitektur

Urheberrecht und kirchliches Selbstbestimmungsrecht

Der unter anderem für das Urheberrecht zuständige I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hatte sich gestern mit dem Verhältnis zwischen dem Urheberrecht und dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht auseinanderzusetzen.

Die Beklagte ist die katholische Kirchengemeinde St. Gottfried in Münster. Sie ist Eigentümerin der in den Jahren 1952 und 1953 erbauten Kirche St. Gottfried. Im Jahre 2002 gestaltete sie den Altarraum der Kirche um. Die Klägerin ist der Ansicht, durch diese Umgestaltung werde das Urheberrecht ihres im Jahre 1966 verstorbenen Vaters verletzt. Dieser hatte die Kirche entworfen und den Innenraum gestaltet. Die Klägerin hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, den ursprünglichen Zustand des Altarraums wiederherzustellen.

Das Berufungsgericht hat der Klage stattgegeben. Der Bundesgerichtshof hat das Berufungsurteil aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Die Umbaumaßnahmen der Beklagten verstoßen nach Ansicht des Bundesgerichtshofs zwar gegen das urheberrechtliche Änderungsverbot. Auch der Eigentümer eines Werkoriginals darf grundsätzlich keine Änderungen an dem ihm gehörenden Original vornehmen. Der Urheber hat grundsätzlich ein Recht darauf, dass das von ihm geschaffene Werk der Mit- und Nachweilt unverändert erhalten bleibt. Ein derartiger Konflikt zwischen den Belangen des Urhebers und des Eigentümers kann jedoch letztlich nur durch eine Abwägung der jeweils betroffenen Interessen gelöst werden. Im Streitfall wiegt das Interesse der Beklagten an dem Umbau nach Auffassung des Bundesgerichtshofs schwerer als das Erhaltungsinteresse des Urhebers.

Die Beklagte hatte dargetan, dass sie sich nur deshalb für die Umgestaltung entschieden habe, um die Liturgiereform des Zweiten Vatikanischen Konzils in ihrer Kirche räumlich umzusetzen und die Kirchenbesucher stärker in den Gottesdienst einzubeziehen. Das Berufungsgericht hatte gemeint, die von der Beklagten angeführten Gründe für einen Umbau seien letztlich eine Frage des guten Geschmacks; es hat sie daher nicht als ausschlaggebend angesehen. Die Art und Weise, wie eine Pfarrgemeinde die heilige Messe feiern möchte, habe sich an der Gestaltung des Kirchenraums auszurichten, wenn diese urheberrechtlich geschützt sei. Die Beklagte habe keine beachtlichen Gründe für ihre geänderte Liturgieauffassung aufgeführt. Der Bundesgerichtshof hat diese Auffassung nicht gebilligt. Sie beachtet - so der BGH - nicht hinreichend das kirchliche Selbstbestimmungsrecht und das Grundrecht der Religionsfreiheit der Beklagten. Für die Beurteilung, ob und inwieweit liturgische Gründe für eine Umgestaltung des Kircheninnenraumes bestehen, kommt es auf das Selbstverständnis der Kirchengemeinde an. Hat diese - wie im Streitfall die Beklagte - ihre Glaubensüberzeugung substantiiert und nachvollziehbar dargelegt, hat sich der Staat einer Bewertung dieser Glaubenserkenntnis zu enthalten.

Auf Seiten des Urhebers ist - so der BGH - im Rahmen der Interessenabwägung bei einem Werk der Baukunst insbesondere zu berücksichtigen, dass der Urheber eines Bauwerks weiß, dass der Eigentümer das Bauwerk für einen bestimmten Zweck verwenden möchte; er muss daher damit rechnen, dass sich aus wechselnden Bedürfnissen des Eigentümers ein Bedarf nach Veränderungen des Bauwerks ergeben kann. So ist dem Schöpfer einer Kirche bewusst, dass die Kirchengemeinde das Gotteshaus für ihre Gottesdienste nutzen möchte; er muss daher gewärtigen, dass sich wandelnde Überzeugungen hinsichtlich der Gestaltung des Gottesdienstes das Bedürfnis nach einer entsprechenden Umgestaltung des Kircheninnenraums entstehen lassen. Das Interesse des Vaters der Klägerin an der unveränderten Erhaltung seines Werkes musste daher gegenüber dem mit Rücksicht auf das kirchliche Selbstbestimmungsrecht als besonders gewichtig zu bewertenden liturgischen Interesse der Beklagten an dem Umbau des Kircheninnenraums zurücktreten.

Urteil vom 19. März 2008 - I ZR 166/05 – St. Gottfried
LG Bielefeld - Urteil vom 30. November 2004 - 4 O 624/02
OLG Hamm - Urteil vom 23. August 2005 - 4 U 10/05, ZUM 2
Karlsruhe, den 20. März 2008

18 März 2008

BVerfG zur Bildberichterstattung über Prominente

Verfassungsrechtliche Maßstäbe für die Zulässigkeit einer Bildberichterstattung über das Privat- und Alltagsleben prominenter Personen

Beschwerdeführer sind Prinzessin Caroline von Hannover und zwei
Presseverlage. Die Verlegerin der Zeitschrift "Frau im Spiegel" hatte
über eine Erkrankung des Fürsten Rainier von Monaco, über eine mögliche
Teilnahme der Beschwerdeführerin an einem Gesellschaftsball sowie über
einen beliebten Wintersportort berichtet und den Beiträgen jeweils
Fotografien beigegeben, welche die Beschwerdeführerin zusammen mit
ihrem Ehemann im Urlaub zeigen. Die Verlegerin der Zeitschrift "7 Tage"
hatte über die Vermietung einer Ferienvilla der Eheleute berichtet und
diesen Beitrag mit einem Foto bebildert, das die Beschwerdeführerin
zusammen mit ihrem Ehemann im Urlaub zeigt.

Die Unterlassungsklagen der Beschwerdeführerin Caroline von Hannover
vor den Zivilgerichten waren gegen die Bildberichterstattung gerichtet.
Der Bundesgerichtshof ließ nur die Veröffentlichung des Fotos zu, mit
dem der Beitrag über eine Erkrankung des Fürsten von Monaco bebildert
war. Im Übrigen bestätigte er das von den Vorinstanzen ausgesprochene
Verbot, insbesondere billigte er das Verbot des Fotos, das dem Beitrag
über die Vermietung der Ferienvilla beigegeben war.

Die Verfassungsbeschwerden der Beschwerdeführerin Caroline von Hannover
und der Verlegerin der Zeitschrift "Frau im Spiegel" hatten keinen
Erfolg. Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts stellte fest,
dass der Bundesgerichtshof die berührten Belange beider Parteien in
verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise einander zugeordnet
und dabei auch die maßgeblichen Vorgaben aus der Rechtsprechung des
Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte berücksichtigt hat (1 BvR
1602/07 und 1 BvR 1626/07).

Die Verfassungsbeschwerde des die Zeitschrift "7 Tage" verlegenden
Verlages hatte dagegen Erfolg. Die angegriffenen Entscheidungen
verletzen den Verlag in seiner Pressefreiheit. Den Erwägungen der
Gerichte lässt sich nicht zureichend entnehmen, warum der Gegenstand
der Wortberichterstattung, der die Vermietung der Ferienvilla betrifft,
nicht die Beigabe einer visuellen Darstellung der Beschwerdeführerin
rechtfertigt (1 BvR 1606/07).

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:

I. Die Grundrechte der Pressefreiheit und des Schutzes der
Persönlichkeit sind nicht vorbehaltlos gewährleistet. Zu den die
Pressefreiheit beschränkenden allgemeinen Gesetzen zählen unter
anderem die Vorschriften der §§ 22 ff. des Kunsturhebergesetzes
(KUG) und die Rechtsgrundsätze des zivilrechtlichen
Persönlichkeitsschutzes, aber auch das in Art. 8 EMRK verankerte
Recht auf Achtung des Privatlebens. Die in dem Kunsturhebergesetz
enthaltenen Regelungen sowie die von Art. 10 EMRK verbürgte
Äußerungsfreiheit beschränken zugleich als Bestandteil der
verfassungsmäßigen Ordnung den Persönlichkeitsschutz.

Auch die "bloße Unterhaltung" nimmt am Schutz der Pressefreiheit
teil. Unterhaltung kann wichtige gesellschaftliche Funktionen
erfüllen, so wenn sie Realitätsbilder vermittelt und
Gesprächsgegenstände zur Verfügung stellt, an die sich
Diskussionsprozesse anschließen können, die sich auf
Lebenseinstellungen, Werthaltungen und Verhaltensmuster beziehen.
Der Schutz der Pressefreiheit umfasst auch unterhaltende Beiträge
über das Privat- und Alltagsleben prominenter Personen und ihres
sozialen Umfelds, insbesondere der ihnen nahestehenden Personen.
Es würde die Pressefreiheit in einer mit Art. 5 Abs. 1 GG
unvereinbaren Weise einengen, bliebe die Lebensführung dieses
Personenkreises einer Berichterstattung außerhalb der von ihnen
ausgeübten Funktionen entzogen. Dabei dürfen nicht nur skandalöse,
sittlich oder rechtlich zu beanstandende Verhaltensweisen, sondern
auch die Normalität des Alltagslebens und in keiner Weise
anstößige Handlungsweisen prominenter Personen der Öffentlichkeit
vor Augen geführt werden, wenn dies der Meinungsbildung zu Fragen
von allgemeinem Interesse dienen kann.

II. Von der Pressefreiheit ist die Befugnis der Massenmedien umfasst,
selbst zu entscheiden, was sie für berichtenswert halten. Dabei
haben sie den Persönlichkeitsschutz Betroffener zu
berücksichtigen. Im Streitfall allerdings obliegt die maßgebliche
Gewichtung des Informationsinteresses bei der Abwägung mit
gegenläufigen Interessen der Betroffenen den Gerichten. Im Zuge
der Gewichtung des Informationsinteresses haben diese allerdings
von einer inhaltlichen Bewertung der Darstellung als wertvoll oder
wertlos abzusehen und sind auf die Prüfung und Feststellung
begrenzt, in welchem Ausmaß der Bericht einen Beitrag für den
Prozess der öffentlichen Meinungsbildung zu leisten vermag. Für
die Gewichtung des Persönlichkeitsschutzes wird neben den
Umständen der Gewinnung der Abbildung etwa durch Ausnutzung von
Heimlichkeit oder beharrliche Nachstellung auch bedeutsam, in
welcher Situation der Betroffene erfasst und wie er dargestellt
wird. Dem Schutzanspruch des Persönlichkeitsrechts kann insoweit
auch außerhalb der Voraussetzungen einer örtlichen
Abgeschiedenheit ein erhöhtes Gewicht zukommen, so wenn die
Medienberichterstattung den Betroffenen in Momenten der
Entspannung und des Sich-Gehen-Lassens außerhalb der Einbindung in
die Pflichten des Berufs und Alltags erfasst, wenn er erwarten
darf, keinen Bildnachstellungen ausgesetzt zu sein. Das
Schutzbedürfnis ist infolge des Fortschritts der Aufnahmetechnik
und der Verfügbarkeit kleiner Aufnahmegeräte gestiegen.

Äußerungen in der und durch die Presse wollen in der Regel zur
Bildung der öffentlichen Meinung beitragen. Das Grundrecht aus
Art. 5 Abs. 1 GG gebietet allerdings nicht, generell zu
unterstellen, dass mit jedweder visuellen Darstellung aus dem
Privat- und Alltagsleben prominenter Personen ein Beitrag zur
Meinungsbildung verbunden ist. Auch bisher hat das
Bundesverfassungsgericht nicht anerkannt, dass die Presse einen
schrankenlosen Zugriff auf Personen der Zeitgeschichte nehmen
darf, sondern hat Bildveröffentlichungen nur insoweit als
gerechtfertigt angesehen, als dem Publikum sonst Möglichkeiten der
Meinungsbildung vorenthalten werden. Verfassungsrechtlich nicht
gewährleistet ist demgegenüber, dass eine Person von
zeitgeschichtlichem Interesse bei Aufenthalten außerhalb einer
Situation räumlicher Abgeschiedenheit stets und ohne
Beschränkungen für die Zwecke medialer Berichterstattung
fotografiert werden darf.

III. Es ist Sache der Fachgerichte, den Informationswert einer
Berichterstattung und ihrer Bebilderung anhand des Bezugs zur
öffentlichen Meinungsbildung zu ermitteln und der Pressefreiheit
abwägend die mit der Gewinnung und Verbreitung einer Abbildung
verbundenen Beeinträchtigungen des Persönlichkeitsschutzes
gegenüber zu stellen. Das Bundesverfassungsgericht ist auf die
Nachprüfung beschränkt, ob die Fachgerichte bei der Auslegung und
Anwendung der Vorschriften des einfachen Rechts und insbesondere
bei der Abwägung miteinander kollidierender Rechtsgüter den
Grundrechtseinfluss sowie die auch verfassungsrechtlich zu
beachtenden Maßgaben der Europäischen Menschenrechtskonvention
ausreichend beachtet haben. Dass das Abwägungsergebnis auch anders
hätte ausfallen können, ist kein hinreichender Grund für die
verfassungsgerichtliche Korrektur einer Entscheidung der
Fachgerichte.

IV. Nach diesen Maßstäben gilt im konkreten Fall folgendes:

1. Der Bundesgerichtshof war verfassungsrechtlich nicht
grundsätzlich gehindert, bei der rechtlichen Beurteilung der
Voraussetzungen der Zulässigkeit einer Bildberichterstattung
von seiner bisherigen Rechtsprechung abzuweichen und sein
Schutzkonzept durch einen Verzicht auf eine Nutzung der bisher
in Anlehnung an die Literatur entwickelten Rechtsfigur der
Person der Zeitgeschichte zu modifizieren. Da der Begriff der
Person der Zeitgeschichte verfassungsrechtlich nicht vorgegeben
ist, steht es den Fachgerichten von Verfassungs wegen frei, ihn
in Zukunft nicht oder nur noch begrenzt zu nutzen und
stattdessen im Wege der einzelfallbezogenen Abwägung über das
Vorliegen eines Bildnisses aus dem "Bereich der Zeitgeschichte"
zu entscheiden.

2. Nach den aufgezeigten Maßstäben erweisen sich die
Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin Caroline von
Hannover und des die Zeitschrift "Frau im Spiegel" verlegenden
Verlages als nicht begründet. Der Bundesgerichtshof hat die
berührten Belange beider Parteien in verfassungsrechtlich nicht
zu beanstandender Weise zugeordnet und dabei auch die
maßgeblichen Vorgaben aus der Rechtsprechung des Europäischen
Gerichtshofs für Menschenrechte berücksichtigt. Insbesondere
durfte der Bundesgerichtshof - auch nach den Maßstäben der
Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs - in der
Berichterstattung über eine Erkrankung des regierenden Fürsten
von Monaco ein Ereignis von allgemeinem Interesse sehen, das
einen hinreichenden Bezug zu der veröffentlichten Abbildung
aufweist.

3. Hingegen ist die Pressefreiheit verletzt, indem der Verlegerin
der Zeitschrift "7 Tage" die Beigabe einer visuellen
Darstellung der Beschwerdeführerin zu einem Beitrag über die
Vermietung einer Ferienvilla in Kenia verboten worden ist. Die
Gerichte haben es unterlassen, den Informationsgehalt des
Berichts näher zu würdigen, der in der Zeitschrift mit den
Worten eingeleitet werden war "Auch die Reichen und Schönen
sind sparsam. Viele vermieten ihre Villen an zahlende Gäste".
In dem Bericht ging es nicht um die Beschreibung einer
Urlaubsszene als Teil des Privatlebens. Vielmehr wurde ein
Bericht über die Vermietung einer Ferienvilla der Eheleute
und über ähnliche Aktionen anderer Prominenter mit wertenden
Anmerkungen kommentiert, die Anlass für sozialkritische
Überlegungen der Leser sein können. Die auf dem verwendeten
Lichtbild dargestellte Situation lässt auch nichts dafür
erkennen, dass die Prinzessin von Hannover bei einer in
besonderem Maße typischen Entspannungsbedürfnissen gewidmeten
und daher gegenüber medialer Aufmerksamkeit und Darstellung in
erhöhtem Umfang schutzbedürftigen Tätigkeit abgebildet worden
war. Das von dem Bundesgerichtshof bestätigte Verbot war daher
aufzuheben und muss erneut anhand der von dem Senat
aufgezeigten Maßstäbe überprüft werden.

Bundesverfassungsgericht - Pressestelle -

Pressemitteilung Nr. 35/2008 vom 18. März 2008

Beschluss vom 26. Februar 2008
– 1 BvR 1602/07; 1 BvR 1606/07; 1 BvR 1626/07 –

13 März 2008

BVerfG für Inzest-Strafbarkeit

Strafbarkeit des Geschwisterinzests verfassungsgemäß

Die Strafvorschrift des § 173 Abs. 2 S. 2 StGB, die den Beischlaf zwischen leiblichen Geschwistern mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bedroht, ist mit dem Grundgesetz vereinbar. Dies entschied der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts. Der Gesetzgeber hat seinen Entscheidungsspielraum nicht überschritten, indem er die Bewahrung der familiären Ordnung vor schädigenden
Wirkungen des Inzests, den Schutz der in einer Inzestbeziehung "unterlegenen" Partner sowie ergänzend die Vermeidung schwerwiegender genetisch bedingter Erkrankungen bei Abkömmlingen aus Inzestbeziehungen als ausreichend erachtet hat, das in der Gesellschaft verankerte Inzesttabu strafrechtlich zu sanktionieren.

Damit war die Verfassungsbeschwerde des wegen Beischlafs zwischen Verwandten gemäß § 173 Abs. 2 Satz 2 StGB zu mehreren Freiheitsstrafen verurteilten Beschwerdeführers ohne Erfolg.

Der Richter Hassemer hat der Entscheidung eine abweichende Meinung angefügt. Nach seiner Auffassung steht die Norm mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht in Einklang.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:
Die Entscheidung des Gesetzgebers, den Geschwisterinzest mit Strafe zu bewehren, ist nach dem in erster Linie anzulegenden Maßstab von Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG (Recht auf sexuelle Selbstbestimmung) verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

1. Der Gesetzgeber beschränkt mit der Strafnorm des § 173 Abs. 2 S. 2 StGB das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung leiblicher Geschwister, indem er den Vollzug des Beischlafs mit Strafe bedroht. Damit werden zwar der privaten Lebensgestaltung insbesondere dadurch Grenzen gesetzt, dass bestimmte Ausdrucksformen der Sexualität zwischen einander nahe stehenden Personen pönalisiert werden. Darin liegt jedoch kein dem Gesetzgeber von vornherein verwehrter Eingriff in den Kernbereich privater Lebensgestaltung. Der Beischlaf zwischen Geschwistern betrifft nicht ausschließlich diese selbst, sondern kann in die Familie und die Gesellschaft hinein wirken und außerdem Folgen für aus der Verbindung hervorgehende Kinder haben. Da das strafrechtliche Inzestverbot nur ein eng umgrenztes Verhalten zum Gegenstand hat und die Möglichkeiten intimer Kommunikation nur punktuell verkürzt, werden die Betroffenen auch nicht in eine mit der Achtung der Menschenwürde unvereinbare ausweglose Lage versetzt.

2. Der Gesetzgeber verfolgt mit der angegriffenen Norm Zwecke, die verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sind und jedenfalls in ihrer Gesamtheit die Einschränkung des Rechts auf sexuelle Selbstbestimmung legitimieren.

a) Als Strafgrund des § 173 StGB steht der Schutz von Ehe und
Familie in den Erwägungen des Gesetzgebers an erster Stelle.
Empirische Studien zeigen, dass der Gesetzgeber sich nicht
außerhalb seines Einschätzungsspielraums bewegt, wenn er davon
ausgeht, dass es bei Inzestverbindungen zwischen Geschwistern zu
gravierenden familien- und sozialschädigenden Wirkungen kommen
kann. Inzestverbindungen führen zu einer Überschneidung von
Verwandtschaftsverhältnissen und sozialen Rollenverteilungen und
damit zu einer Beeinträchtigung der in einer Familie
strukturgebenden Zuordnungen. Solche Rollenüberschneidungen
entsprechen nicht dem Bild der Familie, das Art. 6 Abs. 1 GG zu
Grunde liegt. Es erscheint schlüssig und liegt nicht fern, dass
Kinder aus Inzestbeziehungen große Schwierigkeiten haben, ihren
Platz im Familiengefüge zu finden und eine vertrauensvolle
Beziehung zu ihren nächsten Bezugspersonen aufzubauen. Die
lebenswichtige Funktion der Familie für die menschliche
Gemeinschaft, wie sie der Verfassungsgarantie des Art. 6 Abs. 1
GG zugrunde liegt, wird entscheidend gestört, wenn das
vorausgesetzte Ordnungsgefüge durch inzestuöse Beziehungen ins
Wanken gerät.

b) Soweit zur Rechtfertigung der Strafnorm der Schutz der sexuellen
Selbstbestimmung herangezogen wird, kommt diesem Normzweck auch
im Verhältnis zwischen Geschwistern Relevanz zu. Der Einwand, der
Schutz der sexuellen Selbstbestimmung sei durch §§ 174 ff. StGB
(Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung) umfassend und
ausreichend gesichert und rechtfertige § 173 Abs. 2 S. 2 StGB
daher nicht, übergeht, dass § 173 StGB spezifische, durch die
Nähe in der Familie bedingte oder in der Verwandtschaft wurzelnde
Abhängigkeiten und Schwierigkeiten der Einordnung und Abwehr von
Übergriffen im Blick hat.

c) Der Gesetzgeber hat sich zusätzlich auf eugenische Gesichtspunkte
gestützt und ist davon ausgegangen, dass bei Kindern, die aus
einer inzestuösen Beziehung erwachsen, wegen der erhöhten
Möglichkeit der Summierung rezessiver Erbanlagen die Gefahr
erheblicher Schädigungen nicht ausgeschlossen werden könne. Im
medizinischen und anthropologischen, von empirischen Studien
gestützten Schrifttum wird auf die besondere Gefahr des
Entstehens von Erbschäden hingewiesen.

d) Die angegriffene Strafnorm rechtfertigt sich in der
Zusammenfassung nachvollziehbarer Strafzwecke vor dem Hintergrund
einer kulturhistorisch begründeten, nach wie vor wirkkräftigen
gesellschaftlichen Überzeugung von der Strafwürdigkeit des
Inzestes, wie sie auch im internationalen Vergleich festzustellen
ist. Als Instrument zum Schutz der sexuellen Selbstbestimmung,
der Gesundheit der Bevölkerung und insbesondere der Familie
erfüllt die Strafnorm eine appellative, normstabilisierende und
damit generalpräventive Funktion, die die Wertsetzungen des
Gesetzgebers verdeutlicht und damit zu ihrem Erhalt beiträgt.

3. Die angegriffene Norm genügt auch den verfassungsrechtlichen
Anforderungen an die Geeignetheit, Erforderlichkeit und
Verhältnismäßigkeit einer freiheitsbeschränkenden Regelung.

a) Der Strafbewehrung des Geschwisterinzestes kann die Eignung, den
erstrebten Erfolg zu fördern, nicht abgesprochen werden. Der
Einwand, die angegriffene Strafnorm verfehle aufgrund ihrer
lückenhaften Ausgestaltung und wegen des
Strafausschließungsgrunds des § 173 Abs. 3 StGB (keine Bestrafung
Minderjähriger) die ihr zugedachten Zwecke, verkennt, dass mit
dem Verbot von Beischlafshandlungen ein zentraler Aspekt
sexueller Verbindung zwischen Geschwistern unter Strafe gestellt
wird, dem für die Unvereinbarkeit des Geschwisterinzestes mit dem
traditionellen Bild der Familie eine große Aussagekraft zukommt
und der eine weitere sachliche Rechtfertigung in der
grundsätzlichen Eignung dieser Handlung findet, über das Zeugen
von Nachkommen weitere schädliche Folgen hervorzurufen. Daher
stellt der Umstand, dass beischlafähnliche Handlungen und
sexueller Verkehr zwischen gleichgeschlechtlichen Geschwistern
nicht mit Strafe bedroht sind, andererseits der Beischlaf
zwischen leiblichen Geschwistern auch in den Fällen, in denen
eine Empfängnis ausgeschlossen ist, den Straftatbestand erfüllt,
die grundsätzliche Erreichbarkeit der Ziele des Schutzes der
sexuellen Selbstbestimmung und der Vorsorge vor genetisch
bedingten Krankheiten nicht in Frage. Entsprechendes gilt für den
Einwand, die Strafnorm erreiche wegen des
Strafausschließungsgrundes für Minderjährige (§ 173 Abs. 3 StGB)
die Geschwister erst, wenn sie sich typischerweise aus dem
Familienverband lösten, weshalb sie zum Schutz der
Familienstruktur ungeeignet sei.

b) Die angegriffene Norm unterliegt auch im Hinblick auf ihre
Erforderlichkeit keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Zwar
kommen in Fällen des Geschwisterinzestes
vormundschaftsgerichtliche und jugendwohlfahrtspflegerische
Maßnahmen in Betracht. Diese sind gegenüber der Strafbewehrung
jedoch keine milderen Mittel gleicher Wirksamkeit. Sie zielen
eher auf die Verhinderung und Beseitigung von Normverletzungen
und deren Folgen im konkreten Fall; ihnen kommt in der Regel
keine generalpräventive und normstabilisierende Wirkung zu.

c) Die Strafdrohung ist schließlich nicht unverhältnismäßig. Der
vorgesehene Strafrahmen erlaubt es zudem, besonderen
Fallkonstellationen, in denen die geringe Schuld der
Beschuldigten eine Bestrafung als unangemessen erscheinen lässt,
durch Einstellung des Verfahrens nach
Opportunitätsgesichtspunkten, Absehen von Strafe oder besondere
Strafzumessungserwägungen Rechnung zu tragen.

Dem Sondervotum des Richters Hassemer liegen im Wesentlichen folgende
Erwägungen zugrunde:

§ 173 Abs. 2 S. 2 StGB steht mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht in Einklang.

Die Norm verfolgt schon kein Regelungsziel, das in sich widerspruchsfrei und mit der tatbestandlichen Fassung vereinbar wäre.
Eine Berücksichtigung eugenischer Gesichtspunkte ist von vornherein kein verfassungsrechtlich tragfähiger Zweck einer Strafnorm. Auch geben weder der Wortlaut der Norm noch die Gesetzessystematik Hinweise, dass der oder auch nur ein Schutzzweck der Bestimmung gerade in der Wahrung des Rechts auf sexuelle Selbstbestimmung liegen könnte. Schließlich findet das Verbot des Geschwisterinzestes seine verfassungsrechtliche Rechtfertigung auch nicht im Schutz von Ehe und Familie. Unter Strafe gestellt ist lediglich der Beischlaf zwischen leiblichen Geschwistern.
Ausgenommen sind alle anderen sexuellen Handlungen zwischen Bruder und Schwester. Nicht erfasst sind auch sexuelle Beziehungen zwischen gleichgeschlechtlichen sowie zwischen nicht leiblichen Geschwistern.
Wäre die Strafvorschrift wirklich auf den Schutz der Familie vor sexuellen Handlungen angelegt, so würde sie sich auf diese familienstörenden Handlungen erstrecken. Es spricht viel dafür, dass die Vorschrift in der bestehenden Fassung lediglich Moralvorstellungen, nicht aber ein konkretes Rechtsgut im Auge hat. Der Aufbau oder der Erhalt eines gesellschaftlichen Konsenses über Wertsetzungen aber kann nicht unmittelbares Ziel einer Strafnorm sein.

Für die mit § 173 Abs. 2 S. 2 StGB verfolgten Ziele bietet die Norm zudem keinen geeigneten Weg. Der Straftatbestand ist mit seiner Beschränkung der Strafbarkeit auf Beischlafshandlungen zwischen Geschwistern verschiedenen Geschlechts nicht in der Lage, den Schutz einer Familie vor schädlichen Einwirkungen durch sexuelle Handlungen zu gewährleisten. Er greift zu kurz, weil er gleich schädliche
Verhaltensweisen nicht erfasst und zudem nichtleibliche Geschwister als mögliche Täter nicht einbezieht. Er geht zu weit, weil er Verhaltensweisen erfasst, die sich - aufgrund der Volljährigkeit der Kinder und des damit einhergehenden Ablösungsprozesses von der Familie - auf die Familiengemeinschaft nicht (mehr) schädlich auswirken können.

Die Strafbarkeit des Geschwisterinzestes begegnet darüber hinaus verfassungsrechtlichen Bedenken aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Hinblick auf die Verfügbarkeit anderer hoheitlicher Maßnahmen, die den Schutz der Familie in gleicher Weise oder sogar besser gewährleisten können, wie etwa
jugendwohlfahrtpflegerische sowie familien- und vormundschaftsgerichtliche Maßnahmen.

Schließlich kollidiert die Strafvorschrift des § 173 Abs. 2 S. 2 StGB mit dem verfassungsrechtlichen Übermaßverbot. Es fehlt der Norm an gesetzlichen Beschränkungen der Strafbarkeit für ein Verhalten, das keinem der möglichen Schutzzwecke gefährlich werden kann.

Pressemitteilung Nr. 29/2008 vom 13. März 2008
Beschluss vom 26. Februar 2008 – 2 BvR 392/07 –

12 März 2008

BGH: Wasserabrechnung nach Fläche

Abrechnung der Wasserkosten nach dem Anteil der Wohnfläche, wenn nicht alle Mietwohnungen mit einem Wasserzähler ausgerüstet sind

Der unter anderem für das Wohnraummietrecht zuständige VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hatte darüber zu entscheiden, ob der Vermieter einer Wohnung bei der Betriebskostenabrechnung die Kosten der Wasserversorgung und Entwässerung verbrauchsabhängig abrechnen muss oder ob er den Anteil der Wohnfläche zugrunde legen darf, wenn - bis auf eine - alle übrigen Wohnungen im Gebäude mit einem Wasserzähler ausgerüstet sind.
Dem heute verkündeten Urteil liegt im Wesentlichen folgender Sachverhalt zugrunde: Die Klägerin rechnete die Kosten der Wasserversorgung und Entwässerung nach dem Anteil der Wohnfläche der den Beklagten vermieteten Wohnung ab. Seit März 2003 sind - mit einer Ausnahme - alle Wohnungen des Gebäudes mit einem Wasserzähler ausgestattet, auch die Wohnung der Beklagten. In der Betriebskostenabrechnung für den Abrechnungszeitraum 2004 legte die Klägerin die Wasserkosten weiterhin nach dem Anteil der Wohnfläche auf die Mieter um. Dabei ergab sich zu Lasten der Beklagten ein Betrag von 557,60 €. Daraus resultierte eine Nachforderung in Höhe von 99,60 €, die unter anderem Gegenstand der Klage ist. Die Beklagten machten geltend, dass die Klägerin wegen der vorhandenen Wasserzähler verpflichtet sei, die Wasserkosten nach Verbrauch abzurechnen; unter Berücksichtigung der von der Wasseruhr abgelesenen Werte ergebe sich ein Betrag von lediglich 227,47 € und dementsprechend ein Guthaben zu ihren Gunsten.
Die Klage war in den Vorinstanzen erfolgreich. Der Bundesgerichtshof hat die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Beklagten zurückgewiesen.
Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass die Klägerin berechtigt ist, die Kosten der Wasserversorgung und Entwässerung nach dem Anteil der Wohnfläche auf die Mieter umzulegen. Diesen Abrechnungsmaßstab sieht § 556a Abs. 1 Satz 1 BGB grundsätzlich vor, sofern die Parteien - wie hier - nichts anderes vereinbart haben und keine gesetzlichen Sonderregelungen bestehen. Zu einer Abrechnung nach dem erfassten Wasserverbrauch wäre die Klägerin nach § 556a Abs. 1 Satz 2 BGB nur verpflichtet, wenn alle Mietwohnungen mit einem Wasserzähler ausgestattet wären; das ist hier jedoch nicht der Fall.
Bloße Zweifel der Beklagten an der Billigkeit der Wohnfläche als Umlagemaßstab genügen nicht, um eine Änderung des gesetzlichen Umlageschlüssels zu rechtfertigen. Lediglich für besondere Ausnahmefälle geht der Gesetzgeber davon aus, dass ein Anspruch des Mieters auf ein Abweichen von dem in § 556a Abs. 1 Satz 1 BGB vorgesehenen Flächenschlüssel bestehen kann. Das setzt voraus, dass es im Einzelfall zu einer krassen Unbilligkeit kommt. Dieses Erfordernis ist hier jedoch nicht erfüllt.

Urteil vom 12. März 2008 - VIII ZR 188/07
AG Berlin-Mitte - 11 C 238/06 - Urteil vom 5. Januar 2007
LG Berlin - 62 S 62/07 - Urteil vom 21. Mai 2007
Karlsruhe, den 12. März 2008

11 März 2008

FDP gegen Vorabkontrolle von Internet-Diskussionen

FDP warnt vor Einschränkung der Pressefreiheit durch Vorabkontrolle von Kommentaren

Berlin (Deutschland), wikinews 11.12.2007 – Die FDP setzt sich gegen eine Vorabkontrolle von Kommentaren in Weblogs und Internetforen ein. Hintergrund der Forderung ist ein Urteil des Hamburger Landgerichts, in dem Stefan Niggemeier verpflichtet wird, künftig Blogkommentare zu prüfen. Niggemeier hatte in seinem Blog über einen Call-in-TV-Sender berichtet, wobei rechtswidrige Kommentare von Lesern eingestellt wurden.

FDP-Politiker und Medienexperte Hans-Joachim Otto sieht durch das Urteil die Presse- und Meinungsfreiheit in Deutschland gefährdet. Er machte die Bundesregierung aufmerksam, das Telemedienrecht zu verändern. Ein entsprechender Antrag der FDP wurde jedoch vor einigen Monaten abgelehnt. Vom Gericht geforderte Überwachungsmaßnahmen für in den Bereich des Artikel 5 Grundgesetzes fallende Internetseiten wie Foren und Blogs sollten gesetzlich untersagt werden, so die Forderung des Medienexperten.

Stefan Niggemeier befürchtet „das Ende der offenen Diskussion in Foren, Blogs und Online-Medien“, falls sich „das Rechtsverständnis des Hamburger Landgerichts, wie es sich in vielen Entscheidungen zeigt, durchsetzen“ wird.

05 März 2008

BGH: Rauchen in Mietwohnungen

Rauchen in Mietwohnungen kann vertragswidrig sein
und Schadensersatzpflichten der Mieter begründen


Der unter anderem für das Wohnraummietrecht zuständige VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hatte darüber zu entscheiden, ob eine vom vertragsgemäßen Gebrauch einer gemieteten Wohnung nicht mehr umfasste Nutzung anzunehmen ist, wenn "exzessives" Rauchen des Mieters bereits nach kurzer Mietzeit einen erheblichen Renovierungsbedarf zur Folge hat.
Die Kläger waren von August 2002 bis Juli 2004 Mieter einer Wohnung der Beklagten. Mit der Klage haben die Kläger Rückzahlung der geleisteten Kaution verlangt. Die Beklagte hat die Aufrechnung mit einem Schadensersatzanspruch erklärt. Sie hat behauptet, die Kläger hätten in der Wohnung stark geraucht. Bei deren Auszug seien Decken, Wände und Türen der Wohnung durch Zigarettenqualm stark vergilbt gewesen. Der Zigarettengeruch habe sich in die Tapeten "eingefressen". Dies habe eine Neutapezierung und Lackierarbeiten an den Türen erforderlich gemacht.
Die Vorinstanzen haben einen Schadensersatzanspruch der Beklagten verneint. Die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Beklagten ist zurückgewiesen worden.
Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass das Rauchen in einer Mietwohnung über den vertragsgemäßen Gebrauch hinausgeht und eine Schadensersatzpflicht des Mieters begründet, wenn dadurch Verschlechterungen der Wohnung verursacht werden, die sich nicht mehr durch Schönheitsreparaturen im Sinne des § 28 Abs. 4 Satz 3 der Zweiten Berechnungsverordnung (Tapezieren, Anstreichen oder Kalken der Wände und Decken, Streichen der Fußböden, Heizkörper einschließlich Heizrohre, der Innentüren sowie der Fenster und Außentüren von innen) beseitigen lassen, sondern darüber hinausgehende Instandsetzungsarbeiten erfordern. Das gilt unabhängig davon, ob ein Renovierungsbedarf bereits vorzeitig entsteht. Der Vermieter wird dadurch nicht unbillig benachteiligt. Denn er hat die Möglichkeit, die Pflicht zur Ausführung der erforderlichen Schönheitsreparaturen – auch im Wege formularvertraglicher Vereinbarung – auf den Mieter abzuwälzen. Wenn es – wie im entschiedenen Fall – an einer wirksamen Vereinbarung zur Abwälzung der Renovierungspflichten fehlt, so geht dies zu Lasten des Vermieters als Verwender der unzulässigen Formularklausel.
Im entschiedenen Fall ließen sich die behaupteten Spuren des Tabakkonsums nach dem Vortrag der Beklagten durch das Tapezieren und Streichen von Wänden und Decken sowie die Lackierung von Türen beseitigen. Dabei handelt es sich um Schönheitsreparaturen im Sinne des § 28 Abs. 4 Satz 3 der Zweiten Berechnungsverordnung. Ein Schadensersatzanspruch der Beklagten bestand deshalb nicht.

Urteil vom 5. März 2008 - VIII ZR 37/07
AG Bonn - Urteil vom 5. Juli 2006 - 5 C 5/06
LG Bonn - Urteil vom 21. Januar 2007 - 6 S 191/06
Karlsruhe, den 5. März 2008
Pressestelle des Bundesgerichtshofs

04 März 2008

Verfassungswidrigen §40 StGB reformieren

In §40 StGB lautet:

(1) Die Geldstrafe wird in Tagessätzen verhängt. 2Sie beträgt mindestens fünf und, wenn das Gesetz nichts anderes bestimmt, höchstens dreihundertsechzig volle Tagessätze.
(2) Die Höhe eines Tagessatzes bestimmt das Gericht unter Berücksichtigung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters. 2Dabei geht es in der Regel von dem Nettoeinkommen aus, das der Täter durchschnittlich an einem Tag hat oder haben könnte. 3Ein Tagessatz wird auf mindestens einen und höchstens fünftausend Euro festgesetzt.
(3) Die Einkünfte des Täters, sein Vermögen und andere Grundlagen für die Bemessung eines Tagessatzes können geschätzt werden.
(4) In der Entscheidung werden Zahl und Höhe der Tagessätze angegeben.


Die maximale Geldstrafe lautet demnach: 360 * 5 000 = 1 800 000 €

Wenn aber Leute 5 und mehr Millionen € Einkommen haben, dann sind 1,8 Mio. als Abschreckung oder Strafe nicht effektiv, sondern bleiben für Mehrverdiener ein noch immer ein rentables Geschäft.

Es wäre allenfalls etwas Peinlichkeit für das gepflegte Ansehen und die Orden, mit denen man sich gegenseitig beschenkte, wegen der "Verdienste um das Gemeinwohl".

Und es gibt keinen rationalen Grund dafür, dass ein Tagessatz nicht exakt diejenige Höhe hat, die dem tatsächlichen Einkommen entspricht.

§ 40 StGB verstößt gegen Art.3 Grundgesetz

Im Gegenteil verstößt ein Tagessatz, der unterhalb des tatsächlichen Einkommens liegt, gegen Art.3 Grundgesetz, also gegen das Gleichheitsgebot.

-markus rabanus- >> Diskussion