Städtische Videoüberwachung eines Kunstwerks in Regensburg entbehrt gesetzlicher Grundlage
Die Stadt Regensburg ließ 2005 über den Resten der ehemaligen
mittelalterlichen Synagoge auf dem Neupfarrplatz ein Bodenrelief
herstellen, das den Grundriss der ehemaligen Synagoge andeutet. Das
Kunstwerk ist als Begegnungsstätte für die Bevölkerung konzipiert. In
der Vergangenheit kam es im Bereich des Kunstwerks zu mehreren
Vorfällen, aufgrund derer die Stadt Regensburg eine Videoüberwachung des
Ortes mit vier Überwachungskameras für erforderlich hielt. Die Stadt
beabsichtigt, die Überwachung in eigener Zuständigkeit auf der Grundlage
des Bayerischen Datenschutzgesetzes durchzuführen. Gegen die geplante
Videoüberwachung der Begegnungsstätte erhob der Beschwerdeführer Klage.
Das Verwaltungsgericht wies die Klage ab. Hiergegen gerichtete
Rechtsmittel blieben vor dem BayerischenVerwaltungsgerichtshof ohne
Erfolg.
Die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat die
angegriffenen Entscheidungen aufgehoben, da es für die geplante
Videoüberwachung mit Aufzeichnung des gewonnenen Bildmaterials an einer
hinreichenden gesetzlichen Ermächtigung fehle.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:
Die geplante Videoüberwachung des Bodenkunstwerks mit Aufzeichnung des
gewonnenen Bildmaterials stellt einen Eingriff von erheblichem Gewicht
in das allgemeine Persönlichkeitsrecht in seiner Ausprägung als Recht
der informationellen Selbstbestimmung dar. Das durch die
Videoüberwachung gewonnene Bildmaterial kann und soll dazu genutzt
werden, belastende hoheitliche Maßnahmen gegen Personen vorzubereiten,
die in dem von der Überwachung erfassten Bereich bestimmte unerwünschte
Verhaltensweisen zeigen. Die offene Videoüberwachung eines öffentlichen
Ortes kann und soll zugleich abschreckend wirken und insofern das
Verhalten der Betroffenen lenken. Das Gewicht dieser Maßnahme wird
dadurch erhöht, dass infolge der Aufzeichnung das gewonnene Bildmaterial
in vielfältiger Weise ausgewertet, bearbeitet und mit anderen
Informationen verknüpft werden kann. Von den Personen, die die
Begegnungsstätte betreten, dürfte nur eine Minderheit gegen die
Benutzungssatzung oder andere rechtliche Vorgaben, die sich aus der
allgemeinen Rechtsordnung für die Benutzung der Begegnungsstätte
ergeben, verstoßen. Die Videoüberwachung und die Aufzeichnung des
gewonnenen Bildmaterials erfassen daher überwiegend Personen, die selbst
keinen Anlass schaffen, dessentwegen die Überwachung vorgenommen wird.
Angesichts des erheblichen Gewichts der Grundrechtsbeeinträchtigung kann
die geplante Videoüberwachung nicht auf Art. 16 Abs. 1 und Art. 17 Abs.
1 Bayerisches Datenschutzgesetz gestützt werden. Diese Normen enthalten
keine hinreichenden Vorgaben für Anlass und Grenzen der erfassten
datenbezogenen Maßnahmen, um als Ermächtigungsgrundlage für den
beabsichtigten Grundrechtseingriff in Betracht zu kommen. Sie begrenzen
die Datenerhebung lediglich durch das Gebot der Erforderlichkeit. Dies
allein kann die behördliche Praxis aber nicht hinreichend anleiten oder
Kontrollmaßstäbe bereitstellen.
Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass eine Videoüberwachung
öffentlicher Einrichtungen mit Aufzeichnung des gewonnenen Bildmaterials
auf der Grundlage einer hinreichend bestimmten und normenklaren
Ermächtigungsgrundlage materiell verfassungsgemäß sein kann, wenn für
sie ein hinreichender Anlass besteht und Überwachung sowie Aufzeichnung
insbesondere in räumlicher und zeitlicher Hinsicht und im Hinblick auf
die Möglichkeit der Auswertung der Daten das Übermaßverbot wahren.
Pressemitteilung Nr. 31/2007 vom 20. März 2007
Zum Beschluss vom 23. Februar 2007 – 1 BvR 2368/06 –