Nr. 163/2005
Bewusst unvollständige Berichterstattung rechtfertigt Unterlassungsanspruch
Die Kläger, ein katholisches Erzbistum, dessen Kardinal sowie ein Prälat, verlangen vom Beklagten, einem Journalisten, Unterlassung von angeblichen versteckten Tatsachenbehauptungen in mehreren Presseveröffentlichungen aus dem Jahre 1996. Sie behaupten, der Beklagte habe verdeckt die unrichtigen Behauptungen aufgestellt, ihnen sei es möglich gewesen, den Schwangerschaftsabbruch einer angeblich von einem Pfarrer geschwängerten Minderjährigen zu verhindern und den Pfarrer, der die sexuelle Beziehung zu der Minderjährigen angeblich erpresst habe, aus seinem Amt zu entfernen.
Das Landgericht sowie das Oberlandesgericht hatten der Klage weitgehend stattgegeben und das Bestehen der verdeckten Tatsachenbehauptungen bejaht. Das Bundesverfassungsgericht hat das Urteil des Oberlandesgerichts wegen Verstoßes gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung zurückverwiesen. Das Berufungsgericht hat der Klage daraufhin erneut mit weniger weit gehendem Verbotsumfang stattgegeben und die Revision zugelassen.
Der u. a. bei Verletzungen des Persönlichkeitsrechts zuständige VI. Zivilsenat hat das Urteil des Berufungsgerichts im Ergebnis bestätigt. Dabei hat er offen gelassen, ob die beanstandeten Beiträge tatsächlich verdeckte Tatsachenbehauptungen enthalten; denn jedenfalls hat der Beklagte durch die bewusste Unterschlagung der Information, dass den Klägern weder der Name der Minderjährigen noch der des Pfarrers bekannt war, gegen den Grundsatz vollständiger Berichterstattung verstoßen. Gerade wenn der Beklagte die Leser zu kritischer Auseinandersetzung mit dem seiner Ansicht nach angreifbaren Verhalten der Kläger in der fraglichen Situation anhalten möchte, muss er sicherstellen, dass den Lesern auch alle wesentlichen Informationen zur Verfügung gestellt werden. Da aufgrund dieses Versäumnisses die in den Beiträgen mitgeteilten Tatsachen falsch (weil unvollständig) waren, stand den Klägern ein Unterlassungsanspruch zu. Der Beklagte darf deshalb über den Vorfall nur mit dem klarstellenden Hinweis berichten, dass den Klägern die Namen von Opfer und Täter nicht bekannt waren.
Urteil vom 22. November 2005 - VI ZR 204/04