Verfassungsbeschwerde eines Gefängnisseelsorgers
gegen Beugehaft erfolglos
In einem vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf anhängigen Strafverfahren
wird gegen mehrere Angeklagte verhandelt. Ihnen wird vorgeworfen, in
großem Umfang Betrugstaten zum Nachteil deutscher
Lebensversicherungsgesellschaften begangen zu haben, um hohe
Versicherungssummen zu erhalten und diese zur Finanzierung des
Terrornetzwerks Al Qaeda weiterzuleiten. In der Hauptverhandlung wurde
der Beschwerdeführer, ein – nicht zum Priester geweihter – katholischer
Gemeindereferent, als Zeuge vernommen. Dieser ist hauptamtlich als
Seelsorger in einer Haftanstalt tätig und hatte in dieser Funktion
Gespräche mit einem der Angeklagten geführt. Bei seiner Vernehmung vor
dem Oberlandesgericht lehnte er es unter Berufung auf sein
Zeugnisverweigerungsrecht als Seelsorger ab, die Frage zu beantworten,
ob er für den Angeklagten im Internet Adressen von Versicherungen
recherchiert habe. Daraufhin ordnete das Gericht gegen den Seelsorger
Beugehaft zur Erzwingung der Aussage an. Die Beschwerde des Seelsorgers
verwarf der Bundesgerichtshof als unbegründet. Die 1. Kammer des Zweiten
Senats des Bundesverfassungsgerichts hat die hiergegen gerichtete
Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen. Die Auferlegung
der Zeugnispflicht, deren Erfüllung die Anordnung der Beugehaft
erzwingen soll, sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:
§ 53 Abs. 1 Nr. 1 Strafprozessordnung gewährt Geistlichen ein
Zeugnisverweigerungsrecht hinsichtlich solcher Tatsachen, die ihnen in
ihrer Eigenschaft als Seelsorger anvertraut worden oder bekannt geworden
sind. Ob Geistliche im Sinne der Vorschrift auch Seelsorger sind, die
keine Priesterweihe erhalten haben, ist hier nicht generell zu
entscheiden. Jedenfalls bei einer hauptamtlichen Beauftragung nach den
durch das kirchliche Dienstrecht vorgesehenen Voraussetzungen – wie dies
vorliegend der Fall ist – ist der Anwendungsbereich der Vorschrift
eröffnet. Die Frage, ob einem Geistlichen Tatsachen in seiner
Eigenschaft als Seelsorger anvertraut oder bekannt geworden sind, ist
objektiv und in Zweifelsfällen unter Berücksichtigung der
Gewissensentscheidung des Geistlichen zu beurteilen. Die Einschätzung
der Fachgerichte, der Austausch über das Recherchieren von
Versicherungsadressen zähle objektiv nicht zur Seelsorge, ist
verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
Ein Zeugnisverweigerungsrecht des Beschwerdeführers lässt sich auch
nicht unmittelbar aus der Verfassung ableiten. Die aus der Beantwortung
der an den Beschwerdeführer gestellten Frage zu erwartenden Erkenntnisse
sind nicht dem Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzurechen, in den
einzugreifen dem Staat verwehrt ist. Die Frage, deren Beantwortung hier
in Rede steht, zielt nicht auf das Erlangen von Kenntnissen über ein
seelsorgerisches Gespräch, sondern über eine Tätigkeit – das
Recherchieren von Versicherungsadressen –, die der Beschwerdeführer nur
außerhalb eines solchen Gesprächs wahrgenommen haben könnte. Auch eine
Abwägung mit den Belangen der Berufsausübungsfreiheit begründet kein
Zeugnisverweigerungsrecht des Beschwerdeführers. Durch die Preisgabe von
Wissen über eine dem betreuten Gefangenen erwiesene Gefälligkeit kann
zwar das Vertrauensverhältnis zu diesem und zu anderen Gefangenen
beeinträchtigt werden – mit Folgewirkungen auf die Möglichkeit zur
Wahrnehmung der seelsorgerischen Aufgabe. Die Belange der
Strafrechtspflege überwiegen jedoch das Interesse des Beschwerdeführers
an der Vermeidung einer Beeinträchtigung der seelsorgerischen
Vertrauensstellung. Dass ein Gefangener von der vertraulichen Behandlung
einer an seinen Seelsorger gerichteten Bitte ausgeht, die ersichtlich
nicht den seelsorgerischen Bereich betrifft, sondern darauf abzielt,
Beweisgegenstände zu verfälschen, und für den Seelsorger sogar die
Gefahr eigener Strafbarkeit begründet, ist eher fern liegend. Bei der
Bewertung einer möglichen Vertrauenseinbuße ist auch zu berücksichtigen,
dass der Beschwerdeführer entsprechendes Wissen nicht eigenmächtig
offenbaren würde, sondern aufgrund der ihm obliegenden, mit
Zwangsmitteln durchsetzbaren Zeugenpflicht.
Bundesverfassungsgericht - Pressestelle -
Pressemitteilung Nr. 9/2007 vom 29. Januar 2007
Zum Beschluss vom 25. Januar 2007 – 2 BvR 26/07 –