13 März 2002

BVerfG zur Rechtsberatung durch Inkassounternehmen

Rechtsberatung durch Inkassounternehmen

Die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat zwei
Entscheidungen des OLG Hamburg bzw. des BGH aufgehoben, mit denen den
beschwerdeführenden Inkassounternehmen (Bf) die Durchsetzung von
Forderungen wegen Verstoßes gegen das Rechtsberatungsgesetz verweigert
worden war.

1. Der Hintergrund war in sämtlichen Fällen vergleichbar:

Darlehensverträge einer Bank waren in ihrer Ausgestaltung vom BGH für
unwirksam erklärt worden. Aus dieser Rechtsprechung ergaben sich
Forderungen der Bankkunden gegen diese Bank auf Grund des Anspruchs auf
Rückabwicklung der Darlehensverträge. Derartige Forderungen hatten die
Bf gekauft und selbst vor den Gerichten geltend gemacht. Die
Zivilgerichte hatten die Klagen abgewiesen, da mit dem Geschäft
zwischen Bankkunde und Bf jeweils eine unerlaubte Rechtsberatung der
Kunden durch die Bf verbunden gewesen sei. Dies mache die Kaufverträge
über die Forderungen und die Abtretungen wegen Verstoßes gegen ein
gesetzliches Verbot sittenwidrig.

2. Die Kammer hat die Entscheidungen der Zivilgerichte aufgehoben, weil
sie auf einer verfassungswidrigen Auslegung des Rechtsberatungsgesetzes
basieren. Die Rechtsauffassung, es sei Inkassounternehmen, die über
eine Erlaubnis nach dem Rechtsberatungsgesetz verfügen, untersagt, ihre
Kunden rechtlich zu beraten, verletzt die Bf in ihrem Grundrecht auf
Berufsfreiheit.

Zur Begründung führt die Kammer im Wesentlichen aus, dass der
erforderliche Gemeinwohlbelang für eine solche Einschränkung der
Berufsfreiheit nicht ersichtlich ist. Gründe des Verbraucherschutzes
verlangen ein Verbot der Rechtsberatung durch Inkassobüros nicht. Die
zur Ausübung des Berufs nötige Erlaubnis nach dem Rechtsberatungsgesetz
wird nur erteilt, wenn der entsprechende Bewerber über profunde
Kenntnisse im materiellen und prozessualen Zivilrecht verfügt. Dies
wäre nicht erforderlich, wenn die außergerichtliche Einziehung von
Forderungen, die das Geschäft von Inkassobüros darstellt, eine
lediglich wirtschaftliche Betätigung wäre. Auch wäre es nicht
erforderlich, eine derartige wirtschaftliche Betätigung grundsätzlich
Volljuristen vorzubehalten und sie für andere erlaubnispflichtig nach
dem Rechtsberatungsgesetz zu machen. Bei diesem Verständnis wäre der
Erlaubnisvorbehalt im Gesetz verfassungsrechtlich bedenklich. Das
Gesetz lässt sich daher nur mit der Unterstellung rechtfertigen, dass
typischerweise bei der außergerichtlichen Einziehung von Forderungen,
die Inkassobüros nach dem Rechtsberatungsgesetz erlaubt wird, auch
Rechtsberatung zu leisten ist.

Dass dies keine Gefahr für den Verbraucherschutz als Schutzgut des
Rechtsberatungsgesetzes darstellt, zeigen bereits die Ausgangsfälle:
Ohne Rechtsberatung durch die Inkassounternehmen hätten die Bankkunden
gar keine Forderungen gegen die Bank geltend gemacht. Die Alternative
zum Verkauf ihrer Forderung an die Bf war also, gar nichts zu erhalten.

Auch die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege, deren Aufrechterhaltung
ebenfalls Zweck des Rechtsberatungsgesetzes ist, ist durch die
Rechtsberatung von Inkassounternehmen im Zusammenhang mit
Forderungskäufen nicht beeinträchtigt. Ohne eine solche Beratung
könnten Forderungen nicht oder schlechter bewertet und die
Erfolgsaussichten ihrer Geltendmachung schlechter oder nicht
prognostiziert werden. Der Schutz der Rechtspflege gebietet lediglich,
dass Rechtsrat nur von sachkundigen Personen geleistet wird. Verbietet
man Inkassounternehmen die Geltendmachung derart erworbener
Forderungen, wird nicht die Rechtspflege, sondern der jeweilige
Schuldner geschützt. Das ist nicht Zweck des Rechtsberatungsgesetzes.

Beschluss vom 20. Februar 2002
Az.: 1 BvR 423/99 u.a.
Pressemitteilung Nr. 34/2002 vom 13. März 2002