Erfolglose Verfassungsbeschwerde gegen Mobilfunkanlage
Die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat eine
Verfassungsbeschwerde (Vb) nicht zur Entscheidung angenommen, die die
Bewertung der Gesundheitsgefahren durch Elektrosmog betraf. Die Klage
des Beschwerdeführers (Bf) gegen eine in der Nähe seines Grundstücks
gelegene Mobilfunkanlage, die nach seiner Auffassung seine Gesundheit
schädige, war vor den Verwaltungsgerichten gescheitert. Auch die Vb
blieb erfolglos. Die Kammer führt zur Begründung der
Nichtannahmeentscheidung im Wesentlichen aus:
1. Zum Schutz vor den nachweislichen Gefahren elektromagnetischer
Strahlen legt die 26. Bundesimmissionsschutzverordnung Grenzwerte fest,
die nicht überschritten werden dürfen. Die Frage, ob auch solche
elektromagnetischen Strahlen die menschliche Gesundheit schädigen
können, welche die geltenden Grenzwerte einhalten, ist seit längerem
Gegenstand internationaler und fachübergreifender Forschung, die von
verschiedenen nationalen und internationalen Fachkommissionen begleitet
wird. Um die Forschungsarbeiten laufend sichten und bewerten zu können,
hat auch die Strahlenschutzkommission (Geschäftsbereich des
Bundesministeriums für Umwelt) eine Arbeitsgruppe mit Experten der
verschiedenen betroffenen Fachrichtungen (Medizin, Biologie, Physik,
Epidemiologie) gebildet; außerdem fördert die Bundesregierung Vorhaben
zur Erforschung der Auswirkungen elektromagnetischer Strahlen auf den
Menschen.
2. Es begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, dass das OVG aus
Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG keine Pflicht des Staates gefolgert hat, die
geltenden Grenzwerte zum Schutz vor Immissionen bereits dann zu
verschärfen, wenn noch keine verlässlichen wissenschaftlichen
Erkenntnisse über deren gesundheitsschädliche Wirkungen vorliegen. Eine
Pflicht des Staates zur Vorsorge gegen rein hypothetische Gefährdungen
besteht nicht. Die geltenden Grenzwerte könnten nur dann
verfassungsrechtlich beanstandet werden, wenn erkennbar ist, dass sie
die menschliche Gesundheit völlig unzureichend schützen. Das Grundrecht
auf Leben und Gesundheit verlangt nicht von den Gerichten, den
Verordnungsgeber auf einer wissenschaftlich ungeklärten Grundlage zur
Herabsetzung von Grenzwerten zu verpflichten, weil nachteilige
Auswirkungen von Immissionen auf die menschliche Gesundheit nicht
ausgeschlossen werden können. Es ist vielmehr eine politische
Entscheidung, ob in einer solchen Situation der Ungewissheit
Vorsorgemaßnahmen durch den Staat ergriffen werden sollen.
3. Mit der verfassungsrechtlichen Pflicht des Staates zum Schutz der
Gesundheit ist es auch vereinbar, dass das OVG eine eigenständige
Beurteilung der Schutzeignung der geltenden Grenzwerte durch Einholung
von Sachverständigenbeweisen von der konkreten Darlegung abhängig
macht, dass gesicherte Erkenntnisse anerkannter Stellen von erheblichem
wissenschaftlichem Gewicht vorliegen, welche die Grenzwerte als
überholt erscheinen lassen. Nach dem Grundsatz der Gewaltenteilung ist
es Aufgabe des Verordnungsgebers und nicht der Gerichte, die einmal
getroffene Vorsorgeentscheidung mit Blick auf den Fortschritt der
wissenschaftlichen Erkenntnis unter Kontrolle zu halten. Diese
Verteilung der Verantwortung für die Risikoeinschätzung trägt auch den
nach Funktion und Verfahrensweise unterschiedlichen
Erkenntnismöglichkeiten beider Gewalten Rechnung. Durch die Betrachtung
einzelner wissenschaftlicher Studien kann kein konsistentes Bild über
die hier vorliegende komplexe, wissenschaftlich nicht geklärte
Gefährdungslage erlangt werden. Eine kompetente Risikobewertung setzt
vielmehr die laufende fachübergreifende Sichtung und Bewertung der
umfangreichen Forschung voraus. Diese Gesamteinschätzung kann die auf
den konkreten Streitfall bezogene gerichtliche Beweisaufnahme nicht
leisten. Solange die Situation der Ungewissheit über eine komplexe
Gefährdungslage andauert, kommt es daher für den Schutz der Gesundheit
verstärkt darauf an, dass sich die Exekutive in geeigneter Weise des
wissenschaftlichen Sachverstandes versichert, um rechtzeitig und
angemessen auf neue Erkenntnisse reagieren zu können.
Beschluss vom 28. Februar 2002 - Az. 1 BvR 1676/01 -
Karlsruhe, den 22. März 2002
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