Unentgeltliche Rechtsberatung durch berufserfahrenen Juristen
Die Verfassungsbeschwerde eines pensionierten Richters, der schon seit
langem um die Anerkennung der „altruistischen Rechtsberatung“ kämpft,
gegen seine Nichtzulassung als Wahlverteidiger in einem Strafverfahren
war erfolgreich. Das Landgericht und das Oberlandesgericht hatten die
Zulassung als Verteidiger versagt, weil der Beschwerdeführer, der
bereits zweimal wegen unerlaubter geschäftsmäßiger Besorgung fremder
Rechtsangelegenheiten verurteilt worden war, die nach Art. 1 § 1
Rechtsberatungsgesetz erforderliche Erlaubnis nicht besitze. Eine
behördliche Erlaubnis sei auch für die unentgeltliche, rein
altruistische Rechtsberatung notwendig, sofern sie geschäftsmäßig und
nicht nur einmalig betrieben werde. Weil die Tätigkeit des
Beschwerdeführers einen erneuten Verstoß gegen das Rechtsberatungsgesetz
bedeute, komme eine Zulassung als Wahlverteidiger nicht in Betracht.
Die 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts hob die
angegriffene Entscheidung des Oberlandesgerichts auf. Die Nichtzulassung
des Beschwerdeführers als Wahlverteidiger im Strafverfahren stelle einen
nicht gerechtfertigten Eingriff in seine allgemeine Handlungsfreiheit
(Art. 2 Abs. 1 GG) dar. Die Sache wurde zu neuer Entscheidung an das
Oberlandesgericht zurückverwiesen.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:
Das Bundesverfassungsgericht hatte bereits in seiner Entscheidung vom
29. Juli 2004 (vgl. Pressemitteilung Nr. 76/2004 vom 5. August 2004) das
Verbot der unentgeltlichen Rechtsberatung durch einen Volljuristen in
Frage gestellt. Der Begriff der Geschäftsmäßigkeit in Art. 1 § 1
Rechtsberatungsgesetz könne unter Abwägung der Schutzzwecke des
Rechtsberatungsgesetzes einerseits und des Grundrechts der allgemeinen
Handlungsfreiheit andererseits eine Auslegung erfordern, die die
unentgeltliche Rechtsbesorgung durch einen berufserfahrenen Juristen
nicht erfasst.
Nach den Grundsätzen dieser Entscheidung kann Art. 1 § 1
Rechtsberatungsgesetz auf die von dem Beschwerdeführer ausgeübte
unentgeltliche Rechtsberatung keine Anwendung finden, wenn bei der
Auslegung des Begriffs der „Geschäftsmäßigkeit“ die grundrechtlich
garantierte Handlungsfreiheit des Beschwerdeführers hinreichende
Beachtung findet. Ein vermeintlicher Verstoß gegen Art. 1 § 1
Rechtsberatungsgesetz kann damit auch nicht als Begründung zur Versagung
einer Genehmigung als Wahlverteidiger im Strafverfahren herangezogen
werden. Indem das Oberlandesgericht die Reichweite des Grundrechts der
allgemeinen Handlungsfreiheit nicht erkannt und einseitig die auf einer
überholten Auslegung des Rechtsberatungsgesetzes gestützten Bedürfnisse
der Rechtspflege in die Abwägung eingestellt hat, liegt ein
schwerwiegender Fehler bei der Ermessensentscheidung über die Bestellung
als Wahlverteidiger vor.
Pressemitteilung Nr. 17/2006 vom 9. März 2006
Zum Beschluss vom 16. Februar 2006 – 2 BvR 951/04 und 2 BvR 1087/04 –