16 September 2011

BVerfG: Antrag des Schleswig-Holsteinischen Landtags im Bund-Länder-Streit gegen die „Schuldenbremse“ unzulässig

Das Bundesverfassungsgericht kann unter anderem gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 
3 GG angerufen werden, wenn zwischen Bund und Ländern 
Meinungsverschiedenheiten über die gegenseitigen verfassungsmäßigen 
Rechte und Pflichten bestehen (Bund-Länder-Streit). Nach dem Wortlaut 
des § 68 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes (BVerfGG) können für den 
Bund nur die Bundesregierung und für ein Land nur die Landesregierung 
Antragsteller in einem solchen Verfahren sein. 

Der Schleswig-Holsteinische Landtag und der Landtagspräsident haben für 
das Land Schleswig Holstein einen Antrag im Bund-Länder-Streit gestellt, 
der sich gegen die Verankerung der sog. „Schuldenbremse“ im Grundgesetz 
(Neufassung des Art. 109 Abs. 3 Satz 1 und 5 GG) richtet. Diese 
beinhaltet im Wesentlichen das grundsätzliche Verbot für Bund und 
Länder, ihre Haushalte durch Kreditaufnahmen auszugleichen und ist von 
den Ländern ab dem Jahr 2020 einzuhalten. Der Schleswig-Holsteinische 
Landtag und dessen Präsident sehen das Land hierdurch in seiner 
Verfassungsautonomie verletzt. 

Sie sind ferner der Auffassung, für das Land antragsberechtigt zu sein. 
Eine Beschränkung der Antragsberechtigung auf die Landesregierung allein 
aufgrund des Wortlauts des § 68 BVerfGG überzeuge nicht. Aus der 
Entstehungsgeschichte sowohl des Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG als auch des § 
68 BVerfGG ergebe sich, dass die Konstellation einer Streitigkeit 
zwischen Parlamenten von Bund und Ländern über ihre 
Gesetzgebungskompetenzen - wie sie hier vorliege - übersehen worden sei. 
Diese Lücke müsse durch verfassungsgerichtliche Rechtsfortbildung 
dahingehend geschlossen werden, dass bei einem solchem 
„Legislativstreit“ die Landesparlamente unabhängig vom 
Rechtsverfolgungswillen ihrer Regierungen für das Land 
vertretungsberechtigt seien. Zumindest verlange das Gebot effektiven 
Rechtsschutzes die Zulassung einer Vertretungsbefugnis des Landtags im 
Wege der Prozessstandschaft. 

Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hat den Antrag verworfen, 
weil er mangels Antragsberechtigung des Landtags und dessen Präsidenten 
unzulässig ist. 

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde: 

1. Die Beschränkung der Antragsberechtigung im Bund-Länder Streit auf 
die jeweiligen Regierungen durch § 68 BVerfGG begegnet keinen 
verfassungsrechtlichen Bedenken. Die Begrenzung der Antragsberechtigung 
ist durch sachliche Erwägungen begründet. Sie dient der Vermeidung eines 
ebenenübergreifenden Organstreits und widersprüchlicher 
Prozesshandlungen. Auch bei Auseinandersetzungen um 
Gesetzgebungskompetenzen führt diese Regelung nicht zu erkennbaren 
Defiziten. Die Landesparlamente haben, sofern sie die Landesregierung 
nicht kraft ihrer Regierungsbildungs- und Kontrollfunktion zur Führung 
eines Bund-Länder-Streits anhalten können, die Möglichkeit, mit Hilfe 
einer Organklage vor dem Landesverfassungsgericht deren Verpflichtung 
zur Antragstellung zu erstreiten. Das Bundesgesetz kann zudem im 
Verfahren der abstrakten Normenkontrolle angegriffen werden. Die 
Antragsteller können sich auch nicht auf eine Verletzung der Garantie 
effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) berufen, weil diese als 
„formelles Hauptgrundrecht“ der Durchsetzung von Rechten natürlicher und 
juristischer Personen des Privatrechts dient und auf 
Gebietskörperschaften und deren Organe grundsätzlich keine Anwendung 
findet. Das Rechtsstaatsprinzip und der Grundsatz der 
Bundesstaatlichkeit sind durch § 68 BVerfGG ebenfalls nicht verletzt. 

2. Die Regelung ist auch keiner erweiternden Auslegung zugänglich. Der 
Gesetzgeber hat nicht übersehen, dass der Bund-Länder-Streit nicht nur 
Exekutivstreitigkeiten, sondern auch Streitigkeiten über den Umfang der 
Gesetzgebungskompetenzen zum Gegenstand haben kann. Soweit der 
(verfassungsändernde) Gesetzgeber in der Folgezeit eigenständige 
Antragsbefugnisse der Landtage eingeführt hat, etwa in Art. 93 Abs. 1 
Nr. 2a und Abs. 2 GG, handelt es sich um eng begrenzte Ausnahmefälle. 

3. Die Annahme einer Prozessstandschaft des Landtags kommt nicht in 
Betracht. Deren Wesen ist es, dass fremde Rechte in eigenem Namen 
verfolgt werden. Eine Prozessstandschaft für die Landesregierung im 
Bund-Länder-Streit ist danach ausgeschlossen, weil es hier nicht um eine 
Verletzung von Zuständigkeiten der Landesregierung geht; eine 
Prozessstandschaft für das Land scheidet aus, weil sie auf eine Umgehung 
von § 68 BVerfGG hinausliefe.

Bundesverfassungsgericht - Pressestelle -
Pressemitteilung Nr. 60/2011 vom 16. September 2011
Beschluss vom vom 19. August 2011   2 BvG 1/10